Lentföhrden. Maik und Marco Möller aus Lentföhrden bauen ihren Bauernhof radikal um. Wie sie bestehen wollen, ohne Tierleid zu erzeugen.

Mausi ist eine Exotin. Auch wenn es allein in Deutschland über zehn Millionen ihrer Art gibt und die weltweiten Zahlen die Milliardengrenze übersteigen. Doch Mausi ist schon über 16 Jahre alt. Sie ist eine Milchkuh im Ruhestand, sie war Teil eines Systems, das existiert, damit die Menschen Milch, Käse, Butter, Burger oder Steak bekommen, ob nun Bio oder konventionell. Milchkühe werden normalerweise nicht viel älter als fünf Jahre.

Vor Mausi stehen zwei junge Männer auf der Weide, die für sich gemeinsam entschieden haben, all das nicht mehr mitzutragen. Maik und Marco Möller sind die fünfte Generation einer Familie, die in Lentföhrden für die Produktion von Milch steht. Doch die beiden Söhne, 25 und 26 Jahre alt, werden mit dem Betrieb einen radikal anderen Weg gehen.

Dafür ist wichtig zu wissen: Beide sind Veganer. Heißt: Sie konsumieren keinerlei Tierprodukte, trinken also auch keine Milch, die von Kühen stammt. „Wir sind beide auf dem Hof aufgewachsen, wir haben die Landwirtschaft aus nächster Nähe kennengelernt. In den Sommerferien durften wir immer mithelfen, das haben wir teilweise gerne gemacht, teilweise auch nicht. Und wir haben gemerkt, dass die Landwirtschaft zuerst einmal für uns nichts ist“, sagt Maik.

Vegane Brüder auf dem Bauernhof machen Schluss mit der Tierausbeutung

Sie orientieren sich anders. „Das war auch expliziter Wunsch unserer Eltern. Unser Vater ist das älteste von sieben Geschwistern, und hier gilt das Ältestenrecht – er musste den Hof übernehmen.“ Hans, der Vater, entwickelte allerdings bereits eine fortschrittlichere Einstellung gegenüber den Tieren.

„Als unser Vater klein war, hatten wir eine konventionelle Anbindehaltung, das hat er als Kind miterlebt. Aus seiner Ausbildung heraus war es ihm ein großes Anliegen, dass er es einmal anders macht, wenn er den Hof übernimmt. Ab Tag eins haben sie auf Ökolandbau umgestellt, sind seitdem Bioland-zertifiziert.“

Und: „Sie hatten eine besondere Form der Tierhaltung mit der muttergebundenen Kälberaufzucht. Das bedeutet, dass die Kälber länger bei ihren Müttern bleiben dürfen, drei bis vier Monate, und so viel säugen dürfen, wie sie wollen. Und nicht so, wie es jetzt der Standard ist, dass sie ihnen direkt entrissen werden und in ein Iglu kommen. Es sind Schritte, um das Tierleid zu lindern.“

„All das können wir nicht mit unserem Gewissen vereinbaren“

Lindern heißt nicht beenden. „Aber dadurch, dass wir ethisch begründet vegan leben, war uns klar, dass auch das nicht geht, wenn wir den Hof übernehmen. Denn auch dort entsteht großes Tierleid, auch dort werden die Tiere immer noch getötet, sie werden trotzdem ausgebeutet. All das können wir nicht mit unserem Gewissen vereinbaren. Und daher wollen wir den Hof umstellen.“

Maik ging als 19-Jähriger nach Brandenburg an der Havel, studierte dort, machte einen Bachelor in Applied Computer Science. Jetzt befindet er sich in einem zweiten Studium, und zwar in Witten: General Management. Marco hingegen ist gelernter Versicherungs- und Bankkaufmann. „Es war gut, einen Blickwinkel zu bekommen, wie es in der freien Marktwirtschaft läuft. Als Maik dann vegan wurde und es uns mitgeteilt hat, habe ich mich erstmals damit beschäftigt.“

Das ist knapp zwei Jahre her. „Ich habe gemerkt: So wie unsere Ernährungsstruktur derzeit aufgestellt ist, das möchte ich nicht unterstützen.“ Der Gedankenprozess verlief schnell, nach drei Monaten als Vegetarier stieg auch er um auf eine rein pflanzliche Ernährung.

Bauernhof-Idylle? Damit räumen die Brüder rigoros auf

Und somit stand auch fest: „Wenn wir den Hof übernehmen und weiterentwickeln wollen, dann wollen wir ohne die sogenannte Nutztierhaltung fortfahren und keine Tiere ausbeuten. Dieses System gefällt uns nicht, wir sehen uns nicht darin, das weiterbetreiben zu wollen. Unser Glück: Unsere Eltern sind da recht offen und vorurteilsfrei. Wir haben unsere Argumente und Sichtweisen austauschen können.“

Sein Bruder wählt drastische Worte. „Gerade ein Bauernhof illustriert eine idyllische Landschaft mit Tieren, die man streicheln kann und anschauen“, sagt Marco Möller. „Es ist schön zu sehen, wie Kühe, Schweine, Hühner auf Weiden laufen können. Wenn man das wirklich mal weiterdenkt, zählt nicht diese Momentaufnahme, sondern: Eine Kuh kann bis zu 25 Jahre alt werden, im Durchschnitt wird sie aber bis zu fünf Jahre alt.“

„Eine Kuh muss andauernd wieder besamt werden“

Nämlich, weil die Milchleistung nachlasse. Die Kuh werde dann getötet. „Und die Mütter werden von den Kindern getrennt. Für die männlichen Nachkommen gibt es gar keine Verwendung, die werden in die Mast weitergegeben. Und es muss anerkannt werden: Es ist die Muttermilch einer anderen Spezies, die gar nicht für uns Menschen gedacht ist. Eine Kuh muss andauernd wieder besamt werden, damit sie schwanger wird und Milch geben kann für ihr Kind.“ Zum Teil war ihm das nicht bewusst, obwohl er auf einem Bauernhof aufwuchs.

Sie sprechen damit extrem emotionale Themen an, sie hinterfragen die Existenz und die Lebensgrundlage von Betrieben, die teils über Jahrzehnte von Familien geführt werden. „Wir wollen klar und deutlich sagen: Allen Respekt an alle Landwirtinnen und Landwirte, sie arbeiten Tag und Nacht, versorgen die Tiere, so gut es geht, sind mit Herzblut dabei. Aber wir wollen zeigen, dass es auch anders geht, dass man auch ohne Tiere Landwirt sein kann. Es gibt so viele Möglichkeiten mit Gemüse und Getreide, andere Wege zu gehen. Wir wollen Sichtweisen austauschen, erklären, warum wir den Entschluss fassen. Es vorzuleben, ist immer der beste Weg, um Menschen überzeugen zu können.“

Die beiden wollen ein Bildungsangebot in Lentföhrden schaffen

Marco und Maik Möller wissen: Keinesfalls dürfe man unterschätzen, was mittelfristig an Herausforderungen auf sie zukommt. Ab 2025, vorher will Maik sein Studium abschließen, werden sie den Hof zusammen mit den Eltern führen, ab 2026 dann alleine. Projekte und Pläne sind in der Entwicklung. „Aktuell sind wir dabei, das Bildungsangebot aufzubauen.“ Es gibt Fördertöpfe des Landes für außerschulische Lernorte, diese finanzielle Unterstützung würden sie gerne erhalten. Denn bloß, weil jemand aus der Tierhaltung aussteigt, gibt es keine Umstiegsprämie.

Marco Möller: „Tierethik, biozyklisch-vegane Landwirtschaft, diese Themen wollen wir in die Mitte der Gesellschaft bekommen. Wir merken, dass dort eine Entfremdung stattfindet. Gerade in der Stadt haben Kinder, die dort aufwachsen, überhaupt keinen Bezug mehr zu Höfen, zur Landwirtschaft. Sie wissen gar nicht, was passieren muss, damit man das Fleisch im Supermarkt kaufen kann.“ Denn die Landwirtschaft, er meint die Tierhaltung, finde nicht vor den Augen der Gesellschaft statt – „weil es so grausam ist“.

„Der Hofhund war wie ein Familienmitglied – die Kuh dafür da, Milch zu liefern“

Kühe erfüllen in der Regel eben einen bestimmten Zweck. Tierrechtlich gesehen, spricht man hier vom Speziesismus. Das heißt, dass Menschen beispielsweise Kühen, oder auch Schweinen, eine Rolle geben. In diesem Fall, Nahrung zu sein. Ungeachtet dessen, dass sie ebenso Individuen seien, die ein Recht auf Selbstbestimmung hätten.

Maik und Marco Möller sind natürlich in genau dieser Gesellschaft sozialisiert wurden, auch sie unterschieden zwischen Haus- und Nutztier: „Wir hatten einen Hofhund, der war wie ein Familienmitglied für uns, und 250 Meter weiter waren die Kühe, die waren dafür da, Milch zu liefern und Fleisch quasi zu produzieren.“

Die Organisation „Transfarmation“ unterstützt die Umstellung auf dem Hof Möller

Zurück in die Gegenwart. Die Möller-Brüder bekommen mittlerweile Unterstützung von der Organisation „Transfarmation“. Diese formierte sich vor vier Jahren in der Schweiz. „Es ist auf einem Lebenshof gestartet, auf dem Tiere nicht benutzt werden, sondern Bildungsarbeit betrieben wird“, sagt Matthias Welzel, der den Hof aus Lentföhrden als Projektleiter betreut.

„Es entstand die Nachfrage von anderen Landwirten und Landwirten, ob es nicht möglich sei, dass sie aufhören könnten, die Tiere zu nutzen. Also Landwirtschaft, ohne dass ich Jahr für Jahr Tiere zum Schlachter zu bringen.“ Und tatsächlich: Welzel berichtet, dass mittlerweile 135 Höfe in der Schweiz die Umstellung vollzogen hätten.

Unterstützt werden die Brüder Maik und Marco Möller von der Initiative „Transfarmation“, hier Projektleiter Matthias Welzel.
Unterstützt werden die Brüder Maik und Marco Möller von der Initiative „Transfarmation“, hier Projektleiter Matthias Welzel. © Christopher Mey | Christopher Mey

Jetzt geht es in Deutschland los. Die Möllers sollen ein Pilotprojekt sein. „Wir begleiten sie in der Konzeptphase, wir sind sehr viel vernetzt, helfen, Akteure zusammenzubringen, ob nun in der Öffentlichkeitsarbeit, in der Bildungsarbeit, bei der Vermarktung.“ Denn genauso, wie „die breite Masse über die Ernährungsumstellung nachdenkt“, müsse das auch bei der Landwirtschaft sein.

Die Hoffnung ist: Sobald einige Höfe zeigen, wie der Umstieg klappen kann, entsteht eine Bewegung. „Alle sagen: Wir müssen runter bei den Tierzahlen. Ob es nun 50 Prozent, 70 oder 100 sind, sei dahingestellt. Aber wenn wir massiv reduzieren, ist klar, dass unglaublich viele Betriebe aussteigen müssen aus der Tierhaltung. Das ist Fakt.“

Rund 25 Tiere haben die Möllers noch. Allerdings sind alle Kühe bereits jetzt abgestillt. „Wir haben vor ein paar Monaten auf dem Hof aufgehört, zu melken. Es ist wie bei Menschen: Die Laktation setzt irgendwann aus“, erklärt Marco Möller.

Saisonales Gemüse wird bereits über eine solidarische Landwirtschaft vermarktet

Ein Vorteil: Sie haben jetzt schon mehrere Standbeine. „Der umsatzstärkste Bereich ist der Beherbungsbetrieb, also die Vermietung von Wohnungen, größtenteils an Handwerker und Monteure. Deswegen haben wir die Freiheit zu sagen, dass wir aus der Nutztierhaltung aussteigen, denn wir sind nicht in einer großen finanziellen Abhängigkeit. Das ist enorm wichtig. Darüber hinaus haben wir den Gemüse- und Getreideanbau. Deswegen können wir andere Wege gehen.“

Sie bauen saisonales Gemüse an, die Vermarktung läuft über eine solidarische Landwirtschaft, also ein Genossenschaftsprinzip. Und: Sie wollen auch nicht mehr mit Kuhmist düngen. „Wir benutzen pflanzlichen Dünger, also Kleegras, da sind wir ab dem nächsten Jahr auch biozyklisch-vegan zertifiziert, mit diesem Siegel dürfen wir unser Gemüse auch vertreiben.“

Zum Konzept gehört der Anbau von saisonalem Gemüse und Getreide nach biozyklisch-veganen Vorgaben, schon jetzt funktioniert der Vertrieb über eine Solidarische Landwirtschaft.
Zum Konzept gehört der Anbau von saisonalem Gemüse und Getreide nach biozyklisch-veganen Vorgaben, schon jetzt funktioniert der Vertrieb über eine Solidarische Landwirtschaft. © Christopher Mey | Christopher Mey

Für Betriebe, die komplett abhängig sind von der Tierhaltung und den damit verbundenen Strukturen, ist eine Umstellung noch schwieriger. Maik Möller: „Wenn ich jetzt an Betriebe denke, die Kredite für neue Ställe aufgenommen haben, auch weil die Politik sagt, das wird subventioniert, dann seid ihr sicher in den nächsten Jahren – das sind die Gelackmeierten. Es ist eine Kerze, die von beiden Seiten brennt: Die Konsumenten schwenken um, aber die Politik unterstützt noch das alte System, darauf bauen die.“

Harte Entscheidung: Was wird aus den verbliebenen Kühen?

Auf Maik und Marco Möller sowie ihre Eltern werden noch ethische belastende Fragen zukommen. Denn was soll aus den Kühen werden, die in Familienbesitz sind? „Wir haben gelernt, dass es ohne Kompromisse nicht geht. Wir sind schon sehr dankbar, dass unsere Eltern diesen Weg mitgehen. Unser Vater hat uns gebeten, dass er die Hand darüber hat, wie es mit den Kühen weitergeht. Das haben wir auch akzeptiert, da sind wir größtenteils raus. Das letzte Wort ist da aber noch nicht gesprochen“, sagt Maik.

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Denn: „Man bekommt eine Prämie, wenn man je Hektar eine bestimmte Anzahl von Tieren hält. Da müssen wir abwägen, ob sich das finanziell rentiert, wenn wir weiterhin Kühe halten.“ Nicht, um sie zu melken, sondern einfach als Botschafterinnen, die ihr ungestört leben können.

Nur: Das kostet Geld für Futter, Stall, Arzt, Personal. „Bei Kühen kann man nicht mal zwei, drei Tage Pause machen, wir haben da eine Pflicht.“ Das Modell eines Lebenshofes, vielleicht gestützt auf eine Stiftung und zum Teil auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, ist eher keine Option. Aus finanziellen Gründen, aber auch, weil Maik und Marco ansonsten kaum Zeit hätten, um sich um die eigentlich vorgesehenen Bildungsaktivitäten zu kümmern.

Veganer Bauernhof: „Das Wichtigste ist, das System zu durchbrechen“

Es könnte also für viele der Kühe irgendwann so weit kommen, dass sie doch ein Schicksal erleiden, dass die Brüder nicht mehr haben wollen: kein natürlicher Tod, sondern die Schlachtung. „Jedes Jahr werden in Deutschland Hunderte Millionen von Tieren geschlachtet. Wenn das von heute auf morgen aufhören würde, wo sollen die alle hin? Es gibt da leider keine gute Lösung, das muss man so sagen“, so Marco Möller.

Matthias Welzel von Transfarmation kennt diese Gewissensbisse. „Aber letztendlich ist in der Vergangenheit die Entscheidung getroffen worden, diese Tiere anzuschaffen und auszubeuten. Wir müssen als Gesellschaft einen Weg finden, um weiterzukommen. Das Wichtigste ist, das System zu durchbrechen. “

Wer den Weg von Maik und Marco Möller verfolgen möchte, kann dies auf Instagram tun: @moellerbrueder