Norderstedt. Norderstedterin sitzt im Rollstuhl und braucht rund um die Uhr Betreuung. Die zu bekommen, wird immer schwieriger.

  • Der Fachkräftemangel trifft aktuell viele Branchen, aber besonders die Pflege.
  • Nicht nur Kliniken und Seniorenheime, auch Privatpersonen sind davon betroffen.
  • Was das bedeuten kann, zeigt das Beispiel von Sarina Hennings aus Norderstedt.

Sarina Hennings liebt Skandinavien. Außerdem geht sie gerne auf Konzerte. Einfach losfahren beziehungsweise abends ausgehen, wie andere 35-Jährige, kann die Norderstedterin allerdings nicht. Weil sie an einer seltenen Erbkrankheit leidet, sitzt Sarina Hennings in einem elektrischen Rollstuhl und muss teilweise künstlich beatmet werden. Deshalb braucht sie rund um die Uhr geschultes Personal in ihrer Nähe, das ist lebenswichtig. Doch dieses Personal zu finden, wird für Sarina Hennings immer schwieriger. Der Fachkräftemangel in der Pflege trifft sie ganz direkt.

Wer Sarina Hennings in ihrer Wohnung in Norderstedt trifft, begegnet einer klugen, humorvollen Frau, die ihr Schicksal mit viel Würde und Fassung trägt. Zu jammern, ist ihre Sache nicht. Ein Team aus drei Vollzeitkräften sowie drei Minijobbern sorgt dafür, dass sie rund um die Uhr betreut ist. „Mein Team, das sind meine Arme und meine Beine“, sagt sie. Und der Umgang in diesem Team ist „sehr familiär“, wie sie sagt.

„Es ist definitiv schwieriger geworden, Personal zu bekommen“

Nur: Neue Mitglieder für dieses Team zu bekommen, etwa wenn mal jemand für eine Weile ausfällt oder beruflich andere Wege geht, das wird immer schwieriger. „Ich bin seit 2013 in dieser Situation. Und seitdem ist es definitiv immer schwieriger geworden, Pflegepersonal zu bekommen“, sagt Sarina Hennings.

Gliedergürtelmuskeldystrophie (engl. „limb-girdle muscular dystrophy“, kurz LGMD) heißt die Krankheit, an der Sarina Hennings leidet. Es handelt sich um einen erblichen Gendefekt, der dazu führt, dass Muskelstränge absterben. Die Krankheit geht schleichend voran. „Entdeckt wurde das bei mir als Schulkind. Es fiel auf, dass ich im Sport immer ein bisschen langsamer war und nach Laufen oder schnellem Gehen oft sehr starke Wadenrämpfe hatte“, sagt Sarina Hennings.

Als Sarina Hennings acht Jahre alt war, kam die Diagnose

Als sie acht Jahre alt war, wurde die Krankheit schließlich diagnostiziert. Zunächst waren die Einschränkungen nicht groß. „Ich habe ganz normal meinen Abschluss gemacht, auch meinen Führerschein und eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation“, sagt sie. Dann jedoch bekam sie mit Mitte 20 eine dreifache Lungenentzündung, lag fünf Wochen im Koma. „Seitdem bin ich beatmungspflichtig“, sagt sie. Die Atem-Hilfsmuskeln sind bei ihr zu schwach, wegen einer Schluckstörung hat Sarina Hennings mittlerweile auch eine Magensonde.

Ihren Beruf kann Sarina Hennings heute nicht mehr ausüben, sie bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente. „Meine Gesundheit ist jetzt mein Beruf“, sagt sie. Konkret fungiert sie als Chefin ihres eigenen Assistenzteams. „Ich mache am Computer die Dienst- und Urlaubspläne, übernehme auch die Kommunikation mit den Ärzten selbst“, so Hennings. Für die Bezahlung der Kräfte, die sie ebenfalls selbst regelt, bekommt sie monatlich ein festes Budget von ihrer gesetzlichen Krankenkasse.

„Wenn es dumm läuft, kann ich an etwas Speichel ersticken“

Ihre Assistentinnen übernehmen jeweils Zwölf-Stunden-Schichten, unterstützen Sarina Hennings bei allen alltäglichen Verrichtungen und sind auch nachts in der Wohnung, wenn Sarina an ein Beatmungsgerät angeschlossen wird. Bei Komplikationen sind sie zur Stelle und wissen, was getan werden muss. „Wenn es ganz dumm läuft, könnte ich sonst an etwas Speichel ersticken“, sagt Sarina Hennings.

Für die Hilfe ihres Teams ist sie dankbar und versucht, eine möglichst gute Chefin zu sein: „Ich bemühe mich, meinem Team alle Träume zu ermöglichen. Wie es halt geht“, sagt sie. Genau so einen Traum lebt nun ein Mitglied des Teams – und ist für ein ganzes Jahr auf Weltreise. Im Team reißt das allerdings eine Lücke, die gefüllt werden muss.

Aktuell zu besetzen: Teilzeitstelle mit 20 Stunden im Monat

Eine Teilzeitstelle – 20 Stunden die Woche, bzw. sieben Dienste à zwölf Stunden im Monat – hat Sarina Hennings schon vor längerer Zeit ausgeschrieben und auf allen möglichen Wegen publik gemacht, unter anderem bei Facebook und in anderen sozialen Netzwerken. Nur: bisher gibt es keine Resonanz. Und das ist kein Einzelfall. „In einem Team wie meinem gibt es natürlich hin und wieder mal eine Vakanz. Dass die Stelle monatelang nicht besetzt wurde, kam schon vor. Andere Personen, die in meiner Situation sind, suchen seit Jahren Personal.“

Stichwort Fachkräftemangel: Was Bäckereien, Restaurants und Fahrradwerkstätten spüren, macht sich auch in der Pflegebranche bemerkbar. Nur noch stärker. Der Mangel ist deutschlandweit gravierend. In Schleswig-Holstein, das besagen Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), könnten bis 2030 rund 30.000 Pflegefachkräfte fehlen. Dazu Sarina Hennings, die viele Personen aus der Branche kennt: „Es gibt viele, die wollen einfach nicht mehr in der Pflege arbeiten. Weil es einfach nicht gewürdigt wird.“

Wie hoch die Mindestlöhne in der Pflege sind

So liegt der gesetzliche Mindestlohn für Pflegehilfskräfte aktuell bei 13,90 und für Pflegefachkräfte bei 17,65 Euro. Zum Vergleich: In der Zeitarbeitsbranche liegt er bei 13,50 Euro. Gebäudereiniger mit Spezialgebiet „Glas- und Fassadenreinigung“ verdienen ab Januar mindestens 16,70 Euro. Bei Servicepersonal an Flughäfen liegen die Branchenmindestlöhne zwischen 14,46 und 19,49 Euro.

Zwar sind für die Pflegebranche Steigerungen geplant. Aber Entlohnung und Verantwortung stehen hier einfach nicht im richtigen Verhältnis, findet Sarina Hennings. „Ich würde meinen Leuten gerne viel mehr Geld bezahlen. Aber ich kann es nicht, mein Budget ist zu knapp dafür.“ Das mache sich auch dann bemerkbar, wenn eine Mitarbeiterin eine Fortbildung machen möchte. „Ich muss dann manchmal sagen, das kann ich im Moment nicht finanzieren, warte bitte noch etwas.“

Warum Sarina Hennings nicht in eine Betreuungseinrichtung möchte

Wäre es nicht einfacher, einfach in eine Betreuungseinrichtung zu gehen? „Meine Krankenkasse hätte das ganz gerne gesehen“, sagt Sarina Hennings. Aber in einer Pflegeeinrichtung wäre der Personalmangel ebenfalls spürbar – und außerdem möchte Sarina Hennigs das absolut nicht. Wie jeder andere Mensch, legt sie Wert auf ein selbstbestimmtes Leben.

Dazu gehört, dass sie, „so lange es geht“, wie sie sagt, in ihrer Wohnung lebt. Auch ein Mann ist Teil dieses Lebens, mit dem sie eine „ganz normale Beziehung“ führt, wie sie betont. Hobbys wie Zeichnen und Malen gehören dazu, sowie Ausflüge, die nicht nur zu Ärzten führen. Sondern eben auch mal zu einem Konzert, wenn es dort nicht allzu voll ist.

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Was muss jemand mitbringen, der in ihr Team einsteigen möchte? Sarina Hennings wünscht sich eine Frau, da die Betreuung teils sehr intime Situationen umfasst. Ansonsten gibt es kaum prinzipielle Voraussetzungen: „Eine Ausbildung in der Pflege ist wünschenswert, aber nicht unbedingt erforderlich“, so Sarina Hennings. Sie dürfe auch „ungelernte Kräfte“ einstellen, die werden dann individuell eingearbeitet.

Was die neue Pflegekraft mitbringen sollte – außer Humor

Wichtiger sei, dass das Menschliche stimme. Offen sollte die Person sein, keine Berührungsängste haben, aber ein gutes Gespür für Situationen, für Distanz und Nähe. Und ein bisschen Humor sollte sie auch mitbringen. „Ich liebe Sarkasmus und Ironie. Das ist mein Weg, mit meiner Situation umzugehen.“

Wer eingestellt werde, das betont Sarina Hennings noch, habe auch über das eine Jahr hinaus seinen Platz im Team. Zu den Pluspunkten zähle dann auch ein „guter Freizeitausgleich“. Denn dass Personen individuelle Reiseträume verwirklichen möchten, dafür hat sie sehr viel Verständnis. Für 2024 plant sie selbst eine Reise, zusammen mit Lebenspartner und Team: eine Kreuzfahrt Richtung Norwegen.

Wer sich für die vakante Teilzeitstelle interessiert, schreibt eine formlose E-Mail an: henningssarina@gmail.com