Henstedt-Ulzburg. Neue Stromtrasse: Kritiker sprechen von 1615 Lkw-Ladungen Erde – der Netzbetreiber Tennet widerspricht dem.

Für sie sind Flora, Fauna und die Landschaft rund um Henstedt-Ulzburg ihr tägliches (ehrenamtliches) Geschäft. Johannes Engelbrecht ist Naturschutzbeauftragter der Großgemeinde, Dirk Rohlfing leitet den Umwelt- und Naturausschuss. Nun hat sich das Duo zusammengesetzt und aus ihrer Sicht eine Reihe von Problemen gefunden, die das derzeit größte Bauprojekt der Region mit sich bringen könnte: die Ostküstenleitung.

„Es wird ein böses Erwachen geben“, sagt Engelbrecht. Derzeit wartet der Ort auf den Planfeststellungsbeschluss für die 380-Kilovolt-Stromtrasse, den der Netzbetreiber Tennet für den Sommer erwartet. Je nach Ausgang der Kommunalwahl könnte es dann weiterhin eine politische Mehrheit für eine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht geben. Die Gegner fordern, dass die Leitung nicht als Erdkabel durch Henstedt-Ulzburg, sondern möglichst an einer künftigen Autobahn 20 gebaut wird. Ob das juristisch erfolgversprechend ist, ist unklar. Viele zweifeln daran.

Henstedt-Ulzburg: „Böses Erwachen“ – Warnung vor Folgen der Ostküstenleitung

Zumal fest steht: Sobald die zuständige Landesbehörde grünes Licht gibt, darf Tennet sofort mit den Bauarbeiten beginnen – unabhängig davon, ob parallel dagegen geklagt wird. Johannes Engelbrecht: „Wir sensibilisieren. In der Bevölkerung kommt es gar nicht an, welche Folgen es in der Bauzeit hat. Die Bagger brauchen eine bestimmte Tiefe, die Grundwasserschichten werden durchbohrt. Die kommen nie wieder dahin, die Bodenstruktur ist zerstört.“

Er hat Naturschutzverbände gefragt, warum sie nicht aktiv werden – „nichts ist gekommen“, so Engelbrecht. Dazu spüre er eine „Trägheit der Bevölkerung“. Die Ostküstenleitung ist offenbar kein Aufreger im Ort, was Engelbrecht nicht nachvollziehen kann.

Die meisten Landwirte haben ihre Flächen an Tennet verkauft

„Bei der Wilstedter Straße wird ein Riesen-Zinnober gemacht“, sagt Dirk Rohlfing und verweist auf die Proteste der dortigen Anwohner in Zusammenhang mit dem geplanten Ausbau. Bei der Stromtrasse ist der Widerstand abgeebbt. Von einst 38 Landwirten, die sich zusammengeschlossen hatten, sind laut Rohlfing die meisten nicht mehr dabei, haben die Kaufangebote der Tennet angenommen.

Als Entschädigung gebe es 23 Cent pro Quadratmeter – eine Einmalzahlung, also nicht, wie bei Windkraftanlagen, regelmäßige Pachtzahlungen. Doch das wäre fair, sagt Rohlfing, der auch Gewinnbeteiligungen anregt.

„Müssen wir ganz Deutschland versorgen?“

Für die Erdkabeltrasse erwartet der BFB-Politiker einen „Pumpeneinsatz, bis der Arzt kommt“. Es erschließe sich ihm nicht, warum Tennet den Trassenverlauf nehme, der das zehnfache koste, anstatt den „kürzesten Weg“. Er nennt eine Alternative: „Eine Freileitung von Groß Niendorf über Sievershütten und Struvenhütten zur A7. Oder weiter nördlich, da ist alles frei.“ Er stellt aber auch die Sinnfrage für die Leitung, die unter anderem Strom nach Süddeutschland transportieren soll: „Müssen wir ganz Deutschland versorgen?“

Rohlfing und Engelbrecht haben berechnet, was durch den Bau alles entlang des Korridors passieren wird. Sie sprechen von 8000 Kubikmetern Erdbewegung für die Dükerlöcher, von 19.000 Kubikmetern Erde bei den Tunneln, die wiederverfüllt werden, was wiederum 1615 Lkw-Ladungen wären, so die Prognose.

Ihre These: Freileitungen sind umweltschonender

Und für den offenen Erdkabelverbau auf 3,1 Kilometern nennen sie die enorme Menge von 186.000 Kubikmetern Bodenbewegung. Dazu würden auf 1,3 Kilometern Knicks gerodet und 40 Bäume gefällt. Ihr Fazit: „Landwirtschaftlich genutzte Flächen werden wertlos.“ Frei stehende Strommasten wären umweltschonender.

Das Abendblatt hat Tennet mit den Zahlen konfrontiert. Sprecher Peter Hilffert nimmt Stellung. Zu besagten 1615 Lkw-Ladungen erklärt er: „Das trifft nicht zu, wir planen keinen Bodenabtransport. Es gibt neben den Kabelgruben einen 24 Meter breiten Schutzstreifen, da lagern wir es ab, getrennt nach Erdschichten.“

Henstedt-Ulzburg: Netzbetreiber erwartet bis zu 300 Lkw-Fahrten in mehreren Wochen

Anders sei es bei den Dükerlöchern: „Das ist fast korrekt. Wir müssen es abtransportieren, da wir den Tunnel bauen. Nach unseren Berechnungen sind es 6000 Kubikmeter. Ein Lkw schafft 20 bis 24 Kubikmeter, es wären also 250 bis 300 Fahrten, das verteilt sich auf mehrere Wochen.“ Ebenso würden Knicks nur auf 420 Metern gerodet, es würden auch nur drei statt 40 Knickbäume gefällt – und beim offenen Erdkabelverbau erwartet das Unternehmen nicht 186.000 Kubikmeter, die bewegt werden müssen, sondern rund 81.500 Kubikmeter.

Ab dem 4. Mai (Eröffnung: 15 Uhr, Butenring 10) werde Tennet zudem in Ellerau ein „Erdkabel-Informationszentrum“ einrichten. Dieses werde Mittelpunkt der Bürgerbeteiligung sein, Gruppen können sich für Führungen anmelden, es werden zudem Fachgespräche mit Experten angeboten.