Norderstedt. Niemand soll aus Scham oder Armut wegen seiner Menstruation der Schule fernbleiben. Der Antrag löst eine politische Kontroverse aus.

Ein immer noch bei manchen mit Tabus belegtes Thema wird nun in den Parlamenten etlicher Städte und Gemeinden breit und kontrovers diskutiert: Die Menstruation und das damit verbundene Phänomen der Menstruationsarmut. Forderung werden nun auch in Norderstedt laut, wonach die Kommune grundsätzlich kostenlose Tampons und Binden in Schulen und Sportstätten anbieten soll, damit menstruierende Frauen und Mädchen in jedem Fall versorgt sind – unabhängig vom Sozialstatus.

In Henstedt-Ulzburg machen sich derzeit die Grünen für dieses Angebot stark. Und auch Norderstedt soll diesen Service anbieten, findet der SPD-Stadtvertreter Lasse Jürs und stellte einen entsprechenden Antrag für den Ausschuss für Schule und Sport am Mittwoch, 1. Februar (18.30 Uhr, Sitzungsraum 2, Rathaus).

Norderstedt: SPD will kostenlose Tampons und Binden an allen Schulen

Macht sich für die Idee stark: Lasse Jürs von der SPD-Fraktion Norderstedt.
Macht sich für die Idee stark: Lasse Jürs von der SPD-Fraktion Norderstedt. © Lasse Jürs

Jürs schlägt vor, dass die Stadt in den nächsten zwei Jahren die „entgeltfreie Ausgabe von Menstruationsartikeln“ in den Sanitäranlagen von „allen Schulen unterschiedlicher Schulform“ und in städtischen Sportanlagen sicherstellen soll.

Für 30.000 Euro sollen „hygienische, vandalismussichere und mechanische Spender für Damenbinden und Tampons“ angeschafft und aufgestellt werden, die eine „kontrollierte Ausgabe“ ermöglichen. Nach zwei Jahren Pilotphase sollen Erfahrungen, Reaktionen und Kosten geprüft werden. Losgehen könnte es 2024.

Jürs begründet auch, weshalb die Versorgung der Mädchen und Frauen mit den Artikeln einen gesellschaftspolitischen Hintergrund hat. „Eine menstruierende Person bekommt ihre Periode in der Regel zwischen dem 11. und 14. Lebensjahr und von da an rund 450-mal in ihrem Leben“, argumentiert Jürs in seinem Antrag. Das sei 450-mal eine Herausforderung, oftmals mitten in alltäglichen Lebenssituationen, aber auch vor besonders aufregenden Momenten wie Klausuren, mündlichen Prüfungen oder Referaten.

Menstruation sei „450-mal im Leben eine Herausforderung“

„Das ist nicht nur ein moralisches, sondern auch ein gesellschaftliches Problem. Eine Woche verpasster Unterricht kann zu einer schlechter abgeschlossenen Schulbildung und infolgedessen zu schlechteren Zukunftschancen führen“, ist Jürs überzeugt und folgert: „Das können wir uns bei allem Fachkräftemangel nicht erlauben.“

Weiter argumentiert der Mann im Namen der Frauen und Mädchen, dass eine Frau durchschnittlich etwa 20.000 Euro im Leben für Menstruationsartikel ausgebe. Die geschätzten monatlichen Kosten für Menstruationsartikel lägen bei 15 Euro, so Jürs. „Das allerdings können sich längst nicht alle leisten. Der Grundbetrag bei ALG-II für Hygieneprodukte – Zahnbürste, Toilettenpapier, Menstruationsprodukte – beträgt 17,14 Euro.“ Folge: Es werde improvisiert mit Klopapier oder Stoffresten. „Dies ist nicht nur entwürdigend, sondern auch gesundheitsgefährdend“, urteilt Jürs im Antrag.

Kostenlose Menstruationsartikel sorgten für bessere Zukunftschancen der Mädchen

Die Norderstedter Schulen und Sportstätten, so Lasse Jürs, „sollten für die menstruierenden Personen unserer Gesellschaft sichere Räume sein“. Und das Angebot kostenloser Menstruationsartikel würde dazu einen guten Teil beitragen. Jürs schließt seinen Antrag – nicht ohne eine gehörige Portion Pathos: „Eine einzige menstruierende Person, welche durch die Bereitstellung dieser Produkte bessere Chancen für ihre Zukunft hat und sich nicht schämt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, ist ein Gewinn, der diese Ausgaben rechtfertigt.“

Schon bevor der Antrag der SPD überhaupt im Ausschuss behandelt wird, löst er eine politische Kontroverse aus. Julia Glagau, bürgerliches Mitglied der Fraktion Freie Wähler und laut Eigenbeschreibung „menstruierende Person mit eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet und Mutter dreier Töchter“, wirft der SPD „billige Wahlkampfpolemik“ vor.

Freie Wähler nennen SPD-Antrag „billige Wahlkampfpolemik“

Wirft der SPD Wahlkampfpolemik vor: Julia Glagau von den Freien Wählern Norderstedt.
Wirft der SPD Wahlkampfpolemik vor: Julia Glagau von den Freien Wählern Norderstedt. © FW Norderstedt

Offenbar nimmt Glagau der SPD nicht ab, ernsthaft hinter dem Thema zu stehen. Glaugau selbst sagt, ihr liege es sehr am Herzen. Und es seien die Freien Wähler gewesen, die vor der SPD eine Anfrage an die Verwaltung gestellt hätten, Zahlen, Daten und Fakten zum Thema vorzulegen, um die Basis für einen erfolgversprechenden, mehrheitsfähigen Antrag zu schaffen. „An dieser Stelle sei nur kurz erwähnt, dass unser Mitglied doch reichlich hämisch belächelt wurde, als er die Anfrage verlas, auch von Ihnen“, sagt Glagau in Richtung der SPD.

Jürs’ Antrag, ist Glagau überzeugt, sei mangelhaft und lasse erahnen, dass er im Ausschuss Gefahr laufe, „förmlich zerredet“ zu werden. „Schleierhaft bleibt mir, warum dieses Pilotprojekt zwei Jahre laufen soll“, sagt Glagau. Unklar ist der Freien Wählerin auch, warum die SPD alle Schulen ausstatten will: „Auch Grundschulen? Wie viele 11- bis 14 -Jährige gibt es dort? Wenn man den Mittelwert nimmt, wann dieses einschneidende Erlebnis im Leben von Mädchen statistisch das erste Mal eintritt, ist das genau diese Altersgruppe.“

Norderstedt: Antrag könnte „totdiskutiert“ werden und im Sande verlaufen

Glagau mutmaßt, der SPD-Antrag werde im Ausschuss bestimmt totdiskutiert, abgelehnt und die Idee verlaufe anschließend im Sande. „Ich wünschte mir, wir würden uns hier darauf konzentrieren, eine teils wirklich schambehaftete, ängstigende und durchaus kostenintensive Situation für 51 Prozent der Norderstedter Kinder zu deren Gunsten zu lösen.“

Ihr Vorschlag: „Starten wir doch lieber die Pilotphase schon in 2023 mit allen acht weiterführenden Schulen, begrenzt auf sechs bis acht Monate.“ Dabei können Eckdaten wie Verbrauch, Verschleiß, Kosten durch den Betrieb und die Wartung ermittelt werden. „Daraus ergebe sich dann auch ein Vorschlag zur Kostendeckung anhand echter Zahlen. Andere Kommunen haben es ganz genau so vorgemacht.“

Menstruationsarmut: Auch in Deutschland ein Problem

Weltweit haben geschätzte 500 Millionen Mädchen und Frauen keinen Zugang zu Menstruationsprodukten. In Deutschland ist es für fast ein Viertel der Mädchen und Frauen finanziell schwierig, sich ausreichend mit Binden und Tampons zu versorgen.

Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von Plan International, an der jeweils 1.000 Frauen und Männer zwischen 16 und 45 Jahren teilgenommen haben. Abgefragt wurden etwa Aspekte wie Kosten (Periodenarmut), Wissensstand, Erleben, Einschränkungen, Reaktionen des Umfeldes sowie Wünsche an Gesellschaft und Politik:

Ausschuss für Schule und Sport, Mi, 1.2., 18.30, Sitzungsraum 2, Rathaus Norderstedt