Kiel/Bad Segeberg. Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ wurde aus dem Programm genommen. Die Debatte geht weiter. Das sagt die Witwe von Pierre Brice.

Die Entscheidung des Ravensburger-Verlags, ein Karl-May-Buch aus seinem Sortiment zu nehmen, schlägt weiterhin Wellen. Der Philologenverband Schleswig-Holstein, Berufsverband der Gymnasiallehrerinnen und -lehrer, kritisiert die Entscheidung massiv.

„Wir sehen hier eine törichte Selbstzensur des Verlages zu Lasten jugendlicher Leserinnen und Leser“, sagt die Verbandsvorsitzende Barbara Langlet-Ruck. Der Verband schließe sich daher „den Vorbehalten an, die auch der frühere Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Präsidentin Karin Prien (CDU) artikuliert hatten.“

Karl May: Bildungsministerin Karin Prien hatte die Entscheidung kritisiert

Karin Prien hatte die Entscheidung, das Buch zurückzuziehen, als „bedauerlich und falsch“ bezeichnet. Sigmar Gabriel hatte getwittert, dass er als Kind Karl Mays Bücher geliebt habe. Sie blieben in seinem Bücherregal, er werde auch den Film mit seinen Kindern anschauen.

Stein des Anstoßes: Der Ravensburger-Verlag hatte kürzlich beschlossen, das Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ aus seinem Programm zu nehmen. Das Buch sollte eigentlich eine Ergänzung zum gleichnamigen Kinderfilm sein, der seit dem 11. August in deutschen Kinos läuft. An dem Buch hatte es aber teils heftige Kritik in den sozialen Netzwerken gegeben. Der Vorwurf: Das Buch bediene rassistische Stereotype aus der Zeit der Kolonisierung indigener nordamerikanischer Völker.

Ravensburger-Verlag begründete Entscheidung mit Kritik aus sozialen Netzwerken

Der Verlag stoppte dann, mit Verweis auf diese Kritik, die Auslieferung. „Wir danken Euch für Eure Kritik. Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben“, hieß es in einer Stellungnahme.

Mit der Entscheidung zog sich der Verlag allerdings wiederum massive Kritik zu. Er knicke gegenüber einer „Cancel Culture“ ein, die nur eine laute Minderheit äußere. Karl May werde dabei in ein falsches Licht gerückt, so der Tenor.

Lehrerverband: „Übersteigerte Political Correctness“

Barbara Langlet-Ruck, Vorsitzende des Philologenverbandes Schleswig-Holstein.
Barbara Langlet-Ruck, Vorsitzende des Philologenverbandes Schleswig-Holstein. © PHV-SH

Diese Haltung vertritt auch der Philologenverband in seiner offiziellen Stellungnahme: „Es ist Unsinn und ein Zeichen von Hysterie, die übersteigerter Political Correctness entspringt, Werke von Karl May aus ihrem historischen Kontext herauszureißen. Mit dem Vorwurfe des `Rassismus` ließen sich auch zahllose andere Schriftsteller früherer Epochen belegen, ohne dass man dem historischen Zusammenhang, der literarischer Aussage oder der Wirkungsabsicht der Texte gerecht würde.“

Barbara Langlet-Ruck sagt: „Wir freuen uns über jede junge Leserin und jeden jungen Leser, wenn sie zum Buch greifen und sich darin verlieren. Da wirkt sich eine solche ängstliche, einknickende Verlagshaltung leider zu Lasten der lesebegeisterten Kinder und Jugendlichen aus.“ Langlet Ruck weiter: „Das schließt natürlich nicht aus, dass Unterrichtseinheiten über Diskriminierung – auch in literarischen Werken – sehr wohl ihren Platz in der Schule haben!“

Was die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg zu der Diskussion sagen

Mit dem Vorwurf, Klischees der Kultur der nordamerikanischen Ureinwohner zu bedienen und auch „kulturelle Aneignung“ zu betreiben, müssen sich indes auch die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg auseinandersetzen. In einer Stellungnahme der Kalkberg GmbH, die die Spiele veranstaltet, heißt es dazu: „Wir zeigen keine echte indianische Kultur und behaupten das auch gar nicht. Wir spielen die Abenteuer aus Karl Mays Traumwelt – einem märchenhaften wilden Westen, den es in dieser Form nie gegeben hat. Auch ist Winnetou keine historische Figur und kein Klischee, sondern ein Idealbild.“

Das sagt die Witwe von Pierre Brice zu der Diskussion

Hella Brice, die Witwe des legendären Winnetou-Darstellers Pierre Brice, ist Rassismus-Vorwürfen gegen den Schriftsteller Karl May entgegengetreten. „Ich kann diesen Vorwurf überhaupt nicht nachvollziehen“, teilte die 73-Jährige am Freitag der Deutschen Presse-Agentur mit. „Wäre Karl May rassistisch gewesen, hätte er Winnetou und Old Shatterhand wohl kaum Blutsbrüderschaft schließen und Seite an Seite für das Gute kämpfen lassen.“

Hella Brice nahm damit Stellung zu der derzeitigen Debatte um kulturelle Aneignung und Rassismus, die nach der Zurückziehung zweier Begleitbücher zu einem neuen Winnetou-Film für Kinder aufgekommen war. Die gebürtige Oberpfälzerin war mehr als 30 Jahre lang mit dem französischen Schauspieler verheiratet. Brice wurde in den 60er Jahren mit den Verfilmungen der Karl-May-Bücher als „Winnetou“ zur Kinolegende. Am 6. Juni 2015 starb er im Alter von 86 Jahren in Paris. Beerdigt ist er in Gräfelfing nahe München, wo Hella Brice heute lebt.

Helle Brice: Botschaft Karl Mays und Werte Winnetous rücken in den Hintergrund

„Ich finde es sehr schade, dass durch diese Diskussion die Botschaft Karl Mays und die Werte Winnetous in den Hintergrund rücken“, gab Helle Brice zu bedenken. Weder die Schauspieler des neuen Films „Der junge Häuptling Winnetou“ und die der vorigen Filme noch die Bühnen, die Karl May heute aufführten, hätten Negatives im Sinn, ganz im Gegenteil. „Mein Mann ist 1991 bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg von den Winnebagos zum Rainbow-Man ernannt worden.“ Sie hätten ihn als Ehrenmitglied in ihren Stamm aufgenommen. Das hätten sie sicher nicht getan, wenn sie sich durch die Darstellung und durch die Sprache Karl Mays angegriffen oder verletzt gefühlt hätten.

„Genau das Gegenteil war stets Pierres Wunsch“, betonte Hella Brice. „Er wollte den Menschen die Kultur der Indianer näherbringen, die Verbundenheit zur Natur, der Wunsch nach Frieden, Freiheit, Toleranz und Respekt, weil das auch seine eigenen Werte waren, für die er sich sein Leben lang eingesetzt hat.“