Bad Segeberg. Anton Grad Schwerin von Krosigk ist seit über einer Woche verschwunden. Die Theorien der Familie, was passiert sein könnte.

Seit Tagen verharrt Wilfried Schwerin von Krosigk mit seinen drei Geschwistern in Bad Segeberg im Haus seines Vaters, der nun schon seit über einer Woche spurlos verschwunden ist. „Diese völlige Ungewissheit ist schrecklich. Es ist eine entsetzliche Lage, in der wir uns befinden“, sagt er.

Am Montagabend, 18. Juli, hat seine Familie Anton Graf Schwerin von Krosigk zum letzten Mal gesehen. Seine Tochter wollte den 97-Jährigen zu einer Sitzung des Rotarier-Clubs in den Holsteiner Stuben im benachbarten Högersdorf fahren. Bevor sie aufbrechen wollten, schloss sie noch schnell die Terrassentür im Untergeschoss des Hauses ab – doch als sie zurückkehrte, hatte sich ihr Vater bereits die Autoschlüssel seines schwarzen Golfs geschnappt und war allein losgefahren.

Ex-Landrat weiter vermisst – Sohn bangt: „Völlige Ungewissheit ist schrecklich“

Seine Smart-Watch hatte der ehemalige Landrat des Kreises Segeberg auf der Ladestation vergessen. Mit der Armbanduhr konnte er auch telefonieren. Er trug sie auf Wunsch seiner Kinder, die sich sorgten, wenn er allein spazieren war.

Sein Portemonnaie samt Ausweis ließ er ebenfalls zu Hause. In der Tasche seiner schwarzen Cordhose hatte er ein wenig Bargeld bei sich. „Wir haben uns zunächst nichts dabei gedacht“, sagt sein Sohn Wilfried. Das sei eine typische Aktion seines Vaters gewesen. „So etwas macht er manchmal. Er hatte gern die Kontrolle über sein Leben.“

Trotz seines hohen Alters sei Graf Schwerin von Krosigk immer noch kürzere Strecken mit dem Auto gefahren. Zwischen seinem Haus in Bad Segeberg und der Gaststätte in Högersdorf liegen nur rund fünf Kilometer. „Das war eine Routinefahrt für ihn“, sagt Sohn Wilfried. Trotzdem ist der frühere Landrat, der 24 Jahre lang im Amt war, nie beim Rotarier-Treffen angekommen.

Kinder suchten stundenlang nach Anton Graf Schwerin von Krosigk

Als der Rentner um 21 Uhr immer noch nicht wieder zu Hause war, fing seine Familie an, sich Sorgen zu machen. Sie alarmierte die Polizei. Die Beamten suchten die ganze Nacht nach ihm. Erfolglos.

Wo ist Anton Graf Schwerin von Krosigk? Diese Frage quält seitdem die Familie. „Es fühlt sich surreal an. Wie im falschen Film“, sagt sein Sohn. Seit Tagen fahren die Kinder sämtliche Straßen in der Umgebung ab. Sie sind bereits stundenlang unterwegs gewesen.

Früherer Landrat ist 97 Jahre alt geworden – und blieb verschwunden

Die Strecke nach Högersdorf zum Landhaus Holsteiner Stuben verläuft fast ohne Abzweigungen. Zweimal rechts abbiegen, einmal links. Normalerweise wäre Graf Schwerin von Krosigk nach zehnminütiger Autofahrt beim Rotarier-Treffen angekommen. Doch er muss eine andere Route eingeschlagen haben.

„Vielleicht ist meinem Vater plötzlich eingefallen, dass er noch etwas für seinen Geburtstag besorgen muss und wollte eine Abkürzung nehmen“, spekuliert Wilfried Schwerin von Krosigk. Am vergangenen Donnerstag ist der Ex-Landrat 97 Jahre alt geworden. Doch auch an diesem Tag blieb er vermisst.

Eine weitere Mutmaßung seines Sohnes: „Er könnte einen Schwächeanfall erlitten haben und aus seinem Wagen ausgestiegen sein. Vielleicht steckten die Zündschlüssel noch und das Auto wurde gestohlen.“ Falls sich die Geschichte wirklich so abgespielt haben sollte, bittet er den Dieb inständig, sich bei der Polizei zu melden und ihr einen anonymen Hinweis zu geben, wo er den Wagen gefunden hat.

Sohn Wilfried Schwerin von Krosigk hält Entführung für „Unsinn“

„Wir klammern uns an jeden Strohhalm.“ Dass sein Vater entführt wurde, wie es in einigen Medien spekuliert wurde, schließt Wilfried Schwerin von Krosigk allerdings aus. „Eine Entführung ist Unsinn. Dann hätte sich ja jemand bei uns gemeldet.“

Der ehemalige Landrat Anton Grad Schwerin von Krosigk 2019 in seiner Bibliothek. Seit einer Woche wird er vermisst.
Der ehemalige Landrat Anton Grad Schwerin von Krosigk 2019 in seiner Bibliothek. Seit einer Woche wird er vermisst. © Frank Knittermeier | Frank Knittermeier

Graf Schwerin sei ein „ausgesprochen fitter“ Mann. „Er ist jeden Tag mehrere Kilometer zu Fuß spazieren gegangen, Fahrrad gefahren und hat im Garten gearbeitet“, berichtet sein Sohn. Auch geistig sei er vollkommen auf der Höhe. „Mein Vater hatte eher die Verfassung eines 70-Jährigen. Wir sind völlig ratlos, was passiert sein könnte.“

Polizei bittet weiterhin um Hinweise zu vermisstem 97-Jährigen

Die Polizei hat diverse Hinweise bekommen – doch keiner führte die Beamten bisher zu Graf Schwerin von Krosigk oder zumindest zu seinem Auto mit dem Kennzeichen SE-SK-1951. „Wir haben derzeit keine wirklichen Ansatzpunkte, wo wir noch suchen könnten“, erklärt Polizeisprecher Lars Brockmann.

Deswegen bittet die Polizei weiterhin um Mithilfe der Bevölkerung. Wer den Ex-Landrat – 1,80 Meter groß und von schlanker Statur mit „kleinem Bauch“ – gesehen hat, soll sich bei der Kriminalpolizei in Bad Segeberg unter der Telefonnummer 04551/884 0 melden.

Nichte Beatrix von Storch verspricht 1000 Euro Belohnung

Nicht nur seine Kinder suchen ihn verzweifelt. Vergangene Woche hat sich auch die bekannte Nichte Beatrix von Storch eingeschaltet. Die AfD-Politikerin verspricht für Hinweise, die zum Auffinden ihres Onkels führen, eine Belohnung von 1000 Euro.

AfD-Politikerin Beatrix von Storch ist die Nichte des vermissten Anton Graf Schwerin von Krosigk.
AfD-Politikerin Beatrix von Storch ist die Nichte des vermissten Anton Graf Schwerin von Krosigk. © dpa | Julian Stratenschulte

Wer einen Blick auf den Familienstammbaum wirft, entdeckt gleich mehrere prominente Namen. Der parteilose Jurist, der vom 1. April 1966 bis zum 3. Juli 1990 genau 8888 Tage Landrat des Kreises Segeberg war, ist eines von neun Kindern des letzten Reichsministers der Finanzen (1932 bis 1945) Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk und seiner Frau Ehrengard.

Graf Schwerin von Krosigk weiterhin vermisst

Dieser diente unter Adolf Hitler und blieb bis zum Ende des Dritten Reiches im Amt. 1949 wurde er als Kriegsverbrecher zu zehn Jahren Haft verurteilt. Ein angeheirateter Urgroßonkel war zudem Karl Marx, der Verfasser des kommunistischen Manifests.