Norderstedt. Diffuser Marihuana-Geruch sorgte für Beschwerden – und eine pauschale Verunglimpfung von 256 Mietern per Brief.

Die Herold-Hochhäuser in Garstedt sind für manches bekannt. Die gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr etwa, oder die vielen Einkaufsmöglichkeiten in direkter Nähe. Dass die Blöcke über dem Herold-Center aber eine Art Eldorado des Haschischrauchens sind, in dem sämtliche 256 Mieter – egal ob alt oder jung, männlich oder weiblich – gern und häufig den Hanfgewächsen zusprechen, hätte man jetzt nicht gedacht.

Es entspricht auch kaum den Tatsachen – dennoch hat die Adlershorst Immobilien GmbH, die die Gebäude verwaltet, jetzt ein ungewöhnliches Schreiben an alle Bewohner geschickt. Darin werden diese persönlich angesprochen und nachdrücklich aufgefordert, doch künftig das Grasrauchen sein zu lassen oder wenigstens einzuschränken. Außerdem, so heißt es im drohenden Ton weiter, sei das Aufbewahren von Haschisch ein Kündigungsgrund.

Gras geraucht? Norderstedter Rentner werden beschuldigt

Marianne Gerhardt ist eine der Mieterinnen, die so ein Schreiben bekommen haben. Die 77-Jährige wohnt an der Berliner Allee, Hausnummer 38a, in einer Wohnung im ersten Stock – seit 50 Jahren. In der ganzen Zeit hat sie sich eigentlich nie etwas zuschulden kommen lassen. Nun aber liegt da dieser Brief von der Hausverwaltung. „Rundschreiben an alle Mieter“ steht zwar in der Betreffzeile, aber dann wird es ziemlich persönlich – und direkt: „Sehr geehrte Frau Gerhardt! Leider ist es in letzter Zeit vermehrt zu Geruchsbelästigung durch Cannabis-Konsum im Gebäude und besonders auf den Balkonen gekommen. Der Geruch drang durch die geöffneten Fenster in die Schlaf- und Wohnzimmer Ihrer Mitmieter. Wir bitten Sie, umgehend Rücksicht auf die anderen Mieter zu nehmen und im Sinne des friedlichen Miteinanders dies zukünftig einzuschränken.“

Dass sie ihren vermeintlichen Konsum immerhin nur „einschränken“ soll, bringt Melanie Gerhardt zum Lachen. Cannabis hat sie allerdings nie ihn ihrem Leben probiert, wie sie betont: „Ich habe vielleicht mal einen Schnaps zu viel getrunken, aber von so etwas bin ich verschont geblieben.“ Auch mit der Hausverwaltung habe sie nie Probleme gehabt und nimmt das ganze Schreiben mit viel Humor – wenngleich darin mit harten Bandagen gedroht wird. So heißt es weiter: „Wir weisen Sie darauf hin, dass das Aufbewahren von Cannabis in der Wohnung eine erhebliche Verletzung des Mietvertrags darstellt. Sollten sie strafrechtlich relevantes Verhalten, wie das Aufbewahren von illegalen Drogen in Ihrer Wohnung nicht unterlassen, sind wir gezwungen, das Mietverhältnis fristlos zu kündigen.“

Ältere Dame versichert: Sie bewahrt keine Drogen in ihrer Wohnung auf

Marianne Gerhardt versichert, keine Drogen in ihrer Wohnung aufzubewahren – sie weiß auch nicht von anderen, die so etwas tun, von belästigenden Gerüchen habe sie nichts mitbekommen. „Das nachbarschaftliche Miteinander ist gut“, sagt sie, Anlass für eine Beschwerde bei der Verwaltung sieht sie nicht.

Ihr Sohn Torben sieht die Sache weniger entspannt, ärgert sich darüber, dass seiner Mutter „anlasslos eine illegale Tätigkeit vorgeworfen wird.“ Leicht verstimmt ist auch Marieanne Oschatz. Die 78-Jährige wohnt im achten Stock, Hausnummer 38. Das Cannabis-Schreiben hat auch sie bekommen, sie sagt: „Ich finde das ärgerlich. Das kann man nicht machen.“

Geraucht habe sie zwar früher einmal, gut – aber das seien ganz normale Zigaretten gewesen, und vor mehr als 30 Jahren habe sie damit aufgehört. Oschatz’ Nachbar Werner M. betont ebenfalls: „Ich rauche kein Cannabis!“ Das Schreiben der Verwaltung sieht der 83-Jährige, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, als „Unverschämtheit.“ Er sieht sich zu Unrecht in eine kriminelle Ecke gedrängt, sagt: „Man kann doch nicht durch die Bank alle Leute verdächtigen und sie mit Kündigung bedrohen.“

Mieterbund verurteilt „Rundschreiben dieser Art“

Ganz ähnlich sieht es der Landesverband Schleswig-Holstein des Deutschen Mieterbundes, dem das Schreiben vorliegt. Der Bund „verurteilt Rundschreiben dieser Art“, sagt die Geschäftsführerin Ann Sophie Mainitz. Es führe zu Irritationen und Verängstigungen bei den Mietern, die in diesem Schreiben einer Straftat bezichtigt würden, die sie nicht begangen haben. Aus ihrer Sicht wäre „eine Anzeige wegen strafrechtlichen Handelns nicht abwegig, da eventuell der Straftatbestand der Beleidigung erfüllt sein könnte.“

Ganz so hoch wollen es Marianne Gerhardt, Marieanne Oschatz und Werner M. nicht hängen. „Lochen und ab in den Ordner damit. Sich ärgern macht alt und hässlich“, sagt Oschatz. Und Marianne Gerhardt sagt: „Ich habe mein Schmunzeln behalten.“

Hausverwaltung: „Mieter hatten sich wegen Cannabis-Geruch beschwert“

Bei der Hausverwaltung ist mittlerweile die Erkenntnis gereift, dass die Herangehensweise nicht eben optimal war. Aber was war da eigentlich los? „Mieter hatten sich bei uns wegen Cannabis-Geruch beschwert. Dem mussten wir nachgehen, alle Mieter sollen ja vernünftig wohnen können“, sagt Kim Kölln, Sprecherin der Adlershorst Baugenossenschaft eG. Die Adlershorst Immobilien GmbH ist eine Tochtergesellschaft, die die Wohnblöcke über dem Herold-Center im Auftrag der ECE Group verwaltet, der die Immobilie gehört. Kim Kölln weiter: „Solche Beschwerden sind nicht immer einwandfrei zuzuordnen. Das ist ein bisschen das Problem.“ Sie räumt aber ein: „Das Schreiben ist ein bisschen schwierig formuliert, das hätten wir besser machen müssen.“

Deutlicher wird Anna Thormählen, zuständige Teamleiterin bei Adlershorst, die etwas später mehr Licht in die Angelegenheit bringen kann. „Das ist von unserer Seite total schief gelaufen. Eine Kollegin hatte den Fehler begangen, dass die Leute persönlich angesprochen wurden.“ Inzwischen seien Entschuldigungsschreiben unterwegs, an alle Anwohner.

Drogen: Die echten Norderstedter Kiffer sind noch nicht enttarnt

Und was ist mit den echten Kiffern – also jenen, die die Sache ins Rollen gebracht haben und offenbar tatsächlich für gelegentlichen Cannabis-Geruch auf Fluren und Balkonen sorgen – irgendwo zwischen Hausnummer 38 und 44? Ihnen ist man bisher nicht auf die Schliche gekommen, räumt Anna Thormählen ein. Damit, dass sie sich aufgrund des Schreibens persönlich melden werden, glaubt Kim Kölln „eher nicht“. Insofern bleibt abzuwarten, ob sich die Grasraucher von der Brief-Aktion beeindrucken lassen – oder vielleicht, angesichts des nun eintreffenden Entschuldigungsschreibens, ein Einlenken nicht für unbedingt zwingend halten.

Vielleicht finden sie ja einfach schönere und geeignetere Plätze für ihr Hobby. Grünflächen gibt es in der Nähe ja, auf die sich – zumindest in der warmen Jahreszeit – ausweichen ließe. Was die Polizei dazu sagt, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Nachbarn würden es ihnen bestimmt danken.