Henstedt-Ulzburg . Kontaktsperre, Reisebeschränkungen, geschlossene Läden: Corona hat das öffentliche Leben nahezu lahmgelegt. Viele Menschen fühlen sich auf sich selbst zurückgeworfen – viele bangen inzwischen auch um ihre berufliche Existenz.
Derweil stehen Helfer im medizinischen Bereich in Kliniken, Praxen und Heimen unter Dauerstress. Sie gehen an ihr Belastungsgrenzen – und einige, wenn es sein muss, weit darüber hinaus.
Wie ihnen in der Krise geholfen werden kann, zeigt das Beispiel Cornelia Pemöller, Unternehmensberaterin und IHK-zertifizierte Coachin aus Henstedt-Ulzburg. Da sie momentan deutlich weniger Aufträge hat, bietet sie zweimal am Tag ein kostenloses Trauma-Coaching für Menschen vor allem im medizinischen Bereich, die dringend Hilfe brauchen, an. Wie es dazu kam, und wie das in der Praxis funktioniert, verrät die Betriebswirtin im Abendblatt.
,,In einer Zeit voller offen zur Schau getragener Solidarität blieb für mich eine Frage unbeantwortet: Was haben die Ärzte, Pflegekräfte, Sanitäter, Supermarktmitarbeiter und Feuerwehrmänner davon, dass sie nun anerkannt systemrelevant sind? Was können sie sich kaufen von dem vielen Mitgefühl, von den angezündeten Kerzen, vom Applaus auf den Balkonen und von dem Dank der Politiker?“, sagt Cornelia Pemöller.
Also begab sich die Henstedt-Ulzburgerin auf die Suche nach etwas, was sie selbst beitragen kann. ,,Ich wollte eine greifbare, echte Hilfe leisten. Zu Hause bleiben? Kann ich. Aber was kann ich noch?“, fragte sich die alleinerziehende Mutter einer achtjährigen Tochter. Als diplomierte Betriebswirtin, Business Coach, systemischer Coach und Expertin im Bereich „Zukunft der Arbeitswelt“ berät sie normalerweise Unternehmen und Führungskräfte auf ihrem Weg in die Zukunft. Die Lübecker Medizinfirma Dräger gehört ebenso zu ihren Kunden wie 3-D-Druck-Betriebe im Norden oder die Stadtwerke in Kaltenkirchen, deren Führungskräfte und Mitarbeiter Pemöller in Sachen Serviceorientierung coacht.
,,Ich bin gut darin zu helfen, Veränderungen zu verarbeiten. Gestärkt aus Situationen hervorzugehen, Traumata und Ängste als gute Begleiter mit auf den Weg zu nehmen, Veränderungen anzupacken und somit heute schon das Morgen gestalten zu helfen. Das sind einige meiner Kernkompetenzen“, sagt sie über sich selbst.
Medizinisches Fachwissen und Erfahrung mit traumatischen Ereignissen kommen ihr in Coronazeiten zugute. ,,Mir wurde klar: Ich kann tatsächlich helfen“, sagt sie. Da ihre Kunden derzeit andere Sorgen haben, als sich um die Entwicklung ihrer Führungskräfte oder die Ausgestaltung ihrer Strategien zu kümmern, sind Teile ihres Kalenders plötzlich leer. Seitdem verschenkt Cornelia Pemöller deshalb an zwei Terminen jeweils eine Stunde täglich an Mitglieder der sogenannten systemrelevanten Berufe, die mit ihr als Fachfrau ihre traumatischen Erlebnisse im Gespräch aufarbeiten.
Die Beratung, die sonst mit ihren Klienten auch schon mal auf einem gemeinsamen Spaziergang erfolgt, gibt es in Coronazeiten ausschließlich per Skype oder Telefon. Nachdem sie ihr Angebot auf Plattformen wie Xing, LinkedIn und Facebook geteilt hat, gelangten ihre Posts in Windeseile zu 3000 Personen und erreichten 12.000 Views.
Im systemischen Coaching gehe es darum, das Zusammenspiel von äußerer Situation und dem jeweiligen Mitarbeiter zu analysieren und in Einklang zu bringen, erklärt Pemöller. ,,Es geht darum, Methoden zu entwickeln, um mit einer Situation anders umzugehen und Menschen auch für Konflikte zu stärken. Ich gebe keinen Ratschlag, sondern arbeite mit öffnenden Fragen, sodass wir gemeinsam auf den Kern des Problems stoßen.“
Anfangs haben sich bei ihr vor allem Helfer aus der von der Pandemie stark betroffenen Region Heinsberg in Nordrhein-Westfalen gemeldet. ,,Eine Krankenschwester sagte mir, sie sei den professionellen Umgang mit dem Tod gewohnt. Trotzdem spürte sie, dass sie wahnsinnig niedergeschlagen ist“, berichtet die Coachin. ,,Ich frage dann: Wie würden Sie sich lieber fühlen? Wie können Sie das erreichen?“
Die Krankenschwester aus Heinsberg verriet der Coachin, dass sie ihre Kinder so gern wieder in den Arm nehmen würde. Es stellte sich heraus, dass sie dies nicht konnte, wenn sie nach einer 16-Stunden-Schicht ihre Wohnungstür öffnete und ihre dreijährige Tochter mit offenen Armen auf sie zugelaufen kam.
,,Die Schwester musste ihrer kleinen Tochter sagen: Bleib stehen! Das hat ihr regelrecht das Herz gebrochen“, berichtet Cornelia Pemöller. Die Lösung klingt im Nachhinein relativ einfach: Die Krankenschwester nimmt sich jetzt nach der Schicht eine Viertelstunde Zeit, um schon in der Klinik zu duschen, bevor sie nach Hause zu ihrer Tochter fährt. Die kann sie jetzt wieder zur Begrüßung direkt in ihre Arme schließen.
Sie bezeichnet sich als „zupackenden Handwerker“
,,Es sind manchmal klitzekleine Dinge, die eine große Wirkung erzielen. „Das Schöne ist, wenn die Lösung vom Klienten selber kommt. Dann ist die Wirkung viel stärker“, sagt Pemöller, die sich selbst als ,,zupackenden Handwerker“ sieht, der dafür sorgt, dass etwas schnell wieder funktioniert. ,,Der Troll wird direkt auf den Tisch gepackt und von allen Seiten angeschaut. Dabei fließen nicht selten Tränen“, sagt sie. Manche Menschen bräuchten oft nur einen kleinen Schubs, um wieder arbeiten zu können. ,,Ich bin nicht die batikbetuchte Tanztherapeutin mit dem selbst gebastelten Holzschild an der Tür, die Stück für Stück herausprokelt, welche frühkindlichen Gründe es für diese oder jene Berufswahl gab“, sagt sie.
Ein anderes Beispiel, wie die Coronakrise Helfer überfordern kann, kommt aus Würzburg. ,,Ein junger Mann, der in einer Notfallpraxis als Vorsortierer arbeitet, wandte sich in seiner Not an mich“, berichtet Pemöller. Der junge Mann musste in der Notfallpraxis blitzschnell entscheiden, ob er einen Patienten auf die rote Spur für Corona-Verdachtsfälle, die gelbe Spur für normale Notfälle oder auf die grüne Spur in den überfüllten Warteraum schickt. ,,Der Pfleger war mit dieser neuen Aufgabenstellung völlig überfordert“, sagt die Coachin.
Der Bruder des Krankenpflegers sei ein angesehener Politiker in Franken, seine Schwester in der freien Wirtschaft erfolgreich. Der Pfleger habe sich schon seit seiner frühen Jugend als unwichtig betrachtet. ,,Wenn ich immer unwichtig war, wie soll ich jetzt auf einmal über Leben und Tod entscheiden?“, habe er ihr gebeichtet.
Die Angst davor, womöglich eine falsche Entscheidung zu treffen, habe dem jungen Mann das Leben zur Hölle gemacht. Auch die plötzliche mediale Aufmerksamkeit für die medizinischen Helfer habe Spuren hinterlassen und ihn völlig überfordert. ,,Das sagt auch gesellschaftlich einiges darüber aus, wie wir diese Berufe vorher gesehen haben. Ich bin sehr gespannt, ob die neue Sicht anhalten wird“, sagt Pemöller.
Inzwischen haben sich zwei weitere systemische Coaches ihrem kostenlosen Angebot angeschlossen. Auf https://corneliapemoellerconsulting.com/kontakt ist Cornelia Pemöller zur Terminabsprache zu erreichen. ,,Es ist wichtig, dass Sie die Dinge, die Sie belasten, verängstigen oder verstören zeitnah mit Experten „von der Seele“ sprechen. Unser Angebot ist kostenfrei, unverbindlich und von Herzen kommend.“
Ausgebildete Coaches und psychotherapeutische Berater mit freien Ressourcen können sich ebenfalls bei ihr melden. ,,Je mehr Menschen wir helfen können, desto besser.“
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Norderstedt