Bildungsministerium schafft Zensuren für Dritt- und Viertklässler grundsätzlich ab, lässt den Schulen aber die Wahl

Norderstedt/Tangstedt. Noten- oder Berichtszeugnisse? An den Grundschulen in Schleswig-Holstein wird heiß diskutiert, wie die Leistungen der Dritt- und Viertklässler künftig bewertet werden. Anlass ist ein Erlass des Bildungsministeriums, der als Standard künftig den Verzicht auf Noten vorschreibt. „Rein rechtlich müssen wir einen Standard vorgeben. Dennoch haben die Schulen die Wahl, wenn die Schulkonferenzen anders entscheiden“, sagt Thomas Schunck, Sprecher des Bildungsministeriums.

„Wir sehen den Erlass als Auftrag, uns mit dem Thema intensiv zu beschäftigen“, sagt Elisabeth Bauer-Plambeck, Leiterin der Grundschule Immenhorst in Norderstedt. Sie vermisst umfassende Informationen aus dem Ministerium und aussagekräftige Alternativen zu den Notenzeugnissen, die Leistung, Wissen, Können und übergreifende Kompetenzen wie Verhalten in der Gruppe, Selbstständigkeit oder Arbeitsverhalten erfassen. Erkenntnisse erhoffen sich die Pädagogen vom Schulentwicklungstag am 30. März, zu dem sie eine Schulleiterin eingeladen haben, die an ihrer Schule ohne Noten arbeitet. Danach wird die Schulkonferenz entscheiden.

„Die Frage, ob Noten oder Berichte besser sind, ist momentan ein heißes Thema unter den Eltern und wird auf allen Ebenen intensiv diskutiert“, sagt Oliver Stüven, Mitglied im Elternbeirat der Grundschule Immenhorst und in der Segeberger Kreiselternvertretung. Die Elternschaft sei in zwei Lager gespalten, die Hälfte sei für, die andere gegen Notenzeugnisse. Er selbst sei bisher ein Noten-Befürworter gewesen, jetzt aber ins Grübeln gekommen, weil die reine Zensur nicht widerspiegele, was das Kind gut beherrscht oder wo sich noch Lücken auftun.

„Eine Drei in Deutsch sagt nicht viel aus. Das kann bedeuten, dass das Kind im Lesen eine Eins, in Rechtschreibung aber eine Vier hat“, sagt Elisabeth Bauer-Plambeck. Zensuren bauten Leistungsdruck auf. Sie habe schon erlebt, dass ein Mädchen in Tränen ausgebrochen sei, weil sie „nur“ eine Drei hatte. Allerdings versuchten sie und ihre Kollegen zu verhindern, dass Grundschüler wegen schwacher Leistungen gehänselt oder ausgegrenzt werden. „Jeder kann was, der Fehler ist dein Freund, er bringt dich weiter“, laute das Motto für den sozialen Ausgleich. Die Schüler seien es gewohnt, unterschiedlich schwierige Aufgaben zu lösen.

Vorerst beendet ist die Diskussion an den Grundschulen Friedrichsgabe und Harksheide-Nord. Beide Schulkonferenzen haben beschlossen, zunächst an den Notenzeugnisse festzuhalten. „Die Eltern tendieren eher zu Zensuren, sie sind mit Noten aufgewachsen – und Ziffern sind greifbar, erlauben sofort Einordnung und Vergleich“, sagt Marianne Lilje, Leiterin der Grundschule Harksheide-Nord. Auch aus ihrer Sicht sind die jetzigen Entwicklungsberichte nicht aussagekräftig genug. Die Elterngespräche, die die Grundschullehrer zweimal im Jahr führen, geben zudem detailliert Auskunft über den Leistungsstand sowie das Arbeits- und Sozialverhalten der Kinder.

Auch die Friedrichsgaber Grundschüler werden weiterhin die bekannten Zeugnisse bekommen. Schulleiterin Anette Korn hatte die Eltern vor dem Beschluss der Schulkonferenz über Vor- und Nachteile von Zensuren informiert. „Sie machen die Leistung einschätzbar und vergleichbar, und die Kinder sind schon an Noten gewöhnt, bevor sie auf die weiterführende Schule gehen“, sagt die Pädagogin. Allerdings werde das Notenzeugnis um ein zweites Blatt ergänzt, das die Fähigkeiten und Lücken schematisiert aufschlüssele.

Die Gemeinde Tangstedt diskutiert ebenfalls darüber, ob die örtliche Grundschule notenfrei wird. „Wir wollen das Meinungsbild so breit wie möglich machen“, sagt Schulleiter Mathias Conrad. „Auch die Dritt- und Viertklässler sollen sagen, wie sie die Zeugnisformen empfinden.“ Eine Arbeitsgruppe befasst sich mit dem Thema, Eltern- und Infoabende bringen alle Mütter und Väter auf den gleichen Stand.

Momentan ist die Tangstedter Grundschule eine von 24 im Kreis Stormarn, wo die Dritt- und Viertklässler noch benotet werden. Ob das so bleibt, entscheidet sich am 12. März. Dann wird die Schulkonferenz einen Beschluss fassen. Die Varianten: Der Status quo könnte bleiben, die Noten könnten abgeschafft werden, oder die Notenzeugnisse werden um umfassendere Entwicklungsberichte erweitert. 16 Personen sitzen in der Konferenz, gesucht wird eine einfache Mehrheit. Bei Gleichstand zählt die Stimme von Schulleiter Conrad doppelt.