In Henstedt-Ulzburg können die ehrenamtlichen Retter die vorgeschriebene 10-Minuten-Frist oft nicht einhalten

Henstedt-Ulzburg . Die eigene Wohnung im Obergeschoss brennt, das Treppenhaus steht ebenfalls in Flammen, als Rettungsweg bleiben die Fenster. Jetzt kann nur noch die Feuerwehr mit einer Leiter helfen – wenn sie rechtzeitig eintrifft. In Henstedt-Ulzburg können sich die Bürger jedoch nicht sicher sein, dass die Retter schnell genug vor Ort sind. Ein Gutachten hat jetzt erstmals das ganze Ausmaß der Situation enthüllt.

Die Leistungsfähigkeit einer Feuerwehr wird an ihrer Reaktion auf einen sogenannten kritischen Wohnungsbrand gemessen – auch die der Freiwilligen Feuerwehr in Henstedt-Ulzburg. Nach maximal zehn Minuten soll die Feuerwehr vor Ort sein, so regelt es der Organisationserlass der Feuerwehren in Schleswig-Holstein. Nur: Die Feuerwehr in Henstedt-Ulzburg schafft das oft nicht. Laut Gutachten kann die Feuerwehr große Teile des Gemeindegebiets nicht innerhalb der vorgeschriebenen zehn Minuten erreichen. Besonders betroffen sind die Gebiete im Norden der Gemeinde und die Bereiche Westerwohld, Ulzburg Süd, Beckershof, Rhen, Horst und Togenkamp. Das ist etwa die Hälfte des Gemeindegebiets.

Das Paradebeispiel für die Schwierigkeiten der Henstedt-Ulzburger Feuerwehr ist die Paracelsus-Klinik im äußersten Süden der Gemeinde. Als dort vor ein paar Jahren bei einem Brand die Norderstedter Wehr zur Hilfe gerufen wurde, kam die Feuerwehr aus Henstedt-Ulzburg erst, als die Friedrichsgaber das Feuer bereits gelöscht hatten und ihre Sachen zusammenpackten, erinnert sich ein Norderstedter Feuerwehrmann. Er fügt hinzu: „Jetzt kommt auch noch das neue Wagenhuber-Gelände hinzu. Die Henstedt-Ulzburger müssen sich etwas einfallen lassen.“

Die Anwohner der gefährdeten Gebiete leben allesamt außerhalb der zwei Bereiche, die unter normalen Bedingungen von der Wehr in der sogenannten Hilfsfrist erreicht werden können. Zu lang ist hier der Anfahrtsweg für die Kameraden. Sie müssen als freiwillige Feuerwehren erst zu einer der Wachen in Götzberg und Henstedt fahren, um dann zum Einsatzort aufzubrechen.

Die Firma Forplan hat die Situation der Wehr im Auftrag der Verwaltung untersucht. Das Sachverständigenbüro hat in der Vergangenheit ähnliche Gutachten auch für andere Kommunen erstellt. Die Berechnungen fußen auf einer Fahrzeitsimulation. Vor Ort waren die Experten also nicht, stattdessen griffen sie auf digitale Abbilder des Straßennetzes und eigens erstellte Geschwindigkeitsprofile zurück.

Die Hilfsfrist von zehn Minuten ist keine willkürlich gesetzte Richtlinie. Ihr zugrunde liegt eine Studie aus den 70er-Jahren. Demnach ist nach 13 Minuten im Rauch die Erträglichkeitsgrenze erreicht. Nach 17 Minuten können die Opfer meist nicht mehr reanimiert werden, nach 18 bis 20 Minuten kommt es zum Vollbrand.

Um die 10-Minuten-Frist einzuhalten, bleiben der Feuerwehr nur zwei Minuten für den eigentlichen Weg von der Wache zum Einsatzort. Acht Minuten vergehen für die Meldung des Brands, die Alarmierung der Kameraden und für den Weg zur Wache, wo die Geräte und Fahrzeuge lagern.

Im Feuerwehrausschuss präsentierte der Gemeindeführer bereits 2012 eine Grafik mit Radien: Bis zu 13 Minuten, so zeigte diese, braucht die Feuerwehr bisweilen. Aber erst jetzt, wo das Gutachten die Mängel gnadenlos auflistet, will Bürgermeister Stefan Bauer Druck machen. Die Gemeinde steht auch rechtlich in der Verantwortung. Kommt ein Mensch zu Schaden, weil die Feuerwehr zu spät kommt, könnte die Verwaltung unter Umständen auf Schadenersatz verklagt werden.

Grund für die schlechten Reaktionszeiten ist nach Bauers Worten vor allem das Wachstum der Gemeinde in den letzten Jahren. Die Wege von den beiden Wachen würden deshalb immer länger. Dazu komme der gestiegene Verkehr. Die Feuerwehrkräfte selbst machten einen „großartigen Job“. Es lasse sich aber nicht leugnen, dass die Leute in einigen Bereichen gefährlicher lebten als in anderen, sagt Bauer.

Gemeindewehrführer Jan Knoll kommt zu einer anderen Bewertung. Den Medien wirft er vor, das Thema „hochzukochen“. Dem Bürger werde Angst gemacht, sagt er.

Die ersten Verbesserungsvorschläge sind gemacht und werden von der Verwaltung geprüft. Auf jeden Fall soll die Feuerwehr wohl intensiv neue Freiwillige für die Feuerwehr suchen. In Zusammenarbeit mit der Gleichstellungsbeauftragten will Bauer sich vor allem um Frauen bemühen. Zudem könnten die Feuerwehrkräfte in Wohnungen ziehen, die näher an den Wachen liegen. Eine teure Option wäre der Bau eines neuen Feuerwehrhauses im Bereich zwischen Norderstedter Straße, Dammstücken und dem Kiefernweg oder auf dem Gelände des Baubetriebshofes. Bauer bringt zusätzlich auch eine Kooperation mit der Feuerwehr in Norderstedt ins Gespräch. In der Tat ist die Strecke zu einem Brand am südlichen Ende Henstedt-Ulzburgs für die Feuerwehr in Friedrichsgabe wesentlich kürzer als für die Wehr der Wache an der Henstedt-Ulzburger Maurepasstraße. Schon jetzt hilft die Norderstedter Wehr bisweilen bei großen Einsätzen aus. Sollte das aber zur Regel werden, müsste ein offizieller Vertrag her – und wohl auch ordentlich Geld gezahlt werden.

Ziel ist es laut Beschluss des Feuerwehrausschusses, bei zumindest 80 Prozent der Einsätze die Hilfsfrist einzuhalten. Wie oft die Frist bisher eingehalten wurde, ist nicht bekannt. Die Feuerwehr wertet alle Einsätze aus, Wehrführer Jan Knoll will das Ergebnis aber nicht öffentlich bekannt geben.