Die Geschichte eines iranischen Flüchtlings in Norderstedt: So wichtig ist der Beruf für das Ankommen in Deutschland

Derzeit leben 130 Flüchtlinge in Norderstedt, 97 werden bis Jahresende noch erwartet. Es ist eine Mammutleistung für die Stadt, diesen Menschen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, ihnen Orientierung zu geben und unsere Sprache und Kultur nahe zu bringen. Der schnellste Weg für die Integration in die deutsche Gesellschaft führt über Arbeit und Ausbildung. Doch für Flüchtlinge ist dieser Weg steinig und voller Hindernisse. Und kaum jemand zeigt ihnen die Richtung: „Wir haben alle Hände voll zu tun mit der Unterbringung der Menschen. Um dieses total wichtige Thema Arbeit können wir uns kaum kümmern – obwohl wir es schleunigst müssten“, sagt Anette Reinders, Sozialdezernentin der Stadt.

Die ersten neun Monate lang dürfen Asylsuchende keinen Finger rühren – weder arbeiten noch eine Ausbildung beginnen. Es ist von der Bundesregierung beabsichtigt, diesen Zeitraum auf drei Monate zu senken. „Wenn man aber weiß, dass 60 bis 80 Prozent der Asylsuchenden in Deutschland bleiben, dann kann man mit der Integration nicht erst beginnen, wenn die Aufenthaltsgenehmigung vorliegt“, sagt Reinders. Sie kritisiert, dass es keine bundeseinheitlichen Konzepte für die frühzeitige Einbindung der Flüchtlinge in die Arbeitswelt gebe. „Wir überlegen, was wir als Stadt an Praktika anbieten können, ob wir soziale Projekte entwickeln zur Beschäftigung oder einen Integrationskursus gemeinsam mit der Volkshochschule.“ Es gehe auch darum, den Alltag der Flüchtlinge sinnvoll zu strukturieren. „Da können selbst Spielnachmittage helfen, weil sie soziale Kontakte schaffen“, sagt Reinders. Um Flüchtlinge aber sinnvoll in Praktika zu vermitteln oder ehrenamtlich zu beschäftigen, müsste man wissen, welche Qualifikation sie mitbringen. Doch das weiß die Stadt im Einzelfall gar nicht. „Wir bekommen nichts gemeldet, nur die Herkunft. Wir haben jetzt unsere Ehrenamtlichen gebeten, diese Daten zu sammeln“, sagt Reinders.

Der Norderstedter Unternehmer Henning Schurbohm hat einen pragmatischen Ansatz. „Wie früher im Hafen müsste es sein: Dort gab es täglich die Ansage, welche Arbeit zu leisten war. Und wer zwei kräftige Hände hatte, konnte anpacken.“ Nun schwebt dem Chef von Elektro Alster Nord keine ausbeuterische Hilfsarbeiterbörse nach amerikanischem Vorbild vor. „Aber Fakt ist: Wir in den Handwerksbetrieben haben die Arbeit. Und in Flüchtlingsunterkünften sitzen Menschen, die qualifiziert sind und die Arbeit leisten könnten. Was also müssen wir tun, um sie schnell in den Betrieb zu holen?“

Schurbohm ist es prinzipiell egal, woher jemand kommt, so lange die Arbeitsleistung stimmt. In seinem Betrieb finden sich viele positive Beispiele für das Modell Integration durch Arbeit. Siamak Sahba, 45, ist eines davon. Vor fünf Jahren kam der Iraner als Asylant nach Deutschland, samt seiner Familie mit drei Kindern. Im Iran ließ er seine Verwandten und seine Firma für die Montage von Alarm- und Gegensprechanlagen zurück. „Deutschland war meine Wiedergeburt“, sagt Sahba. Doch zunächst musste der qualifizierte Fernmeldetechniker in der Asyl-Unterkunft in dem 3000-Seelen-Dorf Hanerau-Hademarschen ein Jahr die Wand anstarren. „Keine Deutsch-Kurse, keine Beschäftigung – nichts.“ Erst mit der Aufenthaltsgenehmigung in der Tasche zog er nach Norderstedt. Hier belegte er Deutsch- und Integrationskurse bei der Volkshochschule. Über eine VHS-Lehrerin bekam er ein Praktikum bei Henning Schurbohm vermittelt.

Heute steckt Sahba mitten in einer dreieinhalbjährigen Ausbildung zum Elektroniker für Gebäudetechnik. „Herr Sahba könnte jetzt über Jahre als Hilfsarbeiter bei mir arbeiten. Aber ich will Nachhaltigkeit. Die deutsche Qualifikation ist der Schlüssel für seine Zukunft“, sagt Schurbohm. In der Berufsschule sei Sahba „der Opa“, wie er sagt: „Sogar der Lehrer ist jünger. Aber das macht nichts.“ Die Sprache sei das wichtigste Problem, an dem er gerade intensiv arbeite. „Im Iran konnte ich meine Meinung aus politischen Gründen nicht sagen. Hier, weil ich die Sprache noch nicht sehr gut spreche. Aber es wird jeden Tag besser.“ Henning Schurbohm hat einen „Riesenrespekt“ vor Sahba. „Alles aufzugeben in seinem Alter, für eine Chance in einem fremden Land – unfassbar.“ Er schätzt die Ernsthaftigkeit, die sein Mitarbeiter an den Tag lege. „Es ist schwierig, solch gute Azubis zu finden.“ Zwei von Sahbas Kinder besuchen noch die Schule, der große Sohn macht das Fachabitur als Grafik-Designer in Neumünster. Die iranische Familie ist angekommen in Deutschland. Doch es hat fünf Jahre gedauert. Siamak Sahba hat viel Zeit verloren.

Und die Flüchtlinge, die jetzt in den Norderstedter Unterkünften sitzen, sind gerade dabei. Ellen Siebert von der Migrationssozialberatung des diakonischen Werkes: „Die Beratung in der Stadt ist absolut nicht ausreichend. Die Erfahrung zeigt, dass es hier nur die Hartnäckigsten schaffen, beruflich in Deutschland Fuß zu fassen.“ So viel Vermittlungsarbeit, wie notwenig wäre, könne derzeit gar nicht geleistet werden. Allein mit der Anerkennung der ausländischen Abschlüsse und der dazugehörigen Dokumente sei man mehr als ausgelastet. „Viele Flüchtlinge mit Aufenthaltsgenehmigung versuchen sich dann mit Handlanger-Jobs und Hilfsarbeit über Wasser zu halten – obwohl sie weitaus besser qualifiziert sind.“ Das sorgt für soziale Folgekosten für den Staat. Denn mit diesen Jobs lassen sich selten Familien ernähren und gesicherte Existenzen aufbauen.