Im siebten Teil unserer Serie erklärt Segebergs Landrätin Jutta Hartwieg ihre Arbeit

Haus Segeberg, 20.10 Uhr. Die Raumpflegerin hat sich gerade verabschiedet, die Zimmer stehen leer, im Gebäude an der Hamburger Straße in Bad Segeberg herrscht Ruhe. Für Jutta Hartwieg ist das der ideale Zeitpunkt, Akten aufzuarbeiten und liegen gebliebene Vorgänge zu bearbeiten. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch, blickt in den Landratspark, lässt manchmal die Gedanken schweifen, arbeitet aber in der Regel konzentriert. Niemand, der sie stört, der etwas von ihr will, der Entscheidungen verlangt. Abende dieser Art kommen im Berufsleben der Landrätin nicht oft vor: Sitzungen hier, Empfänge dort – das sind die täglichen Anforderungen an sie. Das Privatleben der frisch verheirateten Chefin der Segeberger Kreisverwaltung kommt oft zu kurz. Sie weiß es und nimmt es hin. Aber in diesem Zimmer des Landratsamtes, das direkt gegenüber der eigentlichen Kreisverwaltung liegt, ist die Schnittstelle im Kreis Segeberg. Hier laufen viele Fäden zusammen.

Zehn Landräte gibt es in Schleswig-Holstein. Aber nur eine Landrätin. Als Jutta Hartwieg vor sechs Jahren überraschend und mit einer hauchdünnen Mehrheit von wenigen Stimmen von der Bevölkerung gewählt wurde, war das eine Sensation in doppelter Hinsicht. Die von der SPD ins Rennen geschickte Unternehmensberaterin schlug den als haushohen Favoriten gehandelten Kandidaten der CDU und wurde damit Schleswig-Holsteins erste Landrätin überhaupt. Die Landrätin ist als oberste Kommunalbeamtin im Kreis Segeberg Chefin über 782 Mitarbeiter, die in der Segeberger Kreisverwaltung und den Außenstellen tätig sind. Das Organigramm der Kreisverwaltung weist unterhalb der Landrätin fünf Fachbereiche auf (zentrale Steuerung, Ordnungswesen und Straßenverkehr, Soziales, Jugend und Bildung, Gesundheit für Mensch und Tier sowie Umwelt, Planen und Bauen). Jutta Hartwieg ist für alles verantwortlich, hat aber auch einen „Chef“: Das ist der Hauptausschuss des Kreistages. Sie steuert und koordiniert, sitzt mit den Fachbereichsleitern zusammen, lässt sich informieren, entscheidet, ist Blitzableiter und muss auch mal als Zielscheibe herhalten, wenn etwas schief gelaufen ist. So wie in den vergangen Monaten im Jugendamt: Sie wird natürlich nicht in jede tagesaktuelle Entscheidung einbezogen, muss aber die öffentliche Schelte einstecken, wenn es Kritik hagelt. „Die Landrätin hat ihren Laden nicht im Griff“, heißt es dann.

Als Landrätin kennt Jutta Hartwieg auch die ehrenamtliche Seite der Kreispolitik. In den 90er-Jahren war sie einige Jahre Kreistagsabgeordnete der SPD. Aber erst als Landrätin konnte sie erkennen, wie lang die Entscheidungswege in einer Kreisverwaltung tatsächlich sind. „Ich stand unter einem Dauerkulturschock“, sagt die Frau an der Spitze der Kreisverwaltung, die für die Durchführung der von der Politik gefassten Beschlüsse verantwortlich ist. In den sechs Jahren ihrer Amtszeit hat die vom unternehmerischen Arbeiten geprägte Landrätin immer wieder versucht, mit unkonventionellen Denkweisen die starren Verwaltungsschemata und -strukturen aufzubrechen – was ihr nicht immer und überall Freunde beschert hat. Sie weiß es, hat auch erkannt, dass sich eine Behörde nicht wie eine Firma leiten und lenken lässt, hält sich aber zugute, dass in einigen Bereichen durchaus neues Denken eingekehrt ist. Vollkommen neu programmieren lassen sich die Gehirnzellen von Beamten jedoch nicht. Und das ist vermutlich auch besser so. Erkennen, Ziele definieren, dranbleiben, umsetzen – das ist die Arbeitskette, wie Jutta Hartwieg sie sieht. Routine gehört auch dazu.

Jutta Hartwiegs Arbeitstag beginnt um 5.30 Uhr. Dann steht sie unter der Dusche und beginnt, ihren Tag zu strukturieren. Gleich danach wälzt sie Akten, führt erste Telefongespräche von zu Hause aus, „weil der Geist dann wach ist“. So mancher Bürgermeister aus dem Kreis Segeberg hat sich darauf einstellen müssen, dass die Landrätin in aller Frühe anruft. Von ihrer Wohnung in das Landratsamt geht sie nur wenige Minuten – dort erwartet sie das tägliche Chaos. Wohlstrukturiert, versteht sich. Terminbesprechungen mit ihrem Team, Fachdienstleiterrunden, Einzelgespräche mit Fachbereichsleitern – und viele, viele Termine auswärts. Zwei Tage in der Woche Büroarbeit, drei Tage Termine außer Haus, abends Sitzungen der Fachausschüsse oder des Kreistages. Akten werden oft im Auto studiert. Ihr Fahrer hält Leberwurststullen bereit („Weil die nicht so krümeln!“) und nimmt Telefongespräche entgegen, wenn die Chefin den Wagen verlässt, um Termine wahrzunehmen.

Sie besucht Vereine, Verbände, Organisationen, Firmen, Behörden, schafft Verbindungen, hält Kontakte, repräsentiert. Auch an den Wochenenden. Das nimmt einen erheblichen Teil ihrer Arbeit in Anspruch, aber sie erfüllt die Pflichten gerne, denn auf diese Weise erhält sie Informationen, die bei den Amtsgeschäften oft unter den Tisch fallen. „Man muss die Menschen mögen“, sagt sie und freut sich, wenn sie als Katastrophenchefin des Kreises Segeberg eine Jahreshauptversammlung oder ein Jubiläumsfest der Feuerwehren besuchen kann. Dann sind da noch die vielen anderen Beteiligungen des „Konzerns Kreis Segeberg“: Zweckverbände, Eigenbetriebe, Verkehrsgesellschaften, Marketingorganisationen, Stiftungen, Kooperationen oder Genossenschaften – und die Landrätin mittendrin. Aus all dem gehen Arbeitswochen hervor, die 70 bis 90 Stunden ausmachen. „Gegen Gehalt ist die Arbeit nicht aufzurechnen“, sagt Jutta Hartwieg.

Ende August verlässt sie das Landratsamt. Die Bevölkerung hätte sie vielleicht wiedergewählt, aber die Politiker führen ein Eigenleben. Nach ihr kommt Jan Peter Schröder, der wahrscheinlich eine andere Sicht auf die Dinge hat: Als Verwaltungsfachmann, der auch schon in der Kreisverwaltung Segeberg gearbeitet hat, kennt er die Strukturen ganz genau. Jutta Hartwieg wird wohl zurück in die freie Wirtschaft gehen. Sie sondiert den Markt und erwägt Angebote. Auch das Ausland, zum Beispiel London, spielen bei den Überlegungen eine Rolle.