Prof. Christian Martin, Politikwissenschaftler der Uni Kiel, beschreibt Landräte als Verwaltungsexperten, die auch politisches Geschick beweisen müssen

Hamburger Abendblatt:

Chef der Kreisverwaltung oder „Chef des Kreises“ – welche Rolle spielt ein Landrat tatsächlich?

Christian Martin:

Der Landrat nimmt eine Doppelrolle ein. Er ist einerseits oberster Kommunalbeamter und andererseits Beamter auf der unteren Ebene der allgemeinen Landesverwaltung, also auf staatlicher Ebene. Landräte sind hier vor allem Verwaltungsfachleute, die ihre Aufgaben den gesetzlichen Vorgaben entsprechend verrichten. In dieser Doppelrolle fällt der Gestaltungsspielraum vergleichsweise gering aus, zumal die kommunale Selbstverwaltung den Gemeinden den Vorrang gegenüber den Kreisen einräumt.

Wie politisch darf, wie politisch muss ein Landrat sein?

Martin:

Als Verwaltungsbeamter darf er keine Politik machen, er ist kein Politiker in dem Sinne wie ein Ministerpräsident oder ein Abgeordneter Politiker ist. Natürlich kommt einem Landrat aber ein gewisses Maß an politischem Geschick zugute, vor allem bei der Vermittlung zwischen Kommunen und Land. Da kann es widerstreitende Interessen geben, und diese auszugleichen ist auch eine politische Aufgabe. Der Landrat ist in der Literatur als „Mittler zwischen Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung“ bezeichnet worden, als solcher muss er auch politisch agieren.

Welche Möglichkeiten der Einflussnahme hat er einerseits auf die Landespolitik und andererseits auf die Kommunalpolitik in den Städten und Gemeinden?

Martin:

Der Landrat bereitet die Beschlüsse des Kreistages vor, hat also eine nicht zu unterschätzende „agenda setting power“, wie das in der Politikwissenschaft heißt. Wer die Tagesordnung (mit) bestimmt, hat auch Einfluss. Das gilt für den Landrat gegenüber den Gemeinden. Der Landespolitik gegenüber hat er allenfalls informelle Einflussmöglichkeiten, indem er etwa das Gespräch sucht und die Sicht der kommunalen Ebene in den politischen Prozess des Landes einbringt. Man darf hier auch die persönliche Ebene in einem kleinen Land wie Schleswig-Holstein nicht unterschätzen.

Bürgermeister werden direkt gewählt, der Landrat trotz vergleichbarer Aufgaben nicht mehr. Wie sinnvoll ist das?

Martin:

Die damalige große Koalition in Schleswig-Holstein hat die 1998 eingeführte Direktwahl des Landrates 2009 wieder abgeschafft. Die Begründung damals war unter anderem das mangelnde Bürgerinteresse an noch einem Wahlkampf. Ich halte ein anderes Argument für wichtiger: Gerade weil der Landrat in erster Linie Verwaltungsbeamter ist, sollte sein Amt durch die Direktwahl nicht zusätzlich politisiert werden. Mit Blick auf den Verwaltungsaufbau könnte man im Übrigen vielmehr die Direktwahl der Bürgermeister als systemfremdes Element kritisieren.

Haben Kreise Ihrer Einschätzung nach langfristig noch eine Daseinsberechtigung in Schleswig-Holstein?

Martin:

Die Kreisverwaltung übernimmt wichtige Aufgaben, die von den Gemeinden nicht selbst geleistet werden können. Diese Aufgaben, z.B. in der Gesundheitsversorgung, werden nicht weniger und die Leistungsfähigkeit gerade ländlicher Gemeinden wird in der Tendenz in Zukunft aufgrund demografischer Verschiebungen eher abnehmen. Ob man allerdings auf alle Ewigkeit an der derzeitigen Einteilung der Kreise festhalten muss, halte ich für fraglich. Hier könnte es sinnvoll sein, über Konzentration und Konsolidierung nachzudenken.