Die 79-jährige Ina de Raad wollte es genau wissen - und ließ sich freiwillig testen. Etwa 100 Schleswig-Holsteiner machten bereits den Test.

Norderstedt. Mit der Schuld, einen Menschen im Straßenverkehr schwer verletzt oder gar getötet zu haben, könnte sie nicht leben, sagt Ina de Raad, 79. "Wahrscheinlich würde ich mich von der nächsten Brücke werfen, so schrecklich fände ich das." Seit 60 Jahren sitzt die Norderstedterin regelmäßig am Steuer eines Autos. "Und ich habe keinen einzigen Punkt in Flensburg und nie einen Unfall verursacht. Darauf bin ich stolz."

Und trotzdem ist da diese Unsicherheit, die an ihr nagt. Der Sohn, der fragt, wie lange sie eigentlich in ihrem Alter noch durch die Gegend fahren möchte. Ina de Raad wollte beim Autofahren nicht mehr nur ihrer Selbsteinschätzung trauen. Die Seniorin wollte es gerne ein wenig amtlicher.

Jetzt sitzt sie am Steuer ihres VW Golf mit Automatik-Getriebe und neben ihr auf dem Beifahrersitz liegt eine Urkunde in einer Klarsichthülle. Ina de Raad hat den Fahr-Fitness-Check des ADAC bestanden. "Nur zweimal habe ich was falsch gemacht."

Mit Fahrlehrer Siegfried Todzi, der seit mehr als 30 Jahren seine Fahrschule in Norderstedt betreibt, war Ina de Raad 45 Minuten im Auto unterwegs, dazu kamen weitere 45 Minuten Vor- und Nachbesprechung. Todzi ist einer von 17 Fahrlehrern, die in Schleswig-Holstein den Fahr-Fitness-Check für 69 Euro anbieten (ADAC-Mitglieder zahlen 49 Euro).

"Wir waren etwa 40 Kilometer im Stadtverkehr in Norderstedt und auch auf der Autobahn unterwegs", sagt Ina de Raad. Der Fahr-Fitness-Check ist keine Fahrtauglichkeitsexpertise, er ist auch keine abgespeckte Version der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU). "Wenn jemand Mängel beim Fahren zeigt, erfolgt keine Meldung bei den Behörden", sagt Elaine Klein, Fahrsicherheitstrainerin beim ADAC Schleswig-Holstein. Der Check sei eine Momentaufnahme. "Wenn gravierende Mängel vorliegen, berät der Fahrlehrer, wie es weitergehen könnte und woran der Fahrer arbeiten muss", sagt Klein. Die meisten der bisher etwa 100 Teilnehmer, die den Fahr-Fitness-Check in Schleswig-Holstein 2012 gemacht haben, wiesen keine Mängel auf. Wer ganz schlecht Auto fährt, kommt eben erst gar nicht zum Test.

Für Ina de Raad war klar: Wenn sie den Test nicht gut besteht, macht sie Schluss mit dem Autofahren. Obwohl für sie das Autofahren Freiheit bedeutet, wie sie sagt. Sie erinnert sich, wie sie 1952 sechs Fahrstunden nahm, den Führerschein bestand und nun endlich in der Lage war, sich ihren Traum zu verwirklichen, einen eigenen Lambretta-Motorroller. Später fuhren sie und ihr Mann eine Isetta, einen VW Käfer, und mit einem schnittigen Skoda Felicia Sportwagen durchkreuzten sie zusammen ganz Nordamerika. Ina de Raad hat viele Kilometer am Steuer zurückgelegt, heute sind es immerhin noch einige Tausend im Jahr.

Einmal zu nah aufgefahren, etwas zu zügig den Beschleunigungsstreifen der Autobahnauffahrt verlassen und einmal "rechts vor links" missachtet - Ina de Raads Testbilanz war unauffällig. "Der Test beruhigt mich, und ich kann jedem Senior nur empfehlen, ihn zu machen."

Die Freiwilligkeit dieser Tests ist laut ADAC der beste Weg, Senioren am Steuer zur Überprüfung ihrer Fahrtüchtigkeit zu bewegen. Der größte deutsche Autofahrer-Verein lehnt gesetzlich vorgeschriebene Untersuchungen nach wie vor ab. Denn nach wie vor seien es nicht die Senioren, die für die meisten schweren Unfälle in Deutschland sorgen. Das belegen auch die Zahlen der in der vergangenen Woche erschienenen Analyse des Statistischen Bundesamtes zu Unfällen von Senioren im Straßenverkehr 2011. Die etwa 16,9 Millionen Menschen von mindestens 65 Jahren in Deutschland machen 20,6 Prozent aller Deutschen aus. Als Beteiligte an Unfällen mit Verletzten oder Toten hatten die über 65-Jährigen 2011 aber nur einen Anteil von 11,8 Prozent.

Im Jahr 2011 verunglückten insgesamt 45 388 Menschen im Alter von 65 oder mehr Jahren im Straßenverkehr, fast 50 Prozent davon kamen als Auto-Insassen zu Schaden. Überwiegend waren Senioren als Fahrer an einem Unfall mit Verletzten oder Toten beteiligt (62,7%). Und sie trugen sehr häufig, in 67 Prozent der Fälle, die Hauptschuld. Bei den mindestens 75-Jährigen liegt diese Quote sogar bei 76,3 Prozent. In Schleswig-Holstein sind Senioren besonders häufig an Unfällen beteiligt. Auf 100 000 Senioren kommen 143, die als Fahrer oder Mitfahrer in einem Auto verunglückten. Nur noch die Bayern (160) liegen in dieser Statistik vor den Schleswig-Holsteinern, der Bundesdurchschnitt liegt bei 123 Senioren. Die häufigste Unfallursache ist der Vorfahrtsfehler (18,5 %), gefolgt von Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren sowie Ein- und Anfahren (17,2%).