Gartenfreunde in Norderstedt klagen über mysteriöses Verschwinden von Hortensientrieben. Die Polizei nimmt die Meldungen vom Diebstahl ernst.

Norderstedt. Dröhnt es, schmeckt es oder sieht das Zeug nur gut aus und lockt deswegen Diebe an? Wellenartig und unbewiesen wie die Gerüchte um organisierten Katzenklau oder Spinnen in Yucca-Palmen breiten sich regelmäßig bundesweit die Berichte über gekappte Hortensien aus. Jetzt hat es Norderstedt erwischt, genauer gesagt den Ortsteil Harksheide. Seit Januar schleichen sich Unbekannte durch winterliche Gärten an die Büsche von Hydrangea macrophylla (Gartenhortensie) heran, schneiden gekonnt und flink die Ästchen ab und verschwinden in der Dunkelheit des schlafenden Norderstedts. So erzählen es sich viele Harksheider.

Darunter sind nicht nur Spökenkieker und vergessliche Gartenfreunde, denen eigene Beschnittaktionen entfallen sind, sondern auch ernst zu nehmende Zeugen. Eine von ihnen ist Sabine von Hardenberg. Sie und ihre Nachbarn sind sicher, dass Fremde sich über die Hortensiensträucher hergemacht haben - mit System. Denn der Täter habe an den meisten Pflanzen nicht alle Triebe abgeschnitten, sondern einige unbeschadet stehen gelassen, sagt Sabine von Hardenberg. Jetzt rätselt sie, ob der Täter eine "Reserve" für das nächste Jahr übrig lassen will.

Bleibt der Unbekannte seinem Rhythmus treu, kommt er nämlich im kommenden Winter wieder. "Das geht schon seit Jahren so", sagt Sabine von Hardenberg über den Hortensienklau. Immer nach einer Frostperiode kommt der Täter mit dem Schneidwerkzeug. Außer im Winter 2009/2010, der außergewöhnlich streng ausfiel. Da verschmähte er den Hardenbergschen Garten. Sabine von Hardenberg und ihre Nachbarn am Walter-Gropius-Weg vermuten, dass die Kälte zu lang anhielt und die Pflanzen verfroren waren.

"Wir schließen aus, dass es Tiere waren", sagt die Norderstedterin, die Verluste an einem Busch und drei Topfpflanzen zu beklagen hat. Infrage kämen allerhöchstens Hasen oder Rehe, doch die wurden am Walter-Gropius-Weg in den letzten Jahren noch nie gesichtet.

Sabine von Hardenberg ist oft mit ihrer Mischlingshündin Julie in der Gegend unterwegs und lugt zu Winterszeit besonders aufmerksam in die Nachbargärten. Dort sieht es vielfach aus wie auf ihrem häuslichen Grün: Die Stängel sind abgeschnippelt. Sabine von Hardenberg hat intensiv im Internet recherchiert, was es mit dem Hortensienklau auf sich haben könnte, ist jedoch auf kein eindeutiges Ergebnis gestoßen. Die wahrscheinlichste Variante lautet: Das Zeug wird geraucht und benebelt den Konsumenten wie Haschisch.

Tatsächlich gehört der Hortensienklau zu den letzten ungelöste Rätseln der Moderne. Auch das allwissende Online-Lexikon Wikipedia weiß nichts darüber zu berichten. Dort findet sich nur der Hinweis: "Die Gartenhortensie (Hydrangea macrophylla) ist ein beliebter Zierstrauch, dessen Wildform aus Japan stammt. Charakteristisch sind die schirmförmigen Blütenstände, deren Schauapparat von sterilen Blüten mit großen, gefärbten Kelchblättern gebildet wird."

Auch Umfragen bei den Norderstedter Gärtnern dienen nur begrenzt der Wahrheitsfindung. "Das ist meistens ein gerader Schnitt", hat ein Mitarbeiter der Firma Lüdemann gehört. Hätten Tiere an den Pflanzen gekaut, müssten Risse erkennbar sein. Dass Hortensien einen preiswerten Rausch ermöglichen sollen, kann sich der Mann von der Gärtnerei kaum vorstellen. Er glaubt: "Das sind Menschen, die sich das zur Deko holen."

"Das kommt immer mal wieder vor", sagt Polizeisprecherin Sandra Rüder über das Vorgarten-Mysterium. Auch sie hat schon gehört, dass man Hortensien angeblich rauchen kann. Die Rauschgiftexperten bei der Kriminalpolizei beschäftigten sich jedoch nicht mit diesen Gerüchten, betonte sie. Zudem sei unklar, ob der Genuss überhaupt verboten sei.

Könnte auch sein, dass der Rausch aus dem Garten das Hirn angreift. In einem Bericht über den Hortensienklau zitierte die "Bild" im vergangenen Jahr eine Apothekerin mit den Worten: "Beim Rauchen werden Blausäureverbindungen frei. Es entstehen - ähnlich wie bei Haschisch - Euphorie und Halluzinationen. Die Wirkung ist unberechenbar. Von einem Konsum ist dringend abzuraten."

"Ein großes Rätsel", sagt auch ein Beamter des Polizeireviers Norderstedt über den Hortensienklau. "Das taucht immer mal wieder auf." Die Polizei nehme die Meldungen ernst, nehme sie aber nicht zu Protokoll. "Wir haben keine Ansätze für eine Straftat." Nicht ganz so ernst nahm ein Beamter der Polizei in Henstedt-Ulzburg die Berichte, als die Norderstedter Zeitung vor wenigen Jahren zum ersten Mal über die rätselhaften Schnippler berichtete. Er präsentierte eine Täterbeschreibung: "Besondere Kennzeichen des Täters: Auffallende Schneidezähne, lange Ohren, stark beharrt und eine Panzerknackermaske vorm Gesicht."

Klarheit hätte die Kamera-Überwachung des Hardenbergschen Gartens schaffen können. Die Familie wollte die Anlage in diesem Winter installieren, der Plan geriet jedoch in Vergessenheit. "Jetzt ärgern wir uns", sagt Sabine von Hardenberg.