28 Bundespolizisten aus Bad Bramstedt leiten den Großeinsatz beim Atommüll-Transport ins Zwischenlager Nord bei Lubmin.

Bad Bramstedt. Sogar die Leinwand für die Live-Bilder aus der Hubschrauberkamera haben die Polizisten mitgebracht. Die Rechner für den Großeinsatz kommen aus Bad Bramstedt, die Monitore und Telefone auch. Auf den Lastwagen der Bundespolizei war außerdem Platz für Tische, Stühle und Schränke, die jetzt in einem kahlen Besprechungsraum im Polizeizentrum von Anklam in Mecklenburg-Vorpommern stehen. Wenn am Donnerstag der Castor-Transport im 20 Kilometer entfernten Zwischenlager Lubmin eintrifft, sitzen auf den Stühlen Bundespolizisten, funken und telefonieren mit ihren Kollegen an der Strecke. Führungsstab nennt sich die 28-köpfige Gruppe, die den kompletten Einsatz leitet und Personal und Ausrüstung aus Bad Bramstedt gleich mitgebracht hat.

An der Spitze des langen Tisches sitzt der Chef. "P ist eingetroffen", sagen die Polizisten, wenn er im Führungsstab das Kommando übernimmt. Der Buchstabe steht für seinen Titel: Präsident. An normalen Tagen leitet P, der Joachim Franklin heißt, die Direktion der Bundespolizei in Bad Bramstedt. Heute stehen seinen Beamten und ihm einer der härtesten Einsätze der vergangenen Jahr bevor: In Lubmin, einem Ferienort an der Ostsee, protestieren Menschen aus ganz Deutschland gegen die Ankunft eines Transports mit Atommüll ins Zwischenlager. Organisation und Einsatzleitung - das sind die Aufgaben der Bramstedter Bundespolizisten bei diesem Einsatz, der inoffiziell als "Gorleben light" gilt.

Hunderte Menschen protestieren gegen die Ankunft der strahlenden Fracht

Nicht Zehntausende, aber immerhin Hunderte Menschen werden gegen die Ankunft der strahlenden Fracht protestieren. Dass es dabei nicht überall legal zugehen wird, weiß die Polizei spätestens seit dem Wochenende. Bei Patrouillen auf den Gleisen zwischen Greifswald und dem Zwischenlager entdeckten Bundespolizisten Vorbereitungen für Gleisblockaden mit Menschen und Sperren. Außerdem wurde offenbar "geschottert". Eine strafbare Protest-Variante, die beim jüngsten Gorleben-Transport vor wenigen Wochen viele Anhänger auf die Bahndämme lockte. Sie wühlten Schotter unter den Schienen hervor, um den Atomzug zu stoppen.

Zuständig ist der importierte Führungsstab aus Bad Bramstedt nicht nur für die letzten Gleis-Kilometer bis zum Endlager der Energiewerke Nord (EWN). Die 28 Männer und Frauen leiteten von Anklam aus außerdem den kompletten Einsatz Tausender Bundespolizisten, die den Transport von der deutsch-französischen Grenze bis nach Mecklenburg-Vorpommern gesichert haben.

Die Anklamer Polizisten haben ihre Büros für die Kollegen geräumt

Die meisten Anklamer Polizisten haben ihre Büros für die Kollegen geräumt, die im Polizeizentrum organisieren, was draußen an den Gleisen läuft. Außer den Mitgliedern des Führungsstabs sind Dutzende weiterer Polizisten aus Schleswig-Holstein in die Kleinstadt gereist. Im nordöstlichen Mecklenburg-Vorpommern ist kaum noch ein Zimmer in Hotels, Pensionen und Jugendherbergen frei. Beim Castor-Transport in Gorleben schlafen die Polizisten nach ihren Zwölf-Stunden-Schichten in Containerdörfern. Im kalten Winter in Vorpommern sind jedoch feste Unterkünfte mit Frühstück gefragt.

Die Vorbereitungen für die Sicherung des Atommülltransports haben in der Bramstedter Direktion bereits im Spätsommer begonnen. Dabei ging es nicht nur um Tische und Stühle für den Führungsstab. Für den Einsatz in der Kälte muss alles beschafft werden, was die Polizei für einen tagelangen Job braucht - vom Mülleimer über den Wasserwerfer bis zur Gulaschkanone. Das 18-köpfige Organisationsteam ist bereits am 6. Dezember in den leer geräumten Büros in Anklam eingezogen.

P folgte am Sonntag. Per Auto und aus dem Hubschrauber erkundete der Polizeipräsident die letzten Kilometer der Strecke, über die der Transport in das Zwischenlager rollen wird. Sämtliche Straßen- und Schienenzufahrten hat die Polizei schon zu Wochenbeginn mit Posten und scharfkantigen Drahtrollen gesichert. Damit niemand in der Dunkelheit versehentlich in die Hindernisse rennt und sich verletzt, sind die Sperren beleuchtet. An jedem Bahnübergang in der Region stehen Tag und Nacht Streifenwagen. Auf den Gleisen gehen Polizisten bei eisigem Wind Streife. Entdecken sie Manipulationen an Bahndamm und Schienen, informieren sie die Führungstruppe von P.

"Unser Ziel ist, einen störungsfreien Bahntransport zum Zwischenlager zu gewährleisten und den Transportzug und gefährdete Objekte zu schützen", sagt Franklin der Norderstedter Zeitung. Gemeinsam mit der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern werde die Bundespolizei friedliche Versammlungen schützen, aber "konsequent" gegen Störaktionen vorgehen. Der Führungsstab der mecklenburg-vorpommerschen Kollegen, der sich um die Sicherheit außerhalb der Gleise kümmert, arbeitet ein Zimmer weiter. Wenn es eilt, funktioniert die Kommunikation beider Behörden auf Zuruf.

Dass Aktionen auf den Gleisen nicht nur verboten, sondern auch gefährlich sein können, betont Franklins Sprecher Stefan Perschall. Bis auf den kleinen Abschnitt von Greifswald zum Zwischenlager Lubmin fahren auf allen Gleisen reguläre Güter- und Personenzüge. Wer dort die Gleise blockiert, riskiert sein Leben.

Der 475 Meter lange Sonderzug mit den vier Atommüllbehältern ist in der Nacht zum Mittwoch im südfranzösischen Cadarache gestartet. Der Zug ist aufgebaut wie bei einem Gorleben-Transport. In der Mitte rollen vier Wagen mit je einem Atommüllbehälter. Davor und dahinter befinden sich Personenwagen mit Spezialeinheiten der Polizei. Die genaue Route, die der Führungsstab stets im Blick hat, ist geheim. Wo sich größere Protestaktionen anbahnen, kann der Transport auf dem 1000 Kilometer langen Weg durch Deutschland auf Alternativrouten ausweichen - allerdings nicht auf dem letzten Stück. Vor Lubmin steht nur eine eingleisige Strecke zur Verfügung, an deren Rändern die Bäume abgeholzt wurden. Wenn Hunderte Polizisten das Gleis schützen sollen, brauchen sie Platz. Bis auf die mannshohen Zäune, Scheinwerfer, schweren Tore und die Polizeifahrzeuge am Eingang wirkt das Lager Lubmin unscheinbar wie die Halle eines großen Logistikunternehmens. Daneben stehen, ebenfalls umzäunt, gigantische Betonwürfel mit Tschernobyl-Charakter. In dem einstigen und mittlerweile leer geräumten Atomkraftwerk sowjetischer Bauart produzierte die DDR Strom.

Tausende Arbeiter sorgten für den halbwegs reibungslosen Betrieb der Anlage, zu der eine Krankenstation mit den Ausmaßen eines Plattenbaus gehörte. In einem Zelt daneben dampfen heute die Suppen am "Einsatzabschnitt Versorgung". Acht mobile Einsatzküchen hat die Bundespolizei aufgebaut, um bis zu 2000 Polizisten zu versorgen. An Verpflegung mangelte es von Anfang an nicht, aber an funktionierenden Leitungen für Frisch- und Abwasser. "Alles war eingefroren", sagt der Leiter des Versorgungspunkts Lubmin, Uwe Hoffmann. Inzwischen kann er jedoch garantieren, dass sich jeder Polizist rund um die Uhr in einem beheizten Zelt am Zwischenlager satt essen und - noch wichtiger - mit heißen Getränken aufwärmen kann.

Die Kälte macht Polizisten und Demonstranten zu schaffen

"Das Wetter spielt bei diesem Einsatz eine besonders große Rolle", sagt Polizeisprecher Perschall. Schnee und Kälte machen Polizisten und Demonstranten gleichermaßen zu schaffen. Die Protestbewegung hat ihre Pläne für ein Lager an der Strecke inzwischen aufgegeben und ankündigt, lediglich fünf beheizte Zelte aufzustellen. Die beißende Kälte auf dem dünn besiedelten platten Land im Nordosten dürfte einer der Gründe sein, dass der Lubmin-Transport zwar Atomkraftgegner anzieht, dabei aber nur die Dimension "Gorleben light" erreicht. Bereits vor dem Start des Zuges in Cadarache hatte die Polizei festgestellt, dass die Szene bei Weitem nicht so mobilisiert war wie bei den inzwischen traditionellen Castor-Touren ins Wendland. Von der Symbolkraft Gorlebens und den Plänen, dort ein Endlager zu bauen, ist Lubmin weit entfernt. Doch diese Erkenntnis macht die Anspannung im Führungsstab und die Kälte an der Bahnstrecke nicht erträglicher.