Ob Fluglärm, Gastschüler oder AKN - bei wichtigen Themen gibt es Streit zwischen der Metropole und den Umlandkreisen

Kreis Segeberg. Vor 50 Jahren, als die Arbeitsgemeinschaft (AG) der Hamburg-Randkreise ins Leben gerufen wurde, war das Verhältnis der ländlichen Nachbarn aus dem Norden zur Großstadt Hamburg eine David-Goliath-Nummer. Wie "Landmäuse in der großen Stadt", so die Segeberger Landrätin Jutta Hartwieg, hätten sich einst die Repräsentanten der Landkreise Segeberg, Pinneberg, Stormarn und Herzogtum Lauenburg gefühlt. Dank einer "Erfolgsgeschichte kreisübergreifender Kooperation" seit 1960 fühlen sich die führenden Vertreter der Randkreise nun jedoch auf Augenhöhe mit der Hansestadt.

Zum 50. Geburtstag der AG gaben sich die Verwaltungschefs, zu denen inzwischen als assoziierte Mitglieder auch die aus den Kreisen Steinburg und Dithmarschen zählen, als Pragmatiker. Im Sinne bestmöglicher Arbeit zugunsten der mehr als 1,2 Millionen Menschen, die zwischen Heide und Ratzeburg leben, kritisierten die Landräte politische "Kleinstaaterei". Stormarns Verwaltungschef Klaus Plöger forderte das "Niederreißen von unnötigen Grenzen" ein. Als "Scharnier" zwischen Hamburg und Kiel sei es auch Aufgabe der AG, "die Landesregierung zu treten, zu treiben und zu quälen".

Kollektiv kritisierten die Landräte aus dem Hamburger Umland den Streit um die sogenannten Gastschüler, die zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg pendeln. So könne es nicht angehen, dass ein Schüler, der in Norderstedt direkt an der Grenze zu Hamburg lebt, bis nach Lübeck zur Berufsschule fahren müsse. Die Verhandlungen über die Finanzierung des Gastschulabkommens sind gerade geplatzt. 6226 Schleswig-Holsteiner besuchen staatliche und private Schulen in Hamburg, aber nur 1001 junge Hamburger schleswig-holsteinische Schulen. Das macht, haben die Hamburger ausgerechnet, ein jährliches Minus von 22,5 Millionen Euro. So viel wollen die Schleswig-Holsteiner aber nicht zahlen. In Norderstedt gibt es 56 Gastschüler aus Hamburg, 397 junge Norderstedter lernen in der Metropole. Der Weg nach Hamburg ist nicht weit, schon immer machten Jugendliche aus Norderstedt an Hamburger Schulen ihre Abschlüsse. Die Großstadt hat viele Angebote wie Privat- und Berufsschulen, die es in Schleswig-Holstein nicht gibt. Andere flohen vor der Profiloberstufe, und noch immer hält sich das Gerücht, dass in Hamburg das Lernen leichter sei.

Ging es der Randkreis-Kooperative in früheren Jahrzehnten um gemeinsame Mega-Projekte wie das Großklärwerk in Hetlingen, schreibt man sich heute vor allem auch die gemeinsame Wirtschaftsförderung auf die Fahnen. Ziel sei es, sich "bundesweit besser zu vermarkten", so Jutta Hartwieg. Dies gelte auch für den Bereich Tourismus. Beim Thema Wirtschaftsförderung gibt es jedoch nur einen kleinen gemeinsamen Nenner : Entlang der Autobahn 7 ziehen der Kreis Pinneberg mit Quickborn, der Kreis Segeberg mit Norderstedt, Henstedt-Ulzburg, Kaltenkirchen und Bad Bramstedt sowie Neumünster an einem Strang: Das Modell Nordgate ist ein Erfolgsprojekt. Ansonsten aber: Eine großräumige Kooperation ist nicht in Sicht - noch nicht einmal ganz klein am Horizont. Im Gegenteil: Die Kreise Segeberg und Pinneberg, die viele Jahre eine gemeinsame Gesellschaft zur Wirtschaftsförderung betrieben, haben diese Kooperation gerade beendet. Der Kreis Segeberg hat eine eigene Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft gegründet. Sie nimmt am 1. Oktober ihre Arbeit auf. Der Kreis Stormarn wurschtelt mit Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft Stormarn (WAS) ebenfalls allein vor sich hin. Außerdem gibt es die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Kreis Herzogtum Lauenburg.

Streitpunkt seit Jahrzehnten ist der Fluglärm. So müssen die Norderstedter und die anderen Umlandbewohner 41 Prozent des gesamten Fluglärms verkraften, bei den Starts sind es sogar 53 Prozent, immerhin 41 125 im vorigen Jahr. Trotz Nachtflugbeschränkungen schrecken die Norderstedter auch nachts immer wieder aus dem Schlaf. Ob Urlaubsflieger oder Europa-Cup-Spiele - die Airlines bekommen regelmäßig Ausnahmegenehmigungen und nehmen Bußgeld von 150 oder 180 Euro gern in Kauf. Bisher sind alle Versuche gescheitert, den Lärm aus der Luft gerechter zu verteilen.

Gescheitert ist auch eine Kooperation, für die der frühere schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) vor einigen Jahren noch euphorisch den Flughafen-Zaun niederreißen wollte: die länder- und städteübergreifende Lagerung und Logistik der Luftfracht. Der Zaun steht noch. Der Flughafen Fuhlsbüttel schaffte eigene Kapazitäten und Investor Garbe baute im Norderstedter Gewerbegebiet Nordport für 50 Millionen Euro das World-Cargo-Center. Ursprünglich wollte Garbe dem steigenden Umschlag von Luftfracht gemeinsam mit dem Flughafen begegnen.

Mit 12,4 Millionen Passagieren pro Jahr gehört die AKN zu den wichtigsten Verkehrsmitteln zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein. 50 Prozent der Anteile an dem Eisenbahnunternehmen gehören der Stadt Hamburg, doch das Interesse der zuständigen Behörde für Stadtentwicklung an der AKN ist offensichtlich gering. Schickt der zweite große Anteilseigner, das Land Schleswig-Holstein, einen Minister oder Staatssekretär zu AKN-Veranstaltungen, glänzt Hamburg zuweilen durch Abwesenheit. Fragen Journalisten bei der Behörde nach strategischen Zielen wie der S-Bahn nach Kaltenkirchen oder der Privatisierung des Aktienpakets, sind die Antworten ausweichend. Insider vermuten, dass die Hamburger sich eher für eigene Projekte wie die U4 interessieren.