Bettina H. hatte viel Kraft, gab immer 100 Prozent. Bis die Psyche streikte, sie hatte Burn-out. Jetzt tastet sie sich wieder an Vollzeit-Job ran.

Sie hat die Alarmsignale ignoriert: Keine Lust mehr, mit Freunden zu telefonieren, zum Sport oder nach draußen zu gehen, zu shoppen. Fröhlich war sie immer, doch irgendwann, so sagten die anderen, lachten die Augen nicht mehr, hingen die Mundwinkel nach unten. "Ich habe wie tot dagelegen, konnte aber nicht entspannen, sondern spürte ständig Druck. Und dann saß ich zu Hause auf der Treppe und habe stundenlang geheult, einfach so", sagt Bettina H., die ihren richtigen Namen nicht nennen will. Was sie aus der Bahn geworfen hat, macht sich nicht unbedingt gut im Karriereplan. Die 29-Jährige litt unter Burn-out, bekam von Arzt und Arbeitgeber, dem Hummel-Küchenwerk in Norderstedt, eine Auszeit verordnet und tastet sich jetzt stundenweise wieder an den Vollzeit-Job ran.

Burn-out, ausgebrannt und erschöpft sein, antriebslos - jeder neunte Deutsche leidet inzwischen unter diesem Krankheitsbild. Politik wie Wirtschaft haben erkannt, dass immer mehr Menschen an ihre physischen und psychischen Grenzen stoßen oder sie überschreiten. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat für dieses Jahr eine große Anti-Stress-Initiative angekündigt.

Beruf und Familie - eine doppelte Belastung, die viel Kraft kostet

Die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Hamburg haben zusammen mit den Handelskammern Hamburg und Lübeck unter dem Motto "Burn-out-Fallen umgehen" Ende 2011 einen gemeinsamen Info-Abend in Norderstedt organisiert, an dem rund 100 Führungskräfte und Unternehmer teilgenommen haben. "Es ist ja nicht nur die wachsende Arbeitsdichte allein. Vor allem Frauen erleben berufliche Anforderungen und familiäre Verpflichtungen oft als hohe Doppelbelastung", sagte Tamara Zieschang, Staatssekretärin im Kieler Wirtschaftsministerium. Daher bedeute der Kampf gegen Burn-out zugleich ein Engagement für familienfreundliche und flexible Arbeitsplätze.

"Da haben wir einiges getan", sagt Olaf Hahnefeldt, kaufmännischer Leiter im Hummel-Küchenwerk. Das Norderstedter Familienunternehmen, das seit mehr als 90 Jahren Qualitätsküchen produziert, hat die Arbeitszeit individualisiert. Die Mitarbeiter können die Regelarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche nach ihrem Lebensplan einteilen. "Väter wollen gern am frühen Nachmittag die Kinder von der Kita abholen, ein Mitarbeiter fährt für zwei Stunden nach Hause, damit seine Frau, die ihren Vater pflegt, mal das Haus verlassen kann", sagt Hahnefeldt.

Wer aus privaten Gründen mal kürzer treten will, kann weniger arbeiten

Gleitzeit ist ohnehin selbstverständlich, die jährlichen Arbeitszeitkonten können um bis zu 100 Stunden über- oder unterschritten werden. Kaufleute erledigen ihre Aufgaben zu Hause, es gibt zehn Telearbeitsplätze. "Und wer aus privaten Gründen mal kürzer treten will, kann weniger arbeiten", sagt Hahnefeldt. Die arbeitnehmerfreundliche Firmenphilosophie stützt sich auf die Ergebnisse einer Umfrage: "Für die meisten der rund 100 Mitarbeiter war nicht das Geld am wichtigsten. Priorität hat, dass die Atmosphäre stimmt und sie Privatleben und Job in Einklang bringen können", sagt der kaufmännische Leiter.

Er geht offen mit dem Burn-out-Syndrom um. Einige akute Fälle gebe es im Unternehmen, bei vier Betroffenen liege eine medizinische Indikation vor. Meist löse aber nicht nur Überlastung im Job allein die Erschöpfung aus. Stress dominiere auch die Freizeit, ständige Erreichbarkeit, Mitschwimmen in den sozialen Netzwerken, nichts verpassen, Probleme in der Familie - die Flut an Reizen und ständige Anforderungen seien kaum zu verarbeiten.

Doch der Küchenbauer akzeptiert das nicht nur, sondern unterstützt so weit wie möglich. "Wir haben gut ausgebildete Fachkräfte, die wir gern halten wollen", sagt Hahnefeldt, der Betroffenen die Angst nimmt, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Die Sorge um die Existenz wirke wie eine Bremse, wer mit seiner Kraft am Ende ist, halte das für Schwäche und traue sich nicht, das der Geschäftsleitung gegenüber einzugestehen.

Auch Bettina H. wollte nicht wahrhaben, dass sie sich überfordert hat. "Ich hatte hier endlich den Job gefunden, den ich immer gesucht habe", sagt die gelernte Raumausstatterin. Nette Kollegen, freundliche Chefs und eine Arbeit, die sie ausfüllte. Sie plante Küchen, führte Gespräche, sah sich auf den Baustellen an, wie weit die Projekte vorangekommen waren und machte sich "auch mal die Hände schmutzig". "Wenn ich 200 Prozent gebe, kann ich auch 500 Prozent geben. Wenn die Kollegen zu versacken drohten, habe ich hier gerufen", sagt die große, kräftige Frau. Was sie zwischen 7 und 18 Uhr nicht am Arbeitsplatz schaffte, nahm sie mit nach Hause.

Ihr Freund schlug Alarm, doch Bettina H. ignorierte die Sorge. Angepackt hat sie schon immer, sich durchgekämpft, bis es wieder besser wurde. Per Zufall traf sie einen Freund, erzählte ihm von dem Druck, den sie fühlte. Er empfahl ihr einen Heilpraktiker. Sie ging hin, saß vor ihm und fing wieder an zu weinen. "Ich kann sie nicht mehr arbeiten lassen", sagte der Homöopath. Bettina H. dachte an ihre vielen Projekte, die sich auf dem Schreibtisch stapelten, raffte sich wieder auf, schaffte zwei Stunden. "Dann bin ich emotional total zusammengebrochen", sagt sie. Die Teamleiterin verhängte einen Arbeitsstop, sie vertraute sich Hahnefeldt an. "Kümmern Sie sich um sich selbst. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie können jederzeit wieder anfangen", sagte der kaufmännische Leiter. Bettina H. gehorchte, musste ihr Selbstbild korrigieren: "Ich war immer das große, starke Mädchen, habe den Rücken für andere breit gemacht. Nun war ich klein und schwach", sagt sie.

Der Hausarzt half ihr mit homöopathischen Mitteln, ihr Partner unterstützte sie, und nach drei Tagen Ruhe und Wellness in einem Hotel hatte sie ihre Kraft und Balance wiedergefunden. Weitere zehn Tage später war die Küchenplanerin wieder bereit für die Rückkehr in den Job. "Doch dann saß ich angezogen und schluchzend auf der Treppe. Ich konnte einfach nicht raus", sagt Bettina H. Der Hausarzt überwies sie zum Psychologen, der ihr leichte Anti-Depressiva verschrieb. Nebenwirkungen stellten sich ein, die Patientin hatte ein bis zwei Tage pro Woche Migräne und andere Beschwerden.

Bettina H. wandte sich an ihre Vermieterin, die als Heilpraktikerin arbeitete und den passenden Weg aus der Ausgebranntheit fand. Traumreisen, Bachblüten-Therapie, spirituelle Erlebnisse, vor allem erkannte die Erkrankte: "Ich habe mich in die Situation gebracht, nur ich selbst kann mich daraus auch wieder befreien." Ein Dreivierteljahr dauerte es, bis sie wieder schallend lachen, sich an kleinen Dingen freuen konnte und gemerkt hat, dass die psychische Last abgefallen ist. Sie meldete sich bei Hahnefeldt zurück, akzeptierte die schrittweise Rückkehr an den Schreibtisch. Die ersten zwei Wochen jeden Tag drei Stunden, alle zwei Wochen eine Stunde mehr pro Tag.

Und doch sah sie dem ersten Arbeitstag aufgeregt und ängstlich entgegen: Wie reagieren die Kollegen auf die Auszeit und auf die Teilzeit-Rückkehr? "Die haben sich alle gefreut, mich mit offenen Armen und sehr herzlich aufgenommen", sagt die Wiedereinsteigerin.

Bettina H. hat gelernt, dass nicht jede Aufgabe sofort erledigt werden muss. "Ich bin viel sensibler geworden, habe einerseits ganz viel Lust auf Leben, passe andererseits aber jeden Tag auf mich auf und gucke in mich rein", sagt Bettina H.: "Bei Burn-out ist das wie bei Alkoholikern. Man ist nie wirklich vor einem Rückfall sicher."