Mit intelligenten Netzen sollen die Norderstedter ihre Tarife künftig von zuhause mitgestalten. Und die Stadtwerke wollen Geld verdienen.

Norderstedt. Die Verbraucher sollen ihren Stromverbrauch selbst bestimmen und damit auch ihren Strompreis beeinflussen können. Und das ganz bequem am heimischen Computer. Möglich machen soll das ein neues Produkt der Stadtwerke: "Intelligente Netze" heißt das jüngste Kind, mit dem der Norderstedter Energielieferant die Strompreise möglichst stabil halten, auf die Energiewende in Deutschland reagieren und Geld verdienen will.

"Mit den Steuerungsinstrumenten der Zukunft zählen wir ähnlich wie bei wilhelm.tel wieder zu den Vorreitern. Ich hoffe und gehe davon aus, dass wir mit den intelligenten Netzen ähnlich erfolgreich am Markt agieren werden wie mit wilhelm.tel", sagte Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote, als er zusammen mit den drei Werkleitern gestern das innovative System vorstellte. "Der Atomausstieg schlägt bis auf die örtliche Ebene durch. Unsere Arbeit als lokaler Versorger wird sich dadurch in den nächsten Jahren erheblich verändern", sagte Theo Weirich, Marketing-Chef der Werke. Der Verzicht auf Atomstrom bedeute: Der Anteil regenerativer Energien wie Sonnen- und Windkraft muss und wird steigen. Doch was Windrotoren an der Küste und Photovoltaikpaneele auf den Dächern hergeben, kann nicht in großen Überlandleitungen eingespeist werden, weil die Stromspannung zu niedrig ist. Da seien Mittelspannungs- und Niederspannungsnetze gefragt. "Da kommen wir als örtlicher Versorger wieder ins Spiel" sagt Theo Weirich.

Er formuliert folgende Ziele: Strom müsse flexibler genutzt werden, zum Beispiel Windenergie dann, wenn sich die Rotoren kräftig drehen. Das müsse den Haushalten signalisiert werden, damit der Verbrauch entsprechend gesteuert werde. Dafür müssten große Datenmengen fließen - eine Aufgabe, die das Glasfasernetz in der Stadt problemlos bewältigen könne. "Damit wird die Ehe zwischen wilhelm.tel und den Stadtwerken nun endgültig vollzogen", sagte der Verwaltungschef. Um den Datenfluss zu organisieren, arbeiten die Stadtwerke mit der Fachhochschule Lübeck und der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg zusammen.

"Wenn die Energie nachts zur Verfügung steht, schaltet sich die Kühltruhe eben nachts ein", sagt Weirich, der davon ausgeht, dass die Hersteller entsprechende Geräte auf den Markt bringen werden. Es gebe schon jetzt Kühltruhen, die bis zu zwei Tage ohne Strom auskommen könnten.

+++ Mit wilhelm.tel in die Zukunft +++

+++ Gut 40 Prozent Windenergie +++

Der Stromverbrauch muss sinken. Die effizientere Nutzung soll erreichen, dass rund ein Drittel des Verbrauchs eingespart wird. Hier sieht Weirich ein riesiges Potenzial: Im Vorjahr seien in Schleswig-Holstein 125 Milliarden Kilowattstunden Windenergie unverbraucht verloren gegangen. Die teuerste Energie konnte nicht ins Netz eingespeist werden, weil Leitungen und Speicher fehlten.

Und die Stadtwerke müssen mehr Strom produzieren. "Wir werden vom Stromvertreiber zum Stromlieferanten und in zehn oder 15 Jahren Strom exportieren", sagte Weirich. Diese neue Aufgabe sei Teil der Energiewende in Deutschland. Die örtlichen Versorger müssten Strom in die überregionalen Netze einspeisen, um die Netze und damit die Stromversorgung insgesamt zu stabilisieren.

Das bedeute, dass weitere Blockheizkraftwerke (BHKW) in Norderstedt gebaut werden müssen. Zurzeit produziere die Kraft-Wärme-Kopplung in den BHKW der Stadt bis zu zehn Megawatt. Diese Leistung soll mittelfristig um mindestens das Zweieinhalbfache steigen. "Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten zehn Jahren pro Jahr ein neues BHKW mit zwei Megawatt Leistung bauen werden", sagte Axel Gengelbach, technischer Leiter der Stadtwerke.

Schließlich müssten die Möglichkeiten, Energie zu speichern, stark ausgebaut werden. Batterien sind, so Weirich, momentan dafür noch nicht optimal. Man könne aber Strom zu Heizenergie umwandeln oder in Kühlsystemen und Klimatechnik vorhalten. Die Stadtwerke gehen davon aus, dass die Neuausrichtung rund 50 Millionen Euro in den nächsten 20 Jahren kosten wird. "Unser Antrieb ist auch das Bemühen um mehr Energie-Gerechtigkeit. Es darf nicht sein, dass die Menschen in den Städten immer mehr Energie verbrauchen, die Menschen auf dem platten Land oder an der Küste in einer Landschaft leben müssen, die durch Windmühlen oder Mais-Monokulturen immer weiter verschandelt wird", sagte Grote. Er setzt auch finanziell auf die Attraktivität des neuen Norderstedter Energiekonzeptes. Das werde sich gut verkaufen lassen.