Die Stadt wächst weiter, sagte Hans-Joachim Grote im Interview mit dem Hamburger Abendblatt über sozialen Wohnungsbau und Integration.

Norderstedt. 17 Millionen für Kitas und Schulen, drei Millionen für neue Feuerwehrfahrzeuge und insgesamt acht Millionen für die Verlängerung der Oadby-and-Wigston-Straße nach Norden - das sind die großen Ausgaben, die Norderstedt in den nächsten Jahren bewältigen muss. Das Hamburger Abendblatt sprach mit Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote auch über sozialen Wohnungsbau und die Integration von Migranten.

Hamburger Abendblatt:

Welche großen Investitionen stehen an?

Hans-Joachim Grote:

Fast drei Millionen Euro müssen wir in den nächsten Jahren ausgeben, um neue Fahrzeuge für unsere Feuerwehr anzuschaffen. Mit 17 Millionen Euro fließt ein Drittel der Investitionen in den Ausbau der Schulen und Kitas. Die Stadt muss die fachspezifische Ausbildung an den weiter führenden Schulen sicherstellen, die Grund- zu Ganztagsschulen erweitern und ausreichend Krippenplätze schaffen, da ab 2013 die Eltern einen rechtlichen Anspruch darauf haben. Dabei sind die Kosten für einen eventuellen Um- und Ausbau der Regionalschule Garstedt noch gar nicht eingerechnet.

Was wird aus der Schule, die einen Entwurf für die Modernisierung vorgelegt hat und um ihre Zukunft kämpft?

Grote:

Vor einem Beschluss sollten wir abwarten, welche bildungspolitischen Entscheidungen uns nach der Landtagswahl im Mai ins Haus stehen. Zweite wichtige Basis für eine Entscheidung sollten die Anmeldezahlen in den nächsten Wochen sein. Grundsätzlich denkbar wäre auch, an dem Standort eine Ganztags-Grundschule und eine Kita einzurichten - Bedarf wird sich durch das Neubaugebiet Garstedter Dreieck ergeben, in das in den nächsten Jahren 2000 Menschen ziehen werden.

Wann wird der neue Verkehrsknoten Ochsenzoll eingeweiht?

Grote:

Laut Planung sollen die Arbeiten im Sommer beendet werden. Und mit der Verlängerung der Oadby-and-Wigston-Straße nach Norden und Osten bringen wir ein weiteres wichtiges Verkehrsprojekt auf den Weg. Vier Millionen Euro werden wir in diesem Jahr dafür ausgeben, insgesamt acht Millionen

Wie werden sich die Wirtschaft und die Gewerbesteuern entwickeln?

Grote:

Wir haben die Einnahmen aus der Gewerbesteuer für 2012 auf rund 60 Millionen Euro geschätzt und sind wie in den Vorjahren dabei eher konservativ und zurückhaltend vorgegangen. Angesichts der Finanzkrise weiß niemand, wie sich die wirtschaftliche Situation entwickeln wird. Norderstedt profitiert davon, dass hier viele größere mittelständische Unternehmen ihren Sitz haben. Mittelständler sind in der Regel standorttreu, sie können Gewinne auch nicht konzernintern hin- und herschieben wie internationale Unternehmen und dadurch die Gewerbesteuer reduzieren oder ganz umgehen.

Kann und muss die Stadt mehr Einfluss auf den Fluglärmschutz nehmen?

Grote:

Wir stehen in engem Kontakt mit dem Flughafen Hamburg und haben in vielen Gesprächen erreicht, dass der passive Lärmschutz durch den Einbau von Schallschutzfenstern und Lüftern verbessert wurde. Der Flughafen hat über die gesetzlichen Vorgaben hinaus freiwillige Lärmschutzprogramme aufgelegt, an denen sich auch die Stadt Norderstedt finanziell beteiligt hat. Das Land Schleswig-Holstein hat vor Jahren seine Anteile am Flughafen verkauft und keinen Einfluss mehr.

Was heißt das konkret?

Grote:

Das Land wie auch wir können nur die Bitte äußern, den Fluglärm anders zu verteilen, was angesichts von mehreren Hunderttausend Betroffenen in Hamburg und einem Bruchteil dessen im Umland unrealistisch erscheint. Zudem sollten hat der Flughafen eine immense wirtschaftliche Bedeutung für Norderstedt. Er ist einer der größten Arbeitgeber für Menschen, die hier wohnen, und er ist ein wesentlicher Standortfaktor. Internationale Unternehmen siedeln sich hier auch wegen der Nähe zum Flughafen an.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Kleingarten-Affäre? Wie können Migranten besser integriert werden?

Grote:

Die Ausländerquote, die die Harksheider Kleingärtner am Kringelkrugweg erst beschlossen, nach den massiven Protesten auch von unserer Politik und Verwaltung aber wieder zurückgenommen haben, hat eines ganz deutlich gezeigt: Es gibt bei vielen Menschen eine unterschwellige Angst vor dem Fremdem und vor Veränderung. Die Stadt kann mit interkulturellen Veranstaltungen wie auf der Landesgartenschau oder dem Europatag nur den Rahmen für Begegnung schaffen. Wir haben muslimische Gemeinden in Friedrichsgabe und im Süden der Stadt, die Besucher sehr offen empfangen. Ich kann nur jedem raten, dorthin zu gehen und mit den Menschen zu sprechen.

Wie kann die Stadt günstigen Wohnraum schaffen?

Grote:

Mehrere Millionen Euro, die die Stadt an die Wohnungsunternehmen für den Bau von Sozialwohnungen gezahlt hat, fließen jetzt zurück. Wir sollten das Geld nicht in den Haushalt einstellen, sondern verwenden, um günstige Wohnungen mit einem eigenen städtischen Förderprogramm zu bauen. Ich bin aber kein Freund der reinen Objektförderung, wobei die Förderung den Bau finanziert und dadurch die Miete reduziert. Ich fände es besser, den Menschen, die wenig Geld haben, finanziell bei der Mietzahlung unter die Arme zu greifen, also eine Individualförderung.

Warum?

Grote:

Nach geltendem Recht braucht niemand, der irgendwann einmal berechtigt eine Sozialwohnung bezogen hat, diese wieder verlassen, auch wenn die Familie kleiner wird oder das Einkommen über den Berechtigungsgrenzen liegt. Ein Sozialmieter kann nicht rausgeschmissen werden, auch nicht, wenn er Millionen im Lotto gewinnt. Er kann nur durch eine Fehlbelegungsabgabe stärker zur Kasse gebeten werden, aber dadurch wird die Wohnung nicht frei. Dies wäre bei einer Individualförderung wesentlich gerechter.

Wie kann die Verwaltung sparen?

Grote:

Klar ist: Sparen kann man nur dass, was übrig ist. Und übrig ist selbst in einer so gut aufgestellten Stadt wie Norderstedt nicht mehr viel. Kosten bzw. Ausgaben können wir nur reduzieren, wenn wir Leistungen abbauen. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hat unsere Gesellschaft immer mehr Aufgaben an die öffentlichen Verwaltungen abgegeben. Wenn wir zu Hause eine Wand malen müssen, kaufen wir einen Eimer Farbe und legen los. Wenn aber Schnee und Eis auf den Wegen liegen, ruft jeder nach dem städtischen Winterdienst.

Wie weit kooperiert Norderstedt mit anderen Kommunen?

Grote:

Mit Neumünster haben wir gerade ein gemeinsames Rechnungsprüfungsamt durchgerechnet und verworfen. Das ist zu aufwendig, weil die Mitarbeiter jeden Tag hin- und herfahren müssten. Allerdings gibt es eine andere Quelle, die wir stärker nutzen könnten. Wir halten Kultur- und Erlebniseinrichtungen wie die "TriBühne" oder das Arriba-Bad vor, die auch von vielen Umlandbewohnern genutzt, aber ausschließlich von Norderstedtern bezahlt werden. Hier könnten und müssten die Umlandgemeinden mit in die finanzielle Pflicht genommen werden.

Der erste Bürgerhaushalt hat sich eher als Flop erwiesen. Was muss die Stadt besser machen, damit sich die Bürger ernst genommen fühlen?

Grote:

Von Flop kann man wirklich nicht sprechen. Ich glaube, es müssen beide Seiten noch weiter lernen, mit diesem neuen Instrument umzugehen. Wir haben uns bei der Vorbereitung extra von einem Fachmann unterstützen lassen, der viel Erfahrung in anderen Städten gesammelt hat.

Dennoch finden sich die Bürger mit ihren Vorschlägen im aktuellen Haushalt kaum wieder, was nicht gerade motiviert, auch künftig mitzumachen.

Grote:

Manche Anregungen waren sehr allgemein gehalten. Einige Vorschläge fielen nicht in die Zuständigkeit unserer Stadtvertretung, andere wurden oder werden schon umgesetzt, oder sie standen schon im Haushaltentwurf. Ich weiß, dass sich alle Fraktionen intensiv mit den Anregungen auseinander gesetzt haben, und vieles in die Arbeit der Fachausschüsse einfließt. Ich glaube, dass wir von der Verwaltung beim nächsten Bürgerhaushalt 2013/14 noch mehr Hilfe und vorbereitenden Informationen anbieten müssen. Vor allem wünsche ich mir, dass noch mehr Bürgerinnen und Bürger mitmachen.

Wann erreicht Norderstedt die magische Marke von 80 000 Einwohnern, zieht an Neumünster vorbei und wird viertgrößte Stadt in Schleswig-Holstein?

Grote:

Die Bevölkerungsprognose in unserem Stadtentwicklungskonzept ISEK geht für das Jahr 2030 von "79 000 plus" aus. Auf der Homepage der Stadt Neumünster wird für das Jahr 2020 eine Zahl von 73 000 bis 74 000 Einwohnern genannt, die dann konstant bleiben soll. Norderstedt hat schon heute rund 75 000 Einwohner und wird weiter wachsen. Die Zahl der Schleswig-Holsteiner wird bis 2025 um rund 80 000 sinken, das entspricht 2,9 Prozent der Bevölkerung. Wir können uns in Norderstedt glücklich schätzen, dass wir uns noch mit den Herausforderungen weiteren Wachstums auseinandersetzen dürfen.

Anette Reinders ist jetzt ein Jahr Dezernentin. Wie hat sie sich eingelebt?

Grote:

Hervorragend. Sie hat eine hohe Fachkompetenz und bewältigt die Aufgaben mit großem Engagement. Zusammen mit Baudezernent Thomas Bosse bilden wir ein Trio, das in der Sache durchaus streitet, Kompromisse findet und sich menschlich gut versteht.

Sie sind fast 14 Jahre im Amt. Wie erhalten Sie die Motivation für die Arbeit?

Grote:

Über Langeweile oder Antriebsschwäche kann ich nicht klagen. Mir macht es immer noch Spaß, die Zukunft der Stadt mit zu gestalten und weiter daran mitzuwirken, dass Norderstedt, verglichen mit anderen Städten und Gemeinden, seine hohe Finanzkraft behält. Bei der täglichen Arbeit in Norderstedt profitiere ich auch vom Austausch mit Kollegen (s. Info-Kasten)

2016 steht die nächste Bürgermeister-Wahl an. Wollen Sie noch Mal antreten?

Grote:

Dazu kann ich momentan nichts sagen. Ich bin ja gerade erst vor knapp zwei Jahren wiedergewählt worden und habe noch fast fünf Jahre vor mir. Ich möchte die Aufgaben erledigen, die jetzt anstehen, und das sind noch eine ganze Menge. Ich werde rechtzeitig mitteilen, ob ich noch für eine vierte Amtszeit zur Verfügung stehe.