Für den stillgelegten Reaktor hat der Energiekonzern keinen neuen Chef. Verhandlungen über Betreiberwechsel.

Kiel. Das Atomkraftwerk Krümmel ist nach zwei Störfällen und mehr als drei Jahren Zwangspause nahezu anfahrbereit. Der angepeilte Termin für den Neustart, Mitte bis Ende Januar, lässt sich allerdings kaum realisieren. Atomexperten halten es sogar für möglich, dass der Meiler noch über Monate stillsteht, weil der Reaktor einen neuen Chef braucht und Vattenfall über einen Betreiberwechsel mit E.on verhandelt.

Vattenfall hielt sich bedeckt. "Wir können derzeit keinen konkreten Anfahrtermin nennen", sagte Sprecherin Barbara Meyer-Bukow. Verantwortlich für die Hängepartie ist diesmal nicht das Kraftwerk selbst. Nach dem ersten Störfall im Juni 2007 wurden über fast zwei Jahre alle defekten Armaturen und Dübel repariert, nach der zweiten Reaktorschnellabschaltung im Juli 2009 insgesamt 27 Transformatoren ersetzt, darunter auch die beiden großen Maschinentrafos. Sie standen bei beiden Störfällen am Anfang der Kettenreaktion, die Krümmel vom Netz trennte und in Hamburg zu Stromausfällen führte.

Allein für die Trafos gab Vattenfall etwa 30 Millionen Euro aus. Insgesamt investierte der Energiekonzern seit 2007 mehr als 390 Millionen Euro in die Runderneuerung des größten Siedewasserreaktors der Welt. "Wir stehen jetzt kurz vor dem Abschluss der Arbeiten zur technischen Anfahrbereitschaft", sagte Meyer-Bukow. Das Kraftwerk könnte also, wenn es nur auf die Technik ankäme, in wenigen Tagen wieder Strom produzieren.

Eine Wiederanfahrgenehmigung durch die Kieler Atomaufsicht ist gleichwohl nicht in Sicht, weil Vattenfall eine weitere Voraussetzung nicht erfüllt. Das Kraftwerk hat derzeit keinen Leiter, weil die designierte Krümmel-Chefin Anfang Dezember durch die Ernstfall-Prüfung fiel. Ihr war es nicht gelungen, den Reaktor bei einem simulierten Störfall sicher in den Griff zu bekommen. Einen anderen Krümmel-Chef konnte Vattenfall bisher nicht präsentieren. Für die Leitung eines Kraftwerks benötige man eine besondere Qualifikation, erklärte Meyer-Bukow. "Ein Leiter muss sein Kraftwerk aus dem Effeff kennen." Aus diesem Grund ist Vattenfall auch der scheinbar einfachste Ausweg verbaut. Der Leiter des ebenfalls abgeschalteten Meilers Brunsbüttel kann in Krümmel nicht kurzerhand einspringen, obwohl beide Siedewasserreaktoren aus derselben Baulinie (1969) stammen.

Mit der Suche nach einem Krümmel-Chef ist es für Vattenfall nicht getan. Die Atomaufsicht, die dem Justizministerium in Kiel obliegt, will den Vorgang bei der noch nicht abgeschlossenen Zuverlässigkeitsprüfung von Vattenfall mitbewerten. Eingeleitet worden war diese Prüfung, weil der Energiekonzern in Krümmel Vorgaben der Atomaufsicht nicht erfüllt und das Ministerium verspätet über den Störfall 2009 informiert hatte.

Für Vattenfall geht es in dieser Prüfung um alles oder nichts. Sollte dem Konzern die nach dem Atomgesetz erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden, dürfte er keine Meiler mehr betreiben.

Vattenfall denkt auch vor diesem Hintergrund darüber nach, die Betriebsführerschaft über seine Atomkraftwerke an E.on abzugeben. Der Düsseldorfer Energiekonzern, der zweitgrößte Reaktorbetreiber in Europa, ist bereits Mitgesellschafter in Krümmel (50 Prozent) und Brunsbüttel (33,3 Prozent). Beide Konzerne verhandeln seit Mitte Dezember. Eine "tragfähige Lösung für die Zukunft von Krümmel und Brunsbüttel" soll bis Ende Juni stehen.

In der Atombranche wird erwartet, dass Vattenfall sich in die zweite Reihe zurückzieht. Der Branchenriese E.on, der als zuverlässig gilt, könnte dann im Anschluss ohne großes Risiko in Kiel Wiederanfahrgenehmigungen für Krümmel etwa im Sommer und für Brunsbüttel etwa im Spätherbst beantragen. Durch den Betreiberwechsel ließe sich auch das Chef-Problem in Krümmel lösen. E.on betreibt in Deutschland neben Brokdorf weitere vier Meiler und hat damit deutlich mehr Atomspezialisten unter Vertrag als Vattenfall.

Klar ist, dass ein Betreiberwechsel nicht mit einem Gang zum Notar erledigt ist. E.on müsste bei einer Übernahme von Krümmel und Brunsbüttel die gesamten Mitarbeiter vom Reaktorfahrer über den Werkschutz bis hin zur Kantinenkraft in seine Betriebsabläufe integrieren. Das dürfte Wochen, wenn nicht Monate dauern.

Eine schnelle Rückkehr von Kümmel und Brunsbüttel ans Netz erwartet offenbar auch die Kieler Regierung nicht. Das Finanzministerium rechnet bei der Oberflächenwasserentnahmeabgabe, die vor allem laufende Atomkraftwerke entrichten, für 2011 mit geringen Zuwächsen. Eine deutliche Steigerung wird erst 2012 erwartet.