Brunsbüttel soll nicht wieder ans Netz. Ist die Zeit des Atomkraftwerks durch den Dauerstillstand abgelaufen?

Brunsbüttel/Kiel. Die Grünen im Kieler Landtag wollen einen Neustart des Atomkraftwerks Brunsbüttel notfalls vor Gericht verhindern. Seine Kampfansage begründete Fraktionschef Robert Habeck mit einem spektakulären Atomgutachten, nach dem die Betriebsgenehmigung für den Meiler aufgrund seines Dauerstillstands inzwischen erloschen ist. Der Betreiber Vattenfall sieht das völlig anders und bekam wichtige Schützenhilfe vom Kieler Justizministerium, das als Atomaufsicht über die Rückkehr des Reaktors ans Netz entscheidet.

Unbestritten ist, dass Brunsbüttel einen traurigen Rekord hält. Das betagte Siedewasserkraftwerk, das 1976 anlief, wird seit einem Störfall im Juni 2007 repariert und ist mit inzwischen dreieinhalb Jahren länger abgeschaltet gewesen als jeder andere Reaktor in der Republik. Die Rückkehr ans Netz ist für den Herbst 2011 geplant.

Verantwortlich für den langen Stillstand sind nicht nur Defekte in Armaturen und falsche Dübel. Vattenfall hatte früh durchblicken lassen, dass man in Brunsbüttel bei einer Restlaufzeit von nur noch zwei Jahren bis zur Bundestagswahl 2009 wartet und auf eine Laufzeitverlängerung setzt. Nach dem neuen Atomgesetz dürfte Brunsbüttel insgesamt noch zehn Jahre laufen.

Die Grünen hatten dieses Atom-Poker stets kritisiert und machten gestern aus ihrer Schadenfreude keinen Hehl. Nach dem Gutachten habe Brunsbüttel nach drei Jahren Stillstand seine Betriebsgenehmigung verloren, sagte Habeck. "Das ist die gerechte Quittung für Vattenfall." Aus Sicht der Grünen kommt der Fortfall der Betriebslizenz einem Todesurteil für Brunsbüttel gleich. "Ein Neuantrag ist nicht denkbar", versicherte der grüne Atomexperte Detlef Matthiessen. Ein Oldtimer wie Brunsbüttel sei heute nicht mehr genehmigungsfähig. Diese Einschätzung teilen auch Atombefürworter.

Umso umstrittener ist das Atomgutachten, das die Berliner Anwältin Cornelia Ziehm im Auftrag der Grünen im Landtag fertigte. Die Mitarbeiterin der atomkritischen Deutschen Umwelthilfe entdeckte ein vermeintliches "Regelungsdefizit". Demnach lässt das Atomgesetz zum einen offen, ob bei einem Dauerstillstand eines Meilers die Betriebsgenehmigung erlischt, enthält aber zum anderen einen Hinweis auf das Bundes-Immissionsschutz-Gesetz. Dieses wiederum erlaubt Betrieben wie etwa Chemiefirmen eine Produktionspause von höchstens drei Jahren. Diese Frist gilt seit 1959 und wurde von Gerichten etwa bei einem Schweinemastbetrieb so ausgelegt, dass Reparaturarbeiten nicht als Betriebszeit gelten.

Die strenge Immissionsregelung soll Umwelt und Anwohner davor schützen, dass ein längst eingemotteter Betrieb ohne neue Genehmigung einfach die Maschinen wieder anwirft. Das gelte auch für Brunsbüttel, meint Ziehm. So hätten sich seit dem Stillstand des Reaktors die Fischbestände in der Elbe deutlich erhöht. Und viele Anwohner seien davon ausgegangen, dass der Reaktor nicht wieder anläuft. In Brunsbüttel dürften das längst nicht alle Einwohner unterschreiben. Die Stadt steht mehrheitlich zu ihrem Kraftwerk.

Ziehm kam zu einem anderen Schluss. Aufgrund des langen Stillstandes des Reaktors sei die Berechtigung Brunsbüttels zum "Leistungsbetrieb" unwiderruflich verloschen. "Ein Wiederanfahren ist nicht möglich."

Vattenfall liest das Atomgesetz anders und bestritt zudem, dass Brunsbüttel juristisch gesehen außer Betrieb ist. "Die Anlage läuft, sie produziert nur keinen Strom", meinte Konzernsprecherin Barbara Meyer-Bukow. Rückendeckung erhielt Vattenfall von der Kieler Atomaufsicht. Das Gutachten sei "wenig überzeugend", sagte Justizminister Emil Schmalfuß. Er erinnerte die Grünen zudem daran, dass Brunsbüttel 1983 eine Dauerbetriebsgenehmigung erteilt wurde. Sie deckt auch den Stillstandsbetrieb ab, also die Reparaturarbeiten am Reaktor.

Unabhängig vom Ausgang des Juristenstreits steht fest, dass der Bund jederzeit eine mögliche Lücke im Atomrecht schließen und so Brunsbüttel die Betriebslizenz erhalten könnte. "Mir fallen da viele Sachen ein", gab auch Gutachterin Ziehm zu. Die Atomexpertin hat erst vor einigen Wochen erlebt, wie der Bund ein vermeintliches K.-o.-Argument gegen Atomkraftwerke entschärfte. Mit der Atomnovelle wurde das Restrisiko, das Anwohner von Meilern tolerieren müssen, um Flugzeugabstürze erweitert. Auf der Strecke dürften damit einige bisher aussichtsreiche Klagen bleiben, in denen Anwohner mit Blick auf Lücken im Terrorschutz bei Atomkraftwerken deren Stilllegung fordern. Betroffen sind auch die Meiler Krümmel und Brunsbüttel.