Die Insulaner entscheiden am Sonntag in einer Abstimmung, ob ihre Heimat durch Aufspülung um 300.000 Quadratmeter vergrößert wird.

Helgoland. Nach dem Zweiten Weltkrieg bombten die Engländer die einstige "Festung Helgoland" dem Erdboden gleich. Von der alten Bebauung blieb nichts, doch die Felseninsel selbst hielt stand. 1952 begann der Wiederaufbau. Am Sonntag nun will die Inselbevölkerung über eine Art zweiten Wiederaufbau von Helgoland abstimmen.

Bei dem Bürgerentscheid, bei dem 1200 Helgoländer abstimmen dürfen, geht es um die Frage, ob die Hauptinsel und die vorgelagerte Badedüne mit einer gigantischen Sandaufspülung verbunden werden sollen. Rund 300 000 Quadratmeter Neuland kämen hinzu, Platz für Strände, Hotels, Yachthäfen und Wohnungen. Stimmt die Mehrheit mit Ja, dann könnte ein gut ein Kilometer langer Strand mit einer ruhigen Lagune entstehen, um ein gutes Viertel würde sich Helgoland dann vergrößern.

Nichts, so scheint es, spaltet die Inselbevölkerung dieser Tage so wie die Richtungsentscheidung: ja oder nein zur Insel-Hochzeit?

Wer über die Insel spaziert, sieht an vielen Schaufenstern daher kleine Schilder: "Zwei Inseln, eine Meinung", steht auf den Schildern, mit denen sich Gegner der Aufspülung zu erkennen geben. "Ja zur Zukunft" und ein Puzzlestück, das beide Inseln verbindet, steht auf den anderen. Ja oder nein zur großen Aufspülung - diese Frage ist zur großen Zukunftsfrage geworden.

Für den Inselhotelier Detlev Rickmers ist die Frage auch "die letzte Chance, um als Gemeinde lebensfähig zu bleiben", wie er sagt. Er ist ein unbedingter Befürworter der Aufspülung. Anders Torsten Conradi, Yachtdesigner und ebenfalls Hotelier auf der Insel. Er sagt, die ganze Aufspülung würde sich nie rechnen, nur die weitere Entwicklung blockieren.

Wer nun am Sonntag beim Bürgerentscheid die Mehrheit bekommt, dürfte indes bis zuletzt offen sein. "50:50", schätzt Rickmers die derzeitige Stimmenlage ein. Manche auf der Insel haben auch die Schilder in den Schaufenstern gezählt und kommen ebenfalls auf etwa gleich viele aus beiden Lagern.

Bei allem Streit um die Aufspülungsfrage, in einem sind die Helgoländer aber einer Meinung; "Es muss etwas passieren", sagt jeder, den man hier fragt. Denn tatsächlich erlebt die einzige deutsche Hochseeinsel trotz ihrer einmaligen Lage einen Niedergang. Gut 2000 bis 2500 Menschen müssten hier auf der Hochseeinsel dauerhaft leben, um als Gemeinde zu funktionieren. Doch die Bevölkerungszahl geht seit Jahren zurück, liegt derzeit bei nur noch 1300 Menschen. In der kleinen Schule sind nur 86 Schüler gemeldet. "Das sind Zahlen wie in den 50er-Jahren", sagt Rickmers. Die Folge: Kleine Läden verschwinden, seit Jahren gab es keinen Zahnarzt mehr auf der Insel, junge Familien verlassen den Felsen, weil sie keine Zukunft mehr haben.

Hinzu kommt ein Wandel im Tourismusbereich: Kamen in den 1970er-Jahren noch bis zu 800 000 Tagesgäste auf die Insel, sind es heute weniger als 300 000 pro Jahr. Steuerfreier Einkauf von Schnaps und Zigaretten bei einem kurzen Stopp - dieses Geschäftsmodell funktioniere nicht mehr, sagt Rickmers. Dafür steigen zwar die Übernachtungszahlen, doch die Anzahl der Betten liegt noch weit unter der anderer deutscher Inseln. Das Problem bei Betten- und Einwohnerzahl ist das Gleiche: "Wir brauchen einfach mehr Platz, den es nicht gibt", sagt Rickmers.

Technisch möglich wäre eine solche Landspülung, wie er sie sich wünscht. Schon 2008 hat der Hamburger Bauunternehmer Arne Weber (H.C. Hagemann) ein solches Projekt vorgeschlagen und vorgerechnet, unterstützt von Experten der Technischen Universität. Denn das Meer zwischen Düne und Insel ist nicht sehr tief. Und vor rund 300 Jahren waren beide Teile noch vereint, bis eine Sturmflut die Landbrücke einfach wegspülte. Sollten die Helgoländer nun am Sonntag tatsächlich mehrheitlich für die neue Verbindung stimmen, dann, so sagen die Befürworter der Aufspülung, holen sie sich einfach nur das Land zurück vom Meer.