Netzbetreiber plant nur 20 von 400 Kilometer Höchstspannungskabel unterirdisch. Größerer Anteil an Erdverkabelung führe zu Engpässen.

Lehrte. Drunter oder drüber? Ober- oder unterirdisch? Bei den seit Jahren umstrittenen neuen Höchstspannungstrassen in Niedersachsen zeichnet sich trotz aller Bemühungen um eine Erdverkabelung ein Bau weitgehend als Freileitung ab. Von den geplanten 400 Kilometern werden aller Voraussicht nach nur 20 Kilometer unter der Erde verlegt. Das erklärten Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) und der Geschäftsführer des Stromnetzbetreibers Tennet, Lex Hartman. Sander sagte, in der Bevölkerung sei die falsche Vorstellung entstanden, dass größere Abschnitte der neuen Leitungen unter der Erde verlegt werden.

Hoffnung zu dieser Annahme hatte das niedersächsische Erdkabelgesetz von 2007 geweckt, das die Stromtrassen unter die Erde verweist, wenn sie Wohnhäusern zu nahe kommen. Der damalige Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hatte mit dem Gesetz den Konflikt um die Trassen schlichten wollen. Dies sei offensichtlich gescheitert, sagte Sander. "Die Hoffnung war, wir sind das los. Das ist nicht der Fall." Mit der Bevölkerung müsse mehr als in der Vergangenheit der Kontakt gesucht werden. "Die Bevölkerung weiß zu wenig, was mich überrascht hat."

Hartman, Chef des größten Stromnetzbetreibers in der Bundesrepublik, sagte, bei einem spürbar größeren Anteil an Erdverkabelung könne eine sichere Stromversorgung rund um die Uhr nicht mehr gewährleistet werden. Erdkabel hätten eine größere Störanfälligkeit als Freileitungen.

Der mit dem Atomausstieg geplante Ausbau der erneuerbaren Energien werde den Bau weiterer Stromleitungen quer durch Niedersachsen erforderlich machen. Die neuen Stromtrassen sollen Energie aus Windkraftanlagen an der Küste in den Südwesten Deutschlands transportieren.

Stefan Wenzel, als Grünen-Fraktionschef im niedersächsischen Landtag in der Opposition, widersprach den Äußerungen Hartmans. Er hält auch längere Erdkabelabschnitte als nur 20 Kilometer für machbar: "Tennet muss endlich vollständige Netzplandaten veröffentlichen, damit die von unabhängigen Stellen überprüft werden können", sagte Wenzel dem Abendblatt.

Hartman berichtete Minister Sander gestern auch von erheblichen Problemen im vorhandenen Netz. Seit im März unter dem Eindruck des Atomunfalls von Fukushima sieben deutsche Kernkraftwerke vom Netz genommen worden sind, habe sich die Zahl der notwendigen Eingriffe in der Schaltzentrale in Lehrte bei Hannover auf rund 500 mehr als verdoppelt. "Wir haben jeden Tag Probleme im Netz."

Noch vor wenigen Jahren, so erläuterte der Tennet-Chef, habe es zwei bis drei schwerwiegende Eingriffe pro Jahr gegeben, bei denen Kraftwerke runtergefahren werden mussten, um die Netzstabilität zu sichern. Jetzt müsse man zwei- bis dreimal am Tag eingreifen, um gefährliche Schwankungen - etwa durch zu viel Windstrom - auszugleichen, indem Kraftwerke ihre Leistung drosselten. Was wiederum wirtschaftliche Einbußen zur Folge habe.

Selbst Windkraftanlagen seien jetzt von Abschaltungen betroffen. Die Betreiber der Windräder hätten dennoch Anspruch auf die volle Vergütung, letztlich zahle der Verbraucher also doppelt für seinen Strom, sagte Hartman.

Tennet ist Monopolist zwischen Nordsee und Alpenrand für etwa ein Drittel der Bundesrepublik mit 10 000 Kilometer Hochspannungsleitung. Das niederländische Staatsunternehmen kann seine Kosten auf die Strompreise aufschlagen.

Nach den Plänen der Bundesregierung sollen mittelfristig durch neue Windparks in Nord- und Ostsee sowie die Erneuerung alter Anlagen an Land (Repowering) rund 14 000 Megawatt zusätzlich in Norddeutschland installiert werden. Hartmann machte dem Minister unmissverständlich deutlich, dass solche Mengen zu Blackouts führen können, wenn sich der Netzausbau in Niedersachsen durch Widersprüche von Bürgerinitiativen an geplanten Trassen weiter verzögert. "Wenn wir zu schnell fahren auf der Autobahn, dann steigt das Risiko, dass etwas passiert."