Geflügel, Schweine, Rinder - Niedersachsen will Missstände beseitigen und im Tierschutz in der Landwirtschaft eine Vorreiterrolle übernehmen.

Hannover. Millionen Hühnern und Puten in Niedersachsen werden in jedem Jahr die Schnäbel schmerzhaft gestutzt, Ferkeln die Schwänzchen gekürzt und männliche Tiere kastriert. Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) hat in Hannover einen 38-Punkte-Plan vorgelegt, mit dem diese und viele andere Auswüchse der Massentierhaltung schrittweise bis spätestens 2018 abgestellt werden sollen. Die Oppositionsparteien kritisierten, die Vorschläge gingen noch nicht weit genug, die Übergangsfristen seien zu lang.

Klar ist aber auch: Niedersachsens CDU/FDP-Landesregierung tritt an, im Tierschutz in der Landwirtschaft eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Minister Lindemann gab sich betont kämpferisch: "Verhinderungstaktik nehme ich nicht hin, und wir gehen diesen Weg auch dann, wenn einige dagegen sind."

+++ Das Interview mit Niedersachsens neuem Agrarminister Gert Lindemann +++

Ob nun Geflügelwirtschaft, Schweine- oder Rinderzüchter, die Liste der Forderungen an sie ist lang, reicht von mehr Platz für die Tiere mit Rückzugsräumen bis hin zum völligen Verzicht auf das Stutzen der Schnäbel beim Geflügel. Dies tun die Bauern gegenwärtig, damit die Tiere sich nicht kannibalisch untereinander verletzen oder gar töten.

Den längsten Übergangszeitraum bis 2018 will das Ministerium dabei den Putenzüchtern zugestehen. Hier könne, so erläuterte Lindemann, nur durch Veränderung der Züchtung die Aggressivität der Tiere vermindert werden: "Es braucht Zeit, um ganze Zuchtlinien zu verändern."

Ein besonderer Kritikpunkt der Tierschützer ist, dass bei der Nachzucht von Legehennen allein in Niedersachsen jährlich rund 20 Millionen männliche Eintagsküken sofort getötet und verbrannt werden. Bis 2013, so der Plan, sollen Wissenschaftler eine Geschlechtserkennung schon im Ei ermöglichen oder die Tötung nur erlaubt werden, wenn dafür ein "vernünftiger Grund" vorliegt, etwa die Verwendung der toten Küken als Futtermittel.

Was die Umsetzung des 38-Punkte-Plans angeht, legte sich Lindemann fest: "Ich bin hier Überzeugungstäter." Die neue Linie ist aber auch Folge der Skandale der vergangenen Monate, als immer wieder Missstände vor allem in der Geflügelhaltung, der Umgang mit lebenden und toten Tieren, von Tierschützern gefilmt und dann veröffentlicht wurden. Wegen ihrer unkritischen Haltung zu diesem Thema hatte Lindemanns Vorgängerin, Astrid Grotelüschen (CDU), ihr Ministeramt räumen müssen. Ihr Mann betreibt eine der größten deutschen Putenbrütereien, es gab Missstände auch in Mastbetrieben, mit denen die Familie Grotelüschen geschäftlich eng verbunden war.

In keinem anderen Bundesland ist die Landwirtschaft von so großer wirtschaftlicher Bedeutung wie in Niedersachsen. Tierschutzskandale, aber auch der Dioxinskandal um massenhaft verseuchtes Tierfutter im Dezember führen regelmäßig zu Kaufzurückhaltung der Verbraucher und einbrechenden Preisen für die Bauern. Dass er eine Gratwanderung macht, ist Lindemann klar: "Ich will die Nutztierhaltung nicht unwirtschaftlich machen und erst recht nicht ins Ausland abdrängen."

Von der größten Oppositionspartei SPD gab es fast so etwas wie Lob. Die agrarpolitische Sprecherin Andrea Schröder-Ehlers begrüßte "im Grundsatz" Lindemanns Konzept: "Allerdings erscheint uns der Zeitrahmen doch zu großzügig." Die Grünen vermissen ein grundsätzliches Verbot der Käfighaltung: "Lindemann beruhigt die Verbraucher angesichts der systematischen Tierquälerei mit langen Plänen, aber er kuschelt gleichzeitig mit der Agrarlobby." Die Links-Fraktion sprach von einem Placebo-Plan: "Bei einem Zeitplan bis 2018 bedeutet dies, dass weiteren Millionen Puten und Hennen das grausame Schnäbelkürzen bevorsteht."