Die Holborn-Raffinerie im Hamburger Hafen und die Deutsche Tamoil in Elmshorn gehören libyschem Staatsfonds. Bangen um Arbeitsplätze.

Hamburg. Es herrscht Bürgerkrieg in Libyen, die Nato bombardiert Gaddafis Truppen, die EU verhängt Sanktionen gegen seine Firmen. Und in Deutschland - vor allem im Norden - bangen plötzlich rund 4500 Menschen um ihre Jobs, denn ihre Arbeitgeber gehören zum Firmengeflecht des libyschen Staatsfonds Libyan Investment Authority (LIA). Die Rede ist von der Deutschen Tamoil GmbH in Elmshorn, die 392 Tamoil- und HEM-Tankstellen verpachtet, und der Holborn Europa Raffinerie GmbH im Hamburger Hafen, die dafür den Kraftstoff liefert. Die Firmen gehören laut Geschäftsberichten der Holborn Investment Company Limited auf Zypern, die wiederum in den niederländischen Konzern Oilinvest integriert ist. Und Oilinvest befindet sich im Besitz des LIA.

So fällt Gaddafis langer Schatten auf die norddeutschen Firmen. "Sprit vom Machthaber" oder "Zapfen für Gaddafi" schrieben Zeitungen. Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn rief gar zum Boykott auf.

Seit dem 11. März steht der LIA auf der Sanktionsliste der EU. Begründung: "Wird von Muammar al-Gaddafi und seiner Familie kontrolliert und ist eine potenzielle Finanzierungsquelle für sein Regime." Ähnlich sah das 2006 die US-Botschaft in Tripolis. "Gaddafis Familie und Vertraute sollen finanziell an Tamoil und Oilinvest beteiligt sein", heißt es in einer von WikiLeaks veröffentlichten Diplomatendepesche.

Holborn-Raffinerie und deutsche Tamoil drohte das Aus, denn der Beschluss des Rates der EU zur LIA lautet: "Sämtliche Gelder, andere finanziellen Vermögenswerte und wirtschaftlichen Ressourcen, die sich im Eigentum oder unter der unmittelbaren oder mittelbaren Kontrolle der nachstehenden Personen und Organisationen befinden, werden eingefroren."

Aber knapp zwei Wochen später wurde die EU-Verordnung ergänzt. In elf stark verklausulierten Zeilen steht sinngemäß: Tochterunternehmen werden von den Sanktionen ausgenommen, wenn sie kein Geld und keine Ressourcen nach Libyen schicken.

Die Deutsche Tamoil teilte dem Abendblatt mit: "Das Unternehmen hat umfangreiche Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass den von den EU-Sanktionen betroffenen Personen und Institutionen aus der wirtschaftlichen Tätigkeit der Deutschen Tamoil GmbH keine finanziellen oder wirtschaftlichen Ressourcen zufließen." Nach Abendblatt-Informationen wachen Wirtschaftsprüfer von KPMG über den Geschäftsbetrieb von Tamoil und Holborn-Raffinerie. Wie das Abendblatt erfuhr, liegt der Bundesregierung eine anwaltliche Erklärung vor, dass Tamoil sich an die Sanktionen halte. Details wurden unter Verweis auf Geschäftsgeheimnisse zurückgehalten.

"Die Deutsche Tamoil GmbH hat noch nie Gewinne oder Dividenden abgeführt, sondern 100 Prozent der erwirtschafteten Gewinne in die Verbesserung und den Ausbau des Tankstellennetzes in Deutschland investiert", schrieb das Unternehmen. Laut Geschäftsbericht erwirtschaftete Tamoil 2009 mit rund 90 Mitarbeitern einen Jahresüberschuss von etwa 6,1 Millionen Euro, die Holborn-Raffinerie rund 2,4 Millionen Euro. Ihr Geschäftsführer Frank Heyder sagte dem Abendblatt: "In 25 Jahren wurden noch nie Gewinne abgeführt. Das Geld wurde in die Anlagen investiert." Rund 500 Mitarbeiter habe die Raffinerie heute, viele altgedient. "Sie haben eine große Treue und halten das Ding am Laufen."

Kein Geld nach Libyen - das war 2009 wohl noch anders. Die Deutsche Tamoil ist bis Ende 2013 vertraglich verpflichtet, 95 Prozent ihres Kraftstoffes bei einem anderen Unternehmen von Oilinvest auf Zypern zu kaufen, der Holborn European Marketing Company Limited (HEMCL). Rund 1,54 Milliarden Euro zahlte die Deutsche Tamoil 2009 laut Geschäftsbericht in "Aufwendungen für bezogene Waren". Welchen Anteil daran libysches Öl hatte, ist schwer zu bestimmen. Vor den Sanktionen sei ungefähr ein Viertel der Öllieferungen aus Libyen gekommen, sagt ein Raffinerie-Mitarbeiter. Derzeit fließe kein Öl mehr aus Libyen. Die HEMCL kaufe stattdessen auf dem europäischen Rohölmarkt ein.

Das Öl des libyschen Ditators ist gut, zumindest seine Qualität. Raffinerie-Experten schätzen das schwarze Gold wegen seines geringen Schwefelanteils. Das förderte den Verkauf. 2010 sprudelten 7,3 Millionen Tonnen Rohöl aus Libyen nach Deutschland. Nur vier Länder lieferten mehr Rohöl. Nach Hamburg kam es auf dem Landweg. Eine Pipeline verbindet Wilhelmshaven - den Anlaufpunkt der Tanker - mit der Holborn-Raffinerie.