In Niedersachsen geht immer mehr Dörfern der Nachwuchs aus. Bis zu 200 Grundschulen sind davon betroffen und von Schließungen bedroht.

Hannover. Die Kirche bleibt im Dorf - die Grundschule eher nicht. Denn die Zahl der Erstklässler sinkt beinahe unaufhaltsam, allein bis zum Jahr 2020 von heute 303.000 um rund 50.000. In Niedersachsen droht eine Schulschließung im großen Stil. Möglicherweise wird es an bis zu 200 Schulen dann keinen Unterricht mehr geben. Eine Paradelösung gegen das Schulsterben gibt es nicht, aber viel Ärger um die Verantwortung dafür, wie Schulen aus dem Dilemma herauskommen.

Die Einführung der Oberschule erhitzt die Gemüter seit Monaten, nun kracht es auch im Streit im Grundschulbereich. Während sich die Kommunen alleingelassen fühlen, weist das zuständige Kultusministerium in Hannover jede Verantwortung von sich. "Das Land hat es unterlassen, klare Vorgaben zu treffen, welche Schulgröße pädagogisch noch Sinn macht", sagt Andreas Grossmann (SPD), Bürgermeister von Emmerthal im Kreis Hameln-Pyrmont.

Es ist ein Beispiel für die Schulkrise. In Emmerthal musste zum Ende des vergangenen Schuljahres die Grundschule im Ortsteil Grohnde geschlossen werden. Und wer hat Schuld? "Die Schließung von Schulen ist eine alleinige Trägerentscheidung der Kommune, also der Stadt, der Gemeinde oder des Landkreises", wehrt der niedersächsische Bildungsminister Bernd Althusmann (CDU) ab.

So sieht die derzeitige Reaktion des Landes auf den demografischen Wandel aus: Grundschulen können ausnahmsweise auch kleiner als einzügig geführt werden, sollen dann aber mit benachbarten Schulen möglichst eng zusammenarbeiten. Aus Sicht des Kultusministeriums braucht eine Grundschule also nicht einmal genug Schüler, um eine Klasse pro Jahrgang zu füllen. Dies mag verwundern. Denn die Oberschule - ein Zusammenschluss aus Haupt- und Realschule - soll schließlich eingeführt werden, um wirtschaftlich und pädagogisch nicht sinnvolle Kleinstschulsysteme zu vermeiden. Bei Grundschulen zählten vor allem kurze Wege, heißt es dazu als Erklärung aus dem Kultusministerium. Die Auswirkungen auf den Unterricht seien nicht so dramatisch wie bei weiterführenden Schulen.

Die Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung in Niedersachsen, Gitta Franke-Zöllmer, fordert dagegen von der Landesregierung feste Mindestgrößen: "Grundschulen müssten grundsätzlich mindestens zweizügig sein", also zwei Klassen pro Jahrgang haben.

Eine pauschale Lösung, auf die demografischen Herausforderungen zu reagieren, gibt es nicht. Darin zumindest sind sich alle Beteiligten einig. Bildungsminister Althusmann spricht von bunten Blumen in der Bildungslandschaft, Gitta Franke-Zöllmer meint ähnliches, wenn sie "regionale Bildungslandschaften" fordert. Die Lösungsansätze sind dementsprechend vielfältig. Regionale Zusammenschlüsse wie in Emmerthal sind eine Möglichkeit, auf die schwindende Schülerzahl zu reagieren. Zuletzt gab es dort an der Grundschule in Grohnde nur noch 35 Kinder in vier Jahrgängen. Sie lernen jetzt an der Grundschule im fünf Kilometer entfernten Kirchohsen.

Anderer Landkreis, gleiches Problem: In Osterode am Harz entschloss sich der Schulträger im vergangenen Jahr, die Grundschule Schwiegershausen aufzulösen. Die Schüler lernen nun an der wenige Kilometer entfernten offenen Ganztagsgrundschule Dreilinden. Das Pendeln sei für die Kinder kein Problem, sagt ein Sprecher der Stadt.

In der Grundschule Wirdum bei Aurich werden die Kinder der 3. und 4. Klasse seit dem Schuljahr 2010/11 gemeinsam in einer sogenannten Kombiklasse unterrichtet. "Es funktioniert hervorragend", sagt Schuldirektorin Martina Leidholdt. Auch Althusmann sieht Kombiklassen als Möglichkeit der Standortsicherung, betont aber, es gebe pädagogisch sinnvollere Konzepte.

Damit mehr Dorfschulen überleben, will das Kultusministerium die Lehrer vor Ort etwa in Einzelfällen die Teilnahme an Vergleichstests freistellen. So sollen bei Engpässen in der Unterrichtsplanung mehr Kapazitäten ermöglicht werden. Gitta Franke-Zöllmer hört das zum ersten Mal: "Die Kollegien werden das kaum bestätigen."