Aufgeheizte Stimmung bei seinem Besuch in Hitzacker: Dabei sicherte er den Wendländern eine ergebnisoffene Erkundung und Mitbestimmung zu.

Hitzacker. 33 Jahre lang haben Bundes- und Landesbehörden über die Köpfe der Wendländer hinweg entschieden. Genauso lange rennen die Menschen im Landkreis Lüchow-Dannenberg mit wachsender Wut gegen den Plan an, im Gorlebener Salzstock ein Endlager für hoch radioaktiven Müll zu bauen. Gestern kam ein Mann und versprach, nun solle alles anders werden. "Echte Mitbestimmung" für die Menschen in der Region will Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) realisieren. Aber er wurde von der Vergangenheit eingeholt. Die Wendländer können sich nicht vorstellen, dass es ernst gemeint ist.

+++Umweltschützer ketten sich an Gleise, um den Castor zu stoppen+++

Die größte Halle in Hitzacker reichte nicht annähernd aus für all die Bürger, die dabei sein wollten. Natürlich gab es einen Treckerkonvoi, zahllose Fahnen und Plakate ("Verbrecherbande"), Trommler und Gaukler. Mehr Demo-Erfahrung als im Wendland mit dem jährlichen Castortransport gibt es nicht. Und wer im überfüllten Saal keinen Platz fand, fror klaglos draußen vor den Lautsprechern mit Blick auf die Elbe, die nach dem Hochwasser noch nicht in ihr Bett zurückgekehrt ist.

Atomgegner schimpfen den Minister "Heuchler", "Lügner", "Scharlatan"

Drinnen schlugen die Wellen hoch. Bei jedem zweiten Satz wurde der Minister unterbrochen. "Heuchler", "Lügner", "Scharlatan", schallte es ihm entgegen. Röttgen blieb ruhig und sprach in den kurzen Pausen zwischen den verbalen Attacken über sein Konzept.

Drei Gremien soll es geben. Der erste Arbeitskreis definiert den Informationsbedarf und den über Jahre gehenden Dialog. Das zweite Gremium besteht aus Sachverständigen. Drittens entscheidet das Vertrauensgremium. Und in allen drei Gruppen soll die einheimische Bevölkerung die Hälfte der Mitglieder stellen.

Der Minister musste sich ranhalten, sein nach eigener Einschätzung "in Deutschland bislang einmaliges Paritätsmodell" vorzustellen, mehr als 15 Minuten hatte ihm die atomkritische Kreistagsmehrheit für sein Eingangsstatement nicht zugestanden. Röttgen appellierte, weil der Atommüll nun mal da ist, ans Verantwortungsbewusstsein: "Es ist unsere Schuldigkeit gegenüber unseren Kindern und Enkelkindern." Er räumte ein, in der Vergangenheit habe die Politik manches versäumt, aber jetzt gelte: "Ich gebe eine Garantieerklärung ab, dass die Erkundung ergebnisoffen erfolgt."

Da klatschten seine CDU-Parteifreunde im Kreistag, aber sie haben ihre frühere Vormachtstellung im Landkreis verloren - eben wegen der Dauerdiskussion über das Endlager und die Castor-Transporte. Und alle anderen fünf Fraktionsvorsitzenden, FDP inklusive, gingen der Reihe nach ans Rednerpult und gaben ihr in Jahrzehnten gewachsenes und tief sitzendes Misstrauen zu Protokoll, jedes Mal von großem Beifall begleitet. Wolfgang Wiegreffe von der Unabhängigen Wählergemeinschaft: "Sie dürfen nicht glauben, dass wir freiwillig zu Opfern Ihrer Atompolitik werden und das auch noch im Dialog begleiten." Grünen-Fraktionschefin Elke Mundhenk sieht es genauso: "Wir wollen keinen regionalen Scheindialog, Sie versuchen nur, eine Bürgerbewegung unschädlich zu machen."

Sie glauben dem neuen Minister auch deshalb nicht, weil der das Moratorium für die Erkundung aufgehoben hat und per Gesetz jetzt auch die Enteignung von Grundstückseigentümern über dem Salzstock ermöglicht. Davon werde er, versicherte Röttgen den Wendländern, keinen Gebrauch machen. Später allerdings im Gespräch mit Journalisten räumte er ein, dies gelte nur, solange es noch keine Entscheidung über die Eignung Gorlebens gebe.

Bauern fürchten, ihre Milch wegschütten zu müssen

Cai Robert Malchartzeck ist Bauer. Er erzählte am Rednerpult ganz ruhig und nicht ohne Stolz, dass seine Familie Gut Korwin im wendländischen Glenze seit dem Jahr 1520 bewirtschaftet. Dann wandte er sich direkt an Norbert Röttgen: "Dagegen ist Ihre Amtszeit als Bundesumweltminister nur ein Wimpernschlag." Die Landwirte fürchten, dass sie ihre Feldfrüchte werden umpflügen müssen und die Milch wegschütten, wenn ein Endlager Gorleben kommt: "Dann kauft keiner mehr Produkte aus unserer Region."

So höflich immerhin sind die Wendländer, dass sie eine knackige Resolution gegen die weitere Erkundung erst am Nachmittag beschlossen, als der Gast aus Berlin längst weg war.

Landrat Jürgen Schulz (SPD) hatte nach der Sitzung Zweifel, ob das mit der Parität ernst gemeint ist. Zu den 50 Prozent Bürgern aus dem Wendland, so seine Rechnung, gehören ja immer auch die CDU-Leute, die auf Röttgens Seite stehen: "So hat der am Ende immer eine satte Mehrheit."

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