Ein Provokateur in seinem ganzen Element: Der Kieler Politiker Wolfgang Kubicki zieht zum wiederholten Male den Zorn der Bundes-FDP auf sich.

Kiel. Wolfgang Kubicki genießt seinen großen Auftritt. Als der FDP-Fraktionschef gestern leicht verspätet um 16.05 Uhr zur Pressekonferenz im Kieler Landeshaus erscheint, warten mehr als ein Dutzend Journalisten und zwei Fernsehteams auf den Mann, der die Lage seiner Bundespartei für "fast aussichtslos" hält und bei der FDP-Führung ein Verhalten wie in der "Spätphase der DDR" diagnostiziert. Kubicki strahlt, setzt sich vor die Mikrofone, schaut in die Runde und legt los.

Als erstes bekommt Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) sein Fett weg, weil er angekündigt hatte, dass die schwarz-gelbe Koalition auch bei einem Scheitern des Sparhaushalts im Landtag am Mittwoch weiterregieren werde. "Ich halte das für eine sehr euphorische Einschätzung", ätzt Kubicki und redet Klartext. Bekomme der Haushalt nicht die nötige Regierungsmehrheit, sei die CDU/FDP-Koalition in Schleswig-Holstein zu Ende.

Der Oberliberale versucht zugleich, die Spekulationswogen etwas zu glätten. "Wir werden den Haushalt verabschieden", versichert er und plaudert wie so oft aus dem Nähkästchen. Demnach werden den zwei Abweichlern in der CDU Zugeständnisse gemacht. Ein Beirat soll über die Verwendung der umstrittenen Küstenschutzabgabe wachen und so die nordfriesische Abgeordnete Astrid Damerow beruhigen. Zudem will die Koalition die Macht der Personalräte nicht so stark wie geplant einschränken und damit den Abgeordneten Werner Kalinka einbinden. Er ist der Vormann des Arbeitnehmerflügels der Union.

Kubicki ist in seinem Element. Der Fraktionschef erklärt gern, wie er Schleswig-Holstein (mit)regiert. Auf solche Momente hat der gewiefte Anwalt lange warten müssen. Der Alleinunterhalter der Nord-FDP saß fast 20 Jahre in der Opposition, bevor im Herbst 2009 auch dank des günstigen Bundestrends der Einzug in die Regierung gelang. Seitdem geht es mit der FDP im Bund wie in Schleswig-Holstein in den Umfragen bergab. Verantwortlich dafür macht Kubicki vor allem FDP-Chef Guido Westerwelle.

Im Landeshaus bekräftigt der Kieler Provinzfürst seine Kritik am Berliner Parteivorsitzenden, lässt keinen Zweifel daran, dass die Bundes-FDP programmatisch und personell 2011 die Kurve kriegen muss, damit die Nord-FDP bei der Landtagswahl 2012 eine Chancen hat. "Die schleswig-holsteinische FDP kann sich auch unter meiner Führung nicht vom Bundestrend abkoppeln." Kubicki kommt das ohne Zögern über die Lippen, obwohl er die Nord-FDP formal nicht führt. Landesvorsitzender ist mit Jürgen Koppelin ein Mitglied der Berliner FDP-Spitze.

Die Kritik aus der Bundespartei an seinen Äußerungen schert Kubicki nicht. Leben kann er auch mit wenig schmeichelhaften Kommentaren, in denen er als "fröhlicher Egozentriker", "renitenter Schnösel" oder "einsamer Hofnarr" dargestellt wird. "Dass ich ein eitler Selbstdarsteller bin, weiß ich allein." Ebenso gern erzählt er, warum ihm auch in der FDP niemand den Mund verbieten kann. Der erfolgreiche Anwalt lebt nicht von einem Job in der Politik oder für eine Karriere in der Bundeshauptstadt. "Ich würde in Berlin zum Trinker werden, vielleicht auch zum Hurenbock", verriet er vor Monaten.

Entscheidend für Kubicki ist Schleswig-Holstein. Dort pflichten viele Liberale ihrem Vormann bei, nicht im Ton, aber in der Sache. "Westerwelle ist der Nonnenmacher der FDP", sagt die Landtagsabgeordnete Ingrid Brand-Hückstädt dem Abendblatt. Das Vertrauen der FDP-Basis in den Bundesvorsitzenden sei inzwischen ähnlich gering wie das der Bevölkerung in den Vorstandschef der HSH Nordbank. Und wie Brand-Hückstädt sind auch andere Nord-Liberale mehr oder mindern offen stolz darauf, dass Kubicki den Parteioberen in Berlin kräftig die Leviten liest.

Derartige Querschüsse aus Kiel haben Tradition. Davon kann auch Westerwelles Vorgänger, Wolfgang Gerhardt, ein Lied singen. Vor zehn Jahren forderte der Kieler Fraktionschef den Rücktritt des FDP-Chefs, stellte ihn als "lahme Ente" dar. Schützenhilfe bekam Kubicki damals von seinem Duz-Freund Jürgen Möllemann. Das Polit-Duo verstand sich blind, entwickelte in Strande bei Kiel das "Projekt 18" und mischte die FDP bis zum Tod Möllemanns 2003 immer wieder kräftig auf.

Seitdem verhallen manche Attacken Kubickis auf Gott und die Welt, weil in der FDP niemand einstimmt. Kubicki, Mitglied im Bundesvorstand, gilt in Berlin schon seit Jahren als Nervensäge aus der Provinz, als "Quartalsirrer" von der Förde. Kubicki sieht sich dagegen als Vordenker und ist sich auch diesmal sicher, dass seine Sicht der Dinge sich am Ende durchsetzt.

Gestern bekam Kubicki, der anders als Westerwelle zum inzwischen kleinen sozialliberalen Flügel der Partei gehört, ein Angebot von SPD-Chef Ralf Stegner für den Fall, dass die FDP sich auflöst. "Die richtigen Sozialliberalen sind in der SPD herzlich willkommen."