Der Baustopp in Gorleben beflügelt die Atom-Kritiker, denen sich sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche anschließen.

Hannover. Rätselraten bei den Experten: Zwar hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Betreiber schon im Sommer die weitere Erkundung des Salzstocks Gorleben auf Eignung als Endlager für stark radioaktiven Müll beantragt. Aber erst am 22. September beantragte das BfS auch den Sofortvollzug, der noch nicht genehmigt ist. Nur dadurch konnte es zum überraschenden Baustopp für die weitere Erkundung kommen. Mangels Sofortvollzug nämlich, so bestätigte es am Freitag das zuständige Verwaltungsgericht Lüneburg, haben die in dieser Woche eingereichten Klagen von evangelischer Kirchengemeinde und Anwohnern aufschiebende Wirkung.

Eben dieser faktische Baustopp sorgt jetzt für neue Schlagzeilen und bringt den Anti-Atom-Initiativen bundesweit neuen Auftrieb. Sie mobilisieren derzeit für das erste Novemberwochenende, wenn der 12. Castortransport ins Zwischenlager Gorleben rollt. Die Organisation Greenpeace rechnete gestern vor, die längeren Laufzeiten der deutschen Atommeiler führten zu 5000 Tonnen zusätzlichem hoch radioaktiven Müll - umgerechnet weitere 500 Castorbehälter.

Von denen stehen derzeit 91 bereits im Zwischenlager Gorleben, nur einen Steinwurf entfernt vom Erkundungsbergwerk. Diese Nähe ist für den Hamburger Rechtsanwalt Nikolaus Piontek eines von vielen Indizien dafür, dass die Politik längst nicht mehr wie versprochen ergebnisoffen mit der Endlagerfrage umgeht: "Man stellt uns vor vollendete Tatsachen." Piontek ist Anwalt der evangelischen Kirchengemeinde Gartow, unter deren Grund und Boden das Bergwerk liegt und die ausdrücklich wegen des großen Risikopotenzials eines Endlagers auf einer zeitgleichen Erkundung eines zweiten denkbaren Standorts besteht.

Mit ideeller, aber auch finanzieller Hilfe der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover gehört die Kirchengemeinde Gartow deshalb zu den Klägern gegen die weitere Erkundung nach Bergrecht.

Und genau diese Forderung hat sich am Freitag mit dem Katholischen Bistum Hildesheim auch die zweite große christliche Kirche ausdrücklich zu eigen gemacht. Generalvikar Werner Schreer forderte, "dass neben Gorleben noch ein anderer Standort mit einem anderen Wirtsgestein untersucht wird". Und auch in einem zweiten Punkt liegen die Kirchen mit Schreers Feststellung auf einer Linie: "Es muss eine fachlich fundierte, gesellschaftlich akzeptable und nach Atomrecht geregelte Lösung gefunden werden." Das aber ist das Gegenteil des Vorgehens von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), der das Moratorium für Gorleben hat aufheben lassen und auf altes Bergrecht ohne zwingende Öffentlichkeitsbeteiligung setzt.

Die juristischen Bedenken gegen dieses Vorgehen sind nicht neu, standen schon vor Jahren in einem vom BfS in Auftrag gegebenen Gutachten. Aber das Bundesamt ist dem Bundesumweltministerium unterstellt und hat keinen Spielraum, seine atomkritische Haltung aus der Zeit der Großen Koalition aufrechtzuerhalten. Jetzt wird immer wieder mal über eine baldige Ablösung des BfS-Präsidenten Wolfram König spekuliert, der Mitglied der Grünen ist.