Die Roma musste in den Kosovo zurück, ein Land, das ihr fremd ist. Verbände kritisieren die Praxis des niedersächsischen Innenministeriums.

Wolfenbüttel. Wie abwesend schaut Elvira Gashi aus grünblauen Augen. Noch immer sitzen die Erinnerungen an ihre Abschiebung im vergangenen Sommer tief. Die schrecklichen Erlebnisse, die danach im Kosovo auf sie und ihre Kinder warteten, will sie am liebsten vergessen, sagt die 22-jährige Roma. Von einer auf die andere Minute ist die Kosovarin damals aus ihrer Familie gerissen worden. Sie musste Deutschland verlassen, weil sie nur eine Duldung besaß. Seit etwa einer Woche ist sie mit ihren drei und vier Jahre alten Kindern wieder in Wolfenbüttel. Eine sogenannte "Betretenserlaubnis" hat ihr die Einreise ermöglicht. Allerdings ist diese Erlaubnis auf vier Wochen befristet.

Wenn sie von der Nacht der Abschiebung erzählt, sind die Furcht und das Unverständnis von Gashis Augen abzulesen. "Ich wusste davon gar nichts. Ich habe vorher keinen Bescheid bekommen. Die sind einfach nachts um zwei Uhr reingekommen und haben mir nur gesagt, ich soll mich fertig machen, weil ich abgeschoben werde", erzählt sie. Sie habe gezittert, geschrien und geweint, lag ihrer Familie in den Armen.

Mit einem Koffer und ohne einen Cent in der Tasche habe sie dem Land den Rücken kehren müssen, in dem sie seit zwei Jahrzehnten lebte. Einem Land, in dem sie zur Schule gegangen ist und ihre beiden Kinder zur Welt gebracht hat. "Für mich ist Deutschland meine Heimat. Kosovo ist wie ein fremdes Land, das ich gar nicht kenne", sagt Elvira Gashi bitter. Und ihre drei Jahre jüngere Schwester Elmira fügt hinzu: "Das ist so, als ob man ein deutsches Kind aus Deutschland rausschmeißen würde."

Eine Anlaufstelle hatte Gashi im Kosovo nicht. "Ich habe ein paar Tage mal hier, dann mal da übernachtet", erinnert sie sich. Was die Oppositionsparteien im niedersächsischen Landtag gegen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) auf die Barrikaden trieb: Elviras früherer, gewalttätiger Freund, Vater des einen Kindes, wurde mit der gleichen Maschine abgeschoben. Nach der Ankunft im Kosovo habe sie mit ihren kleinen Kindern im Wald gelebt. "Ich hatte Angst", sagt die junge Frau. Irgendwann fand sie Unterschlupf in einem abgebrannten Haus. Oft habe sie nichts zu essen und zu trinken gehabt.

Ihre Mutter schickte ihr zwar aus Wolfenbüttel monatlich 30 oder 50 Euro, mehr konnte sie aber nicht erübrigen. Ihr Mann ist schon vor Jahren abgeschoben worden, sie wird wegen einer schweren Erkrankung geduldet, aber muss ebenfalls jederzeit mit neuen Abschiebeversuchen rechnen. Das gilt auch für die kleine Schwester von Elvira Gashi. Wer volljährig ist, bei dem zählen familiäre Verbindungen nicht länger.

Das Geld aus Deutschland reichte für Elvira Gashi und die beiden Kindern nicht aus. "Ich habe von der Hand in den Mund gelebt und auch in Mülltonnen nach Essen gesucht", erzählt sie. Verlorene Lebensfreude: Sie sei kaum wiederzuerkennen, erzählt eine Freundin. "Sie ist zurückhaltend geworden. Früher war sie ein lebensfroher Mensch", sagt die 26-Jährige, die ihren Namen nicht nennen möchte, weil sie selber eine Duldung hat und Probleme fürchtet.

Ende April muss Elvira Gashi Deutschland wieder verlassen. Der Gedanke daran raubt ihr jetzt schon den Nerv. "Ich will nicht zurück und nicht wieder so leben. Eher würde ich mich umbringen", sagt sie. Die Roma will deshalb einen Antrag bei der Härtefallkommission stellen. Die ist beim niedersächsischen Innenministerium angesiedelt und entscheidet, ob ausreisepflichtige Ausländer in Einzelfällen doch in Deutschland bleiben dürfen. Seit der Gründung im September 2006 seien dort insgesamt 302 Anfragen eingegangen, sagt die Kommissionsvorsitzende, Tina-Angela Lindner. Viele Anträge wurden aber zum Beispiel zurückgezogen oder schafften es nicht auf den Tisch der Kommission. Nur in 63 Fällen musste die Kommission eine Entscheidung treffen. "In 45 Fällen wurde ein Härtefallersuchen beschlossen und in 18 Fällen abgelehnt", sagt Lindner.

Seit Langem kritisieren aber Wohlfahrtsverbände und Kirchen den aus ihrer Sicht zu rigiden Kurs von Innenminister Schünemann. Humanitäre Gesichtspunkte kämen zu wenig zum Tragen, hieß es. Die Hürden für die Annahme von Härtefällen seien hoch und die Ausschlussmöglichkeiten rigide, kritisieren die Kommissionsmitglieder. Oft sei die Annahme an der bislang erforderlichen Zweidrittelmehrheit gescheitert. In einem Viertel der Fälle sei der Innenminister außerdem dem positiven Votum der Kommission nicht gefolgt.

Im Fall von Elvira Gashi hat sich das Innenministerium schon bei der Abschiebung der Kleinfamilie über entgegengesetzte Vorstellungen des Landkreises Wolfenbüttel hinweggesetzt. Begründet wurde die Abschiebung unter anderem damit, dass Elvira Gashi vor vielen Jahren auf Geheiß ihres Vaters zwischenzeitlich mit der Familie abgetaucht war - da war die junge Mutter noch minderjährig. Und zur Begründung der Abschiebung hat Innenminister Schünemann im vergangenen Jahr im Landtag auch ihre "sehr eingeschränkten Integrationsleistungen" angeführt. Zur Begründung verwies er auf häufiges unentschuldigtes Fehlen im Berufsvorbereitungsjahr.

Weil am 8. April der internationale Tag der Roma ist, wollen Flüchtlingsverbände gegen die Abschiebung von Minderheiten, die aus dem Kosovo stammen, in Hannover demonstrieren.