Tränen in der Marktkirche von Hannover. Viele Kirchgänger bekunden ihr Bedauern und ihre Betroffenheit über den Rückzug der Bischöfin.

Hannover. Der Täufling im Kinderwagen muss warten. Bevor gestern in der Marktkirche in Hannover ein neues Mitglied in die Evangelische Kirche aufgenommen wird, gilt es Abschied zu nehmen, und das dauert. Das mächtige Gotteshaus in Backsteingotik ist die Bischofskirche der Evangelischen Landeskirche Hannover, auf dieser Kanzel hat Bischöfin Margot Käßmann über zehn Jahre gepredigt.

Die Kirche ist bis komplett gefüllt, trotzdem ist es auffällig still. Vor Beginn des Gottesdienstes haben sie rasch noch einen Kanon eingeübt, den sie im Gottesdienst immer wieder mit Inbrunst anstimmen: "Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand." Das ist ein Zitat aus der Erklärung, mit der sich ihre Bischöfin am Mittwoch zuvor aus allen Ämtern verabschiedet hat, wegen ihrer Trunkenheitsfahrt. Dieses Zitat hatte Käßmann im November in der Marktkirche schon einmal verwendet, als Trost für die Familie von Torhüter Robert Enke nach dessen Freitod.

1. EIN PORTRÄT ÜBER MARGOT KÄßMANN

2. RÜCKTRITTSERKLÄRUNG IM WORTLAUT

3. DIE RECHTLICHE SITUATION NACH DEM RÜCKTRITT

4. DIE SEITE 3 AUS DEM HAMBURGER ABENDBLATT: MARGOT KÄßMANN - BLACKOUT EINER BISCHÖFIN

Arend de Vries, geistlicher Vizepräsident des Kirchenamtes, erinnert noch einmal an die "begeisternde Predigerin", da schauen viele auf zur leeren Kanzel und schlucken. De Vries grüßt die Gemeinde von ihr und zitiert sie: "Ich danke allen Menschen, die mich so wunderbar getragen und gestützt und für mich gebetet haben." Die Lieder sind der Fastenzeit geschuldet, aber sie passen nahtlos: "O Herr, nimm unsere Schuld", klingt es durch das Kirchenschiff und "Wenn wir in höchsten Nöten sein". Vor allem vielen Frauen ist die Traurigkeit ins Gesicht geschrieben, und Marktkirchenpastorin Hanna Kreisel-Liebermann steigt die Stufen zur Kanzel fast behutsam hinauf, predigt über Menschen in Bedrängnis. Sie erinnert daran, dass Pastor zu sein bedeute, Hirte zu sein. Und Bischof zu sein bedeute, Oberhirte zu sein: "Und so fühlen sich etliche von uns wie verlorene Schafe." Da fließen Tränen.

Beim Gästebuch am Kircheneingang haben sie in den vergangenen Tagen Schlange gestanden. In Anlehnung an das Zitat der Bischöfin bei ihrem Rücktritt steht da: "Ein Stern ist in Gottes Hand gefallen, er leuchtet strahlend weiter." Fast durchgängig wollen die Menschen für Margot Käßmann beten und trösten: "Selig sind, die Niederlagen verkraften können." Ein Ehepaar blättert durch einige Seiten, er nimmt den Stift, drückt Hochachtung aus, zögert einen Moment und schreibt dann, wohl mit Blick auf den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche: "Wann tritt eigentlich der Papst zurück?" Darunter setzt er nicht seinen Namen, sondern eine Feststellung: "Ein Katholik".

Am Ende des Gottesdienstes steht die Marktkirchenpastorin am Ausgang, drückt zahllose Hände, und ein wenig ist es, als würde man sich gegenseitig kondolieren. Die Touristengruppe aus Bayern muss noch im Nieselregen warten, es dauert, bis alle Gottesdienstbesucher die große Kirche verlassen haben. Und dann hat ja noch der Kinderwagen mit dem Täufling Vorfahrt zum Taufbecken.

Draußen stecken einige Gottesdienstbesucher noch einmal die Köpfe zusammen. Eine 68-Jährige ehemalige Verwaltungsangestellte wünscht sich "den Rücktritt vom Rücktritt - aber ich weiß, dass das leider nicht passiert". Und was die Alkoholfahrt mit 1,54 Promille angeht, da hat sie ihre ganz eigene Meinung: "Es gibt auch Messfehler." Der 13-jährige Sebastian hat im Gottesdienst mit dem Knabenchor Hannover gesungen und findet den Rücktritt schade: "Das ist eine starke Frau, die hat ihren Job gut gemacht." Die 71-jährige Ingrid Behrens ist eigentlich in einer Randgemeinde von Hannover zu Hause, aber heute ist sie in die Marktkirche gekommen, erklärtermaßen, um Trauerarbeit zu leisten: "Der Gottesdienst hat mir viel gegeben."