Die Bischöfin Margot Käßmann ist Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland - was die 51-Jährige in diesen Stunden wohl am dringendsten braucht, ist seelsorgerischer Beistand. Die Polizei hat sie mit 1,54 Promille Alkohol im Blut gestoppt, nachdem sie zuvor nächtens eine rote Ampel überfahren hatte. Das ist eine Straftat und keine lässliche Sünde.

Das passiert ausgerechnet jener Frau, die mit vollem, manchmal übervollem Herzen öffentlich moralische Ratschläge gibt. Mal zieht sie etwa den Einsatz deutscher Soldaten am Hindukusch in Zweifel, mal hält sie den Missbrauch von Drogen für nicht nachvollziehbar.

Verblendung, Verdammnis, Vergebung? Auch Margot Käßmann hat, wie jeder Christenmensch, das Recht (und die Pflicht!) auf Reue, Buße und Vergebung. Aber das ist Privatsache, ist etwas, was auch die Bischöfin Käßmann mit sich und dem Herrgott abmachen muss.

Margot Käßmann ist aber auch die oberste Repräsentantin der evangelischen Christen in Deutschland. Unterliegt sie da anderen als den privaten, sondern auch den öffentlichen moralischen Regeln und den daraus folgenden gesellschaftlichen Konsequenzen?

Erinnern wir uns: Horst Seehofer ist Ministerpräsident und Vorsitzender einer christlichen Partei. Der Mann hat die Ehe gebrochen und außerehelich ein Kind gezeugt - was ihn an der Ausübung seiner Ämter aber erkennbar nicht hindert. Von Horst Seehofer erwarten seine Bürger ordentliche Politik, sie sehen ihn offenbar nicht als moralische Instanz.

Die aber ist Frau Käßmann mindestens für die evangelischen Christen in Deutschland. Sie repräsentiert sie und vertritt sie im öffentlichen Diskurs. Ob sie das noch genauso ausüben kann wie vor dem jetzt bekannt gewordenen Sündenfall, muss sie selbst entscheiden. Eine ganz persönliche Entscheidung mit wahrscheinlich größtmöglicher öffentlicher Auswirkung.