Kubicki kritisiert Merkel und lobt Westerwelle. Er will das Atomkraftwerk Krümmel stilllegen - und der HSG-Nordbank-Chef soll gehen.

Mit der schwarz-gelben Bundesregierung ist Wolfgang Kubicki (57) ganz und gar nicht zufrieden. Das Reformtempo ist dem Kieler FDP-Fraktionschef zu gering, Kanzlerin Merkel zu machtbesessen. Auch für Schleswig-Holstein redet Kubicki im Interview mit dem Abendblatt Klartext. Der Rechtsanwalt möchte HSH-Boss Nonnenmacher rauswerfen, das Atomkraftwerk Krümmel stilllegen und notgedrungen das geplante kostenlose Kita-Jahr einsparen.

Hamburger Abendblatt: Herr Kubicki, Sie haben über Ministerpräsident Peter Harry Carstensen einmal gesagt, er mache sich gut als König von Schleswig-Holstein. Seine politische Gestaltungsfähigkeit sei aber eher unterdurchschnittlich.

Wolfgang Kubicki: Das war zu Zeiten der Großen Koalition. Seit CDU und FDP regieren, hat Peter Harry Carstensen wieder Lust und Laune am Amt gefunden. Wir marschieren in die gleiche Richtung, das aber mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Ich drücke aufs Tempo und der Ministerpräsident macht das, was er wie kein anderer beherrscht: nämlich auf die Menschen zuzugehen.

Abendblatt: Sie müssten Herrn Carstensen doch unendlich dankbar sein. Er hat die Große Koalition im Sommer beendet und die Landtagswahl so auf den Tag der Bundestagswahl vorgezogen.

Kubicki: Das war keine Strategie. Aber es stimmt. Es gab für die FDP keinen besseren Zeitpunkt als die Wahl am 27. September.

Abendblatt: Beim regulären Wahltermin im Mai dieses Jahres hätte der FDP ein Desaster gedroht. Was läuft schief in Berlin?

Kubicki: Die Menschen haben erwartet, dass sie nach der Bundestagswahl morgens aufwachen und alles wird besser. Bis heute ist aber nicht deutlich geworden, dass sich irgendetwas ändert. Die Menschen sagen, es ist das gleiche Gemurkse wie vorher.

Abendblatt: Sehen Sie das auch so?

Kubicki: Es stimmt leider. Das Reformtempo ist noch gering. Die schwarz-gelbe Koalition in Berlin hat vieles auf die Zeit nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vertagt. Ich habe das immer für falsch gehalten. Aber Angela Merkel wünscht es offenbar so.

Abendblatt: Ihr Parteichef Guido Westerwelle hat die Flucht nach vorn angetreten und sich bei seiner Sozialkritik im Ton vergriffen.

Kubicki: Ich habe meinem Parteivorsitzenden gesagt, ich hätte den Begriff der Dekadenz nicht gewählt, weil ihn 90 Prozent der Menschen nicht verstehen. Botschaften muss man in einer Sprache rüberbringen, die bei den Menschen ankommt.

Abendblatt: Wie groß ist der Flurschaden für die FDP?

Kubicki: Guido Westerwelle hat der FDP definitiv nicht geschadet. Im Gegenteil. Die Kampfbereitschaft in meiner Truppe ist größer geworden. Wir können bei Hartz IV nicht immer nur draufpacken. Es macht schon heute für viele Leistungsempfänger ökonomisch keinen Sinn, arbeiten zu gehen.

Abendblatt: Wollen Sie Hartz IV kürzen?

Kubicki: Wir müssen, das ist die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, den wirklichen Bedarf der Menschen ermitteln. Das kann unter Umständen zu höheren Leistungssätzen führen. Ich glaube aber, dass es eher weniger bedeutet. Es könnte auch regionale Unterschiede geben. Zum Beispiel ist das Leben in Husum preiswerter als etwa in Hamburg.

Abendblatt: Wann legt die FDP ihre Konzepte auf den Tisch?

Kubicki: Wir werden im April unsere Eckdaten für eine vernünftige Gesundheitsreform und ein Steuersystem vorstellen, das einfacher, gerechter und niedriger ist - in dieser Reihenfolge. Mit diesen Konzepten werden wir auch in die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gehen. Wir wollen die CDU vor der Wahl festlegen und unsere Partner dazu zwingen, endlich Farbe zu bekennen.

Abendblatt: In Berlin liegt also Krach in der Luft.

Kubicki: Schwarz-Gelb ist keine Liebesheirat, sondern eine Arbeitsgemeinschaft. Der Union geht es um den Machterhalt, uns um die Sache. Dafür werden wir stärker als bisher streiten. Man könnte es auch salopper formulieren: Wir nehmen die CDU unter "friendly fire".

Abendblatt: In der Defensive ist die Nord-FDP in der Energiepolitik. Die Landesliberalen pochen auf den Atomausstieg, die Bundespartei will die Kernkraftwerke länger laufen lassen.

Kubicki: Wir wollen am Atomkonsens nicht rütteln und sind optimistisch, dass Berlin sich guten Argumenten nicht verschließt. Zeitgleich versuchen wir, in Schleswig-Holstein etwas zu bewegen, etwa beim Atomkraftwerk Krümmel.

Abendblatt: Was haben Sie unternommen?

Kubicki: Ich habe dem Vorstandschef von Vattenfall Europe, Tuomo Hatakka, vorgeschlagen, Krümmel nicht wieder anzufahren und die Reststrommengen auf das Kraftwerk Brokdorf zu übertragen. Er will darüber nachdenken. Vattenfall bekäme dadurch eine extrem gute PR und wäre seine Sorgen um die Zukunft von Krümmel los.

Abendblatt: Die Landesregierung kann den Neustart von Krümmel doch kaum verhindern.

Kubicki: Die Landesregierung hält sich an Recht und Gesetz und wird, wenn alle Voraussetzungen vorliegen, die Genehmigung zum Wiederanfahren erteilen. Ich sage aber auch: Beim nächsten Störfall wird es mit Sicherheit keine Genehmigung mehr geben. Eine Klage von Vattenfall schreckt niemanden: Wir wissen 80 Prozent der Bevölkerung hinter uns.

Abendblatt: Bei der HSH Nordbank lagen Sie falsch. Sie hatten vorhergesagt, dass der HSH bis Ende 2009 das Geld ausgeht. Die Quartalszahlen geben das nicht her.

Kubicki: Für ein Urteil ist es zu früh. Ich bin in der Lage, jede Bilanz für ein Jahr sauber zu frisieren. Auf Dauer gelingt das aber nicht. Die HSH ist Weltmarktführer im krisengeschüttelten Schiffsgeschäft.

Abendblatt: Vor der Wahl hatten Sie den Rücktritt von HSH-Boss Dirk Jens Nonnenmacher gefordert. Er ist weiter im Amt.

Kubicki: Schleswig-Holstein ist Minderheitsgesellschafter der HSH. Wir können Herrn Nonnenmacher deshalb bedauerlicherweise nicht ablösen. Die Einschätzung, dass er der Einzige ist, der die Bank retten kann, teile ich nicht. Es ist dringend notwendig, die Neuausrichtung der Bank mit einem neuen Mann vorzunehmen.

Abendblatt: CDU und FDP regieren nur noch mit Einstimmenmehrheit. Reicht das, um einen radikalen Sparkurs durchzusetzen?

Kubicki: Große Entscheidungen sind immer mit kleiner Mehrheit getroffen worden. Einfach wird es aber nicht, etwa beim gebührenfreien dritten Kita-Jahr. Es ist sinnvoll, aber wir werden es wohl zurücknehmen müssen, weil wir unser Sparziel sonst nicht erreichen können.

Abendblatt: Peter Harry Carstensen lässt offen, ob er 2012 mit dann 65 seinen Sessel räumt und den Stab an Fraktionschef Christian von Boetticher übergibt.

Kubicki: Die Diskussion wird nicht von der FDP angestoßen, sondern aus der CDU. Ich kann dabei Herrn von Boetticher verstehen. Er möchte Sicherheit. So wie ich aber Peter Harry Carstensen kenne, würde ich fast eine Monatsdiät darauf verwetten, dass er bis zum Ende der Wahlperiode Ministerpräsident bleibt.