Das Opfer wollte sterben, sagte die Angeklagte. Es war das tragische Ende einer ungewöhnlichen Beziehung zweier Frauen. Die eine hatte Angst vor dem Alter, die andere litt unter einem Helfer-Syndrom.

Stade. Sie ist adrett gekleidet, die Frau aus Sülldorf - so wie an den vorherigen 15 Prozesstagen auch. Beige Blazer, Kaschmirschal, stylische Sonnenbrille. Zierlich wirkt sie, zerbrechlich - und fast unbeteiligt, als Rolf Armbrecht, Vorsitzender Richter der Ersten Großen Strafkammer am Landgericht Stade, begründet, warum sie die nächsten vier Jahre im Gefängnis verbringen wird. Nur als Armbrecht vorträgt, was sich nach Auffassung des Gerichts wirklich abgespielt hat an jenem 28. Juli 2008, da muss Adelheid B. ein paar Mal schwer schlucken.

Es ist der Tag, an dem die 52-jährige Hausfrau ihre Bekannte, die 75 Jahre alte Kaffee-Erbin Verena Jansen, in einem Maisfeld bei Kakerbeck erwürgt hat. "Sie hat es so gewollt. Ich tat es aus Mitleid", sagte Adelheid B. zu Beginn des Verfahrens.

Doch das Gericht glaubt ihr nicht: Am Freitag hat die Kammer sie wegen Totschlags in einem minderschweren Fall zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren verurteilt. Der Fall galt als extrem knifflig. Das Gericht hatte zu entscheiden, ob es sich um "Töten auf Verlangen" handelt, wie die Angeklagte behauptete. Oder um Totschlag - so der Vorwurf von Staatsanwältin Katharina Niezgoda.

Als der Prozess im März beginnt, stehen die Persönlichkeitsstruktur und das Beziehungsgeflecht der beiden ungleichen Frauen im Mittelpunkt. Hier die Angeklagte Adelheid B., ein labiler Gutmensch, über alle Maßen empathisch, sensibel, warmherzig. Steuerbar. Da Verena Jansen, die ihr weit überlegene, kauzige Intellektuelle aus Blankenese, manischdepressiv. Todessehnsüchtig.

Die "Tote im Maisfeld" heißt sie, nachdem ein Jäger am 29. Juli 2008 ihre Leiche entdeckt hat. Vier Wochen später, nachdem der Fall bei "Aktenzeichen XY" ausgestrahlt wird, hat die unbekannte Tote einen Namen. Verena Jansen - ein Mensch voller Widersprüche und Gegensätze. Als eine Frau mit messerscharfem Verstand, die fünf Sprachen fließend spricht und Shakespeare auf Englisch zitiert, beschreiben sie Freunde. Aber auch als jemand, der die feine Gesellschaft im Hamburger Westen mit allerlei Eulenspiegeleien und Provokationen narren konnte. Sie lebte in einer Wohnung im Blankeneser Treppenviertel, feinste Lage - und hauste dort wie ein Messi. Mal wedelte sie mit 500-Euro-Scheinen herum, dann las sie in einer Bäckerei Kuchenkrümel vom Blech, tanzte nackt wie ein Hippie auf dem Balkon ihrer Wohnung oder vertraute völlig Fremden Intimes an. Liebevoll und "durchgeknallt", lebenslustig, aber eben auch tieftraurig - so haben sie Freunde erlebt. Häufig habe sie vom Tod geredet, auch von ihrer Angst vor Einsamkeit und Armut - obgleich sie über genügend Barmittel verfügte.

Zum ersten Mal begegnet Adelheid B. der alten Dame 2005 auf dem Blankeneser Wochenmarkt. Verena Jansen beschwert sich über die hohen Preise für Erdbeeren. Sie würde gern mal wieder welche essen, habe aber kein Geld. "Da habe ich ihr eben eine Schale gekauft.", sagt Adelheid B.

Die 52-Jährige gilt als warmherzig und hilfsbereit. Mit ihrem Mann, einem Airbus-Ingenieur, führte sie in Sülldorf ein grundsolides Leben. "Ihr machte es Freude, alten Leuten ein paar schöne Stunden zu machen", sagt eine Nachbarin. Doch für sie, so Gutachter Jörg Schmitz, wird Helfen zur Sucht. Adelheid B. leidet unter einem Helfer-Syndrom. Braucht das Gefühl, gebraucht zu werden.

Als Adelheid B. die Wohnung der alten Dame Ende 2007 zum ersten Mal betritt, ist sie erschüttert. Die Küche ist seit Langem nicht benutzt, Dreck und Müll überall, aber kein Bett. Bald bringt sie Frau Jansen dreimal in der Woche Essen nach Hause. Immerzu habe die alte Dame von Selbstmord geredet, und über ihre Angst vor einer beginnenden Demenz. Adelheid B. habe noch versucht, ihr den Todeswunsch auszureden. "Ich kann Ihnen beim Leben helfen, aber nicht beim Sterben." Doch nachdem sie erlebt hat, wie Verena Jansen in einem Blankeneser Feinkostladen das Wasser nicht mehr halten kann, will sie ihre Meinung geändert haben. "Sie war so verzweifelt, weinte herzzerreißend", sagt B. "Da habe ich ihr aus voller Überzeugung gesagt: Ja, ich helfe Ihnen." Doch wollte Verena Jansen wirklich sterben? Kurz vor ihrem Tod, so erinnern sich Zeugen, wirkte sie "auffällig glücklich". Noch am 28. Juli erzählte sie Bekannten, sie werde bald umziehen. Für das Gericht steht fest, dass der Suizid nur ein Gedankenspiel war. "Reden ja, handeln nein."

Dann ist es Adelheid B., die die Weichen stellt: Sie organisiert das Ableben der alten Dame, sucht den Ort aus, beschafft die Tabletten.

Der 28. Juli 2008 ist ein sonniger, warmer Tag. Ein Tag, wie ihn sich Verena Jansen zum Sterben gewünscht hat. Die beiden Frauen fahren in einem silbernen Daihatsu zu einem Maisfeld in der Nähe des Kakerbecker Hexenbergs. Den tödlichen Medikamentencocktail - Beruhigungstabletten, zu Pulver zermahlen und mit Wasser vermischt - hat Adelheid B. von einem befreundeten Ehepaar bekommen. Sie breiten Decken aus, ein Seidentuch haben sie auch mitgenommen. Darin will Verena Jansen eingehüllt werden, wenn ihr Herz aufgehört hat zu schlagen. Doch dann geht etwas schief: Die alte Dame nimmt nur ein paar Schlucke von dem Medikamentencocktail. Dann gleitet ihr das Giftglas aus der Hand.

Adelheid B. behauptet, dass Verena Jansen dann mit einem Stein erschlagen werden wollte. Doch die 52-Jährige weigerte sich. "Dann erwürg mich", soll sie sie aufgefordert haben. Und Adelheid B. drückt zu, mindestens fünf, eher zehn Minuten, wie ein Gerichtsmediziner feststellt.

Adelheid B. hat eine andere Version, doch die überzeugt die Kammer nicht. Das Gericht sieht es vielmehr als erwiesen an, dass sich die Tat so zugetragen hat, wie es Adelheid B. in einem anonymen, kurz nach der Tat an die Polizei verschickten Brief dargestellt hat. Darin gab sie sich als Augenzeugin aus, die aus nächster Nähe beobachtet haben will, wie ein Mann mit polnischem Akzent die alte Dame erdrosselt hat. Wie er sich auf sie stürzt, sie zehn Minuten würgt, wie er nach der Tat das Giftglas ins Maisfeld schmeißt. "Die Übereinstimmungen mit den Tatortbefunden sind evident", sagt Richter Armbrecht. Kaltblütig geplant hatte sie die Tat aber nicht. Adelheid B. handelte im Affekt und verlor in dem Moment die Kontrolle, als die alte Dame ihren Wunsch zu sterben, aufgegeben hatte. Mit vier Jahren Haft ist das Gericht deutlich unter den sieben Jahren geblieben, die die Anklage gefordert hatte. Die mildernden Umstände - Teilgeständigkeit, Affekt, Einwilligung des Opfers - setzten die Strafe herab.

Pitt Krug saß an jedem Prozesstag im Gericht. Er kannte Verena Jansen seit 1959. "Als klug und lieb" beschreibt er sie. "Über die vier Jahre kann sich die Angeklagte doch freuen", sagt er. "Es ist ein mildes Urteil."