Politiker, Tierschützer und Anwohner nehmen Anlagen mit bis zu 80.000 Tieren ins Visier. Wiesenhof-Chef spricht von “moderner Hexenverbrennung“.

Hannover. Die Geflügelwirtschaft in Niedersachsen gerät immer mehr unter Druck. Landesweit regt sich Widerstand gegen neue Mastanlagen, binnen zehn Tagen sind zwei Stallanlagen in Flammen aufgegangen: Verdacht auf Brandstiftung. Und das ARD-Fernsehmagazin "Report Mainz" plant nach zahlreichen Berichten über tierquälerische Mast von Puten und Hühnern jetzt einen kritischen Bericht über den größten Geflügelkonzern des Landes mit Sitz in Visbek im Landkreis Vechta, "Das System Wiesenhof". Firmenchef Peter Wesjohann wehrt sich und spricht von "moderner Hexenverbrennung".

Wesjohann ist Vorsitzender des Agrarkonzerns PHW, dessen wichtigstes Standbein wiederum die Wiesenhof-Gruppe mit Brütereien, Schlachthöfen und eigenen Mischfutterwerken ist. Beinahe jedes zweite in Deutschland geschlachtete Hähnchen, so die Firma stolz, komme von Wiesenhof.

Aber die Branche ist durch meist von der Tierrechtsorganisation Peta gedrehte Fernsehbilder von tierquälerischer Haltung und durch Hygienemängel auch in Betrieben der Wiesenhof-Gruppe in die Defensive geraten. Gegen die Expansion mit dem Bau riesiger Ställe mit Platz für 80 000 Hähnchen und mehr laufen an immer mehr geplanten Standorten in Niedersachsen Bürgerinitiativen Sturm. Und der Verfassungsschutz will im Gegenzug nicht einmal mehr ausschließen, dass die linksextremistische autonome Szene mitmischt, weil sie, ähnlich wie bei Castor-Transporten, in dem zunehmenden Protest aus dem bürgerlichen Lager günstige Rahmenbedingungen zu erkennen glaubt.

Hans-Werner Wargel, Chef des Verfassungsschutzes in Niedersachsen, legt Wert auf eine saubere Unterscheidung. Er sagte dem Abendblatt: "Wir beobachten keine Tierschützer, auch militante Aktionen sind nicht automatisch verfassungsfeindlich." Richtig sei aber auch: "Es gibt eine Nähe zwischen einigen Gruppierungen militanter Tierschützer, wie zum Beispiel der ALF, und der linksextremistischen autonomen Szene. Sie sehen in unserem demokratischen Rechtsstaat ein zu bekämpfendes Herrschaftssystem. Insoweit sind sie in unser Beobachtungsspektrum gekommen." Seine Einschätzung: "Solchen Aktivisten geht es nicht nur um Tierschutz im eigentlichen Sinne, sondern darum, mit militanten, strafbaren Mitteln ihre Ideologie durchzusetzen und das politische System zu überwinden."

ALF ist die Tierrechtsorganisation Animal Liberation Front, die sich Ende Juli vergangenen Jahres nach dem Brand einer neuen Hähnchenmastanlage in Sprötze im Landkreis Harburg dazu bekannte, den noch leer stehenden Stall angezündet zu haben. Auch in einer Mastanlage in Üfingen bei Salzgitter wurde vor zehn Tagen ein Feuer gelegt. Gestern ging per E-mail bei der Polizei ein Bekennerschreiben radikaler Tierschützer ein, die jedoch anonym blieben. Werner Hilse, Chef des Landvolkverbandes: "So eine Tat ist verabscheuenswürdig und darf in einem Rechtsstaat nicht passieren."

Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) formuliert vorsichtiger. Wenn es sich um einen Brandanschlag gehandelt habe, sei dies "Selbstjustiz übelster Form". An diesem Wochenende dann starben rund 1000 Schweine in einer Mastanlage in Wolfsburg, auch hier untersucht die Polizei, ob es sich um Brandstiftung handelt.

Für die Geflügelwirtschaft stellen sich auch von anderer Seite besondere Aufgaben: Minister Lindemann fordert schärfere Tierschutzbestimmungen für die Mastanlagen und hat einen konkreten Zeitplan aufgestellt, um etwa das für die Tiere schmerzhafte Schnäbelkürzen bei Puten langfristig zu verbieten. Er reagiert mit Rückendeckung von Ministerpräsident David McAllister (CDU) auf die deutliche Kaufzurückhaltung sogar bei den Discountern, wenn wieder einmal Bilder von Tierquälerei auf deutschen Bildschirmen zu sehen sind. Zudem will Lindemann die Expansion der großgewerblichen Mastbetriebe einschränken.

Und weil auch das ARD-Magazin "Report Mainz" in genau diese Richtung recherchiert, ist PHW-Konzernchef Wesjohann sauer. Er verweist auf den Titel der Reportage: "Das System Wiesenhof. Wie ein Geflügelkonzern Menschen, Tiere und Umwelt ausbeutet". Als ein Team des Senders in der vergangenen Woche in Visbek anrückte, wurde es zur Pressekonferenz des Unternehmenschefs nicht zugelassen: "Weil Tenor und Titel ihres Beitrages schon feststehen, sie suchen ja nur noch nach Bausteinen." Für Wesjohann geht es um "ideologischen Kampagnenjournalismus".

Umgekehrt beschweren sich die Bürgerinitiativen, sie würden wegen ihrer Proteste gegen neue Agrarfabriken diffamiert als "biedermännische Wegbereiter für Brandstifter". Eckehard Niemann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft: "Offenbar schlägt die Agrarindustrie-Lobby angesichts der Wirkungslosigkeit ihrer Agrarfabriken-Schönfärberei nunmehr hilflos und aggressiv um sich."

In Gefahr gerät zunehmend auch die gute Nachbarschaft im ländlichen Raum. Vor einigen Wochen vertrieben Bauern mit ihren Treckern rabiat eine Gruppe von Demonstranten, die zuvor den Bauplatz einer neuen Mastanlage im Landkreis Lüchow-Dannenberg besetzt hatten.