Der fundamentalistische Christ Axel H. entführte seine vier Kinder für mehrere Monate nach Nordafrika. Dafür muss er anderthalb Jahre in Haft.

Lüneburg. Er hat in vier Verhandlungstagen den immer gleichen Auftritt geliefert: derselbe Strickpullover, dasselbe Selbstbewusstsein, dasselbe Selbstverständnis. Axel H., der im vergangenen Jahr seine vier Kinder für mehrere Monate aus dem 8000-Einwohner-Erholungsort Hermannsburg in der Lüneburger Heide nach Ägypten und in den Sudan entführt hat, weicht vor dem Landgericht Lüneburg bis zur Urteilsverkündung nicht von seiner Haltung ab: Er habe das Recht gehabt, so zu handeln. Und die Pflicht. Um seine Kinder vor dem schädlichen Einfluss ihrer Mutter zu schützen, einer in Sünde lebenden Ehebrecherin.

Der Mann wollte nicht, dass seine Frau enge Kleider und kurze Haare trägt, dass seine Söhne im Fußballverein spielen und am Einschulungsgottesdienst teilnehmen und dass die Familie Auto fährt. Und er selbst wollte nicht weiter als Krankenpfleger arbeiten.

+++ Urteil: Anderthalb Jahre Haft für Vater +++

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Die immer fanatischer werdenden Glaubens- und Lebensgrundsätze ihres Ehemanns führten Katja H., 31, nach zwölf Jahren Beziehung dazu, Axel H. im Sommer 2009 zu verlassen, den sie vor mehr als 14 Jahren während der Ausbildung im Krankenhaus kennengelernt hatte.

Dass sie kurze Zeit später mit einem anderen Mann zusammenkam, nennt Axel H., der noch immer seinen Ehering trägt und Katja H. "meine Frau" nennt, Ehebruch. Für den sie in die Hölle kommen werde.

+++ Entführung ihrer vier Kinder war für Mutter ein Albtraum +++

Dass das Amtsgericht Celle ihm später das Sorgerecht absprach und er seine Kinder nur noch vier Stunden pro Monat sehen durfte, sei "Sünde", eine "nachweisliche Fehlentscheidung".

Er lebe nach der Bibel, sagt der 38-Jährige über sich selbst. Er leide unter religiösem Wahn, vermutet seine Frau. Er sei rigide und engstirnig, befindet der psychiatrische Gutachter.

"Er hat sich in dreister und eigensinniger Weise über das Recht hinweggesetzt. Er hat sich sein nicht bestehendes Recht einfach genommen." Sagt Oberstaatsanwalt Lars Janßen am letzten Verhandlungstag des wohl spektakulärsten Falls von Kindesentziehung in den vergangenen Jahren: Ein deutscher Christ entführt seine Kinder in muslimische Länder, in denen Bürgerkrieg herrscht und Christen verfolgt werden.

"Er hat in die Rechte der Mutter und die der Kinder auf körperliche und psychische Unversehrtheit massiv eingegriffen. Er beansprucht die Deutungshoheit der Bibel für sich und kann sich über alles hinwegsetzen, was ein Familiengericht anordnet und mit dem Jugendamt abgesprochen wird." Sagt die Anwältin der Mutter, die als Nebenklägerin und Zeugin sämtliche Prozesstage in Lüneburg miterlebt hat.

+++ Verschleppte Kinder sind zurück in Celle - Mutter erleichtert +++

"Er wollte das Beste für seine Kinder. Nur im Ausland sah er die Möglichkeit, seine Kinder in seinem Glauben zu erziehen und dem seiner Meinung nach schlechten Einfluss der Mutter zu entziehen. Er war und ist überzeugt von der Richtigkeit seiner Handlungsweise." Das erklärt der Pflichtverteidiger für seinen Mandanten.

Axel H., vor Gericht stets selbstbewusst und ohne Scheu vor Wertungen und Kommentaren, erklärt am letzten Prozesstag in mehr als anderthalb Stunden noch einmal seine Sicht, seine Welt, sein Bild. Es sei seine Verpflichtung, seine Kinder zu erziehen. Die Gesellschaft befinde sich im moralischen Verfall. Er nennt Pornos auf Kinderhandys in einem Satz mit Patchworkfamilien und Lebensabschnittspartnern. Die deutschen Gesetze beachte er sehr wohl. Aber nur, "solange sie nicht gegen Gottes Recht verstoßen", sagt er. "Gott ist mein Zeuge."

Axel H. versucht in Lüneburg auch, endlich das niemals geführte Revisionsverfahren des Familiengerichtsstreits zu führen. Die Kinder hätten eine stärkere Bindung zu ihm als zur Mutter. Sie sei egoistisch. Für das Kindeswohl habe er kurzfristig handeln müssen. "Ich befand mich in einer ausweglosen Situation", sagt der Vater. Seine Gründe für die Entführung müssten auch für Nichtgläubige "rational", "nachvollziehbar", "einleuchtend" sein. "Welchen Weg hätte ich sonst gehen sollen?"

Dem "Gebot der Liebe zu folgen" lautet am Ende der Rat des Vorsitzenden Richters. Das Gericht erkenne an, dass sich der Angeklagte in einer für ihn "subjektiv relativ ausweglosen Situation" befunden habe. Aber er habe den Kindern "einen irdischen Vorgeschmack auf die Hölle gegeben". Und die Einsicht des eigenen Schuldanteils vermisse er - trotz des Geständnisses. Das Gericht bleibt unter der Forderung der Staatsanwaltschaft von zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis und verurteilt den nicht vorbestraften Axel H. wegen Einbruchsdiebstahls - er hatte nachts Dokumente aus dem Haus gestohlen - und Entführung Minderjähriger zu einem Jahr und sechs Monaten in Haft. Die Revision ist zulässig.