Fünf Geschichtsforscher vom Verein der Verfolgten des Nazi-Regimes veröffentlichen eine Broschüre über die Gestapo in Lüneburg.

Lüneburg. Sie folterten, sie verbreiteten Schrecken, sie ließen ermorden: Mitarbeiter der Lüneburger Dienststelle der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). Doch wer waren diese Staatspolizisten, und wer arbeitete ihnen zu? Was genau passierte damals, von 1940 bis 1945, an der Julius-Wolff-Straße 4, dem Sitz der Gestapo-Dienststelle? Wer waren die Opfer?

Fünf Lüneburger Hobby-Historiker vom Verein der Verfolgten des Nazi-Regimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) haben in dreijähriger Arbeit versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden. Peter Asmussen, Dietrich Banse, Hans-Jürgen Brennecke, Jürgen Dietze und Peter Raykowski forschten in Archiven, sprachen mit einigen der wenigen noch lebenden Zeitzeugen. Ihre Erkenntnisse haben Sie in einer knapp 70-seitigen Broschüre zusammengefasst, die nun erhältlich ist: "Die Staatspolizei Lüneburg/Strukturen und Täter".

"Das Problem ist, dass die Gestapo-Mitarbeiter bei Kriegsende alle Akten und Dokumente vernichtet haben", erklärt Peter Asmussen. Doch auch wenn in Lüneburg keine schriftlichen Unterlagen mehr existieren, so musste es, überlegten sich die Hobby-Historiker, doch Schriftverkehr mit anderen Behörden gegeben haben. Vielleicht würde man dort fündig? "Das war wirklich mühsam", sagt Hans-Jürgen Brennecke, "wir haben überall gesucht: in Kreisarchiven, Staatsarchiven, Bundesarchiven und auch bei vielen NS-Gedenkstätten."

Es hat sich gelohnt. Die fünf Lüneburger fanden Briefe, Aufnahmescheine, Entlassungsgesuche, Personal- und Lageberichte aus der Lüneburger Gestapo-Dienststelle. So gelang es ihnen, deren Struktur und die Mitarbeiter weitestgehend zu rekonstruieren. Von A wie "Abendroth, Kurt" bis W wie "Wolff, Joseph" werden die Beamten und ihre Sekretärinnen aufgelistet - häufig mit Geburtsdatum und Dienstgrad.

Manche der Gestapo-Mitarbeiter werden näher beleuchtet. Zum Beispiel Wilhelm Kleinow, geboren am 18. April 1904 in Stendal. Der Kriminal-Obersekretär verhörte deutsche Frauen, die angeblich mit ausländischen Arbeitskräften "unerlaubte Beziehungen" eingegangen waren. "Kleinow" lautet auch die Unterschrift auf einem Dokument, auf dem die Lüneburger Ortspolizei angewiesen wurde, den sowjetischen Kriegsgefangenen Feodor Kubawzew in das Konzentrationslager Neuengamme zu bringen. Die Anklage lautete auf Diebstahl; ein Verfahren, eine Anhörung oder einen Prozess gab es laut Broschüre nicht. Außerdem, so behaupten die fünf Herren vom VVN, sei Kleinow an der Ermordung eines polnischen Zwangsarbeiters "als ausführende Person" beteiligt gewesen.

Noch schlimmer soll ein gewisser Martin Hinz, geboren am 22. Februar 1907 in Kiel, gewesen sein. Der Kriminalsekretär sei von den Häftlingen als "Sadist" betitelt worden. Weiter heißt es: "Oft wurden Schreie von Misshandelten gehört. (...) Der Angeklagte war auf der Dienststelle bekannt als hart und brutal. In seinem Dienstzimmer befand sich außer einem Gummiknüppel auch ein Ochsenziemer."

Die Broschüre beschränkt sich nicht nur auf die Benennung der Gestapo-Mitarbeiter, sondern stellt auch ausführlich die Entwicklung in der Lüneburger Dienststelle dar. Demnach wurde per Gesetz vom 26. April 1933 in Harburg-Wilhelmsburg ein "Geheimes Staatspolizeiamt" eingerichtet; im September 1939 wurde an der Reitenden-Diener-Straße eine Lüneburger Außenstelle eröffnet. An die Julius-Wolff-Straße zog die Gestapo-Dienststelle nach Dokumenten des VVN-BdA am 1. Juli 1940. Lüneburg war nunmehr Hauptstadt des NSDAP-Gaus Ost-Hannover, der sich von Fallingbostel bis Dannenberg und von Harburg bis Wolfsburg erstreckte.

Gespickt mit Kopien vieler Original-Dokumente und Fotos der ehemaligen Gestapo-Zentrale, den Mitarbeitern und auch deren Wohnhäusern, liest sich die Broschüre größtenteils flüssig und spannend. Theoretische, trockene Abschnitte ließen sich bei dieser Faktenaufzählung nicht vermeiden. "Wir haben in unsere Broschüre nur aufgenommen, was wir wirklich beweisen konnten", sagt Asmussen. "Die vielen Berichte aus dritter Hand über Folterungen, Verschleppungen und Ermordungen ließen sich leider nicht belegen, wir haben sie also weggelassen."

Zumindest fast. Geschickt werden einige Beispiele solcher nicht belegbaren Verbrechen ins Vorwort verbannt. Außerdem tun die Verfasser an dieser Stelle ihr Befremden kund: Es scheine unverständlich, dass die Lüneburger Gestapo, "die in der etwa vierjährigen Zeit ihres Bestehens nicht nur selbst mehrere Tausend Verhaftungen vornahm und Haftstrafen erwirkte, ebenso Einlieferungen, Misshandlungen und Folter in Arbeitserziehungs- und Konzentrationslagern zu verantworten hat und zahlreiche Exekutionen beantragte und durchführte, in der stadtgeschichtlichen Literatur nicht vorkommt."

Äußerst interessant ist auch das letzte Kapitel der Broschüre, "Die Täter nach 1945". Das Resümee der Geschichtsforscher ist erschreckend: Die härteste Strafe, die einer der Lüneburger Gestapo-Mitarbeiter verbüßen musste, waren zwei Jahre Zuchthaus für Martin Hinz.

Drei der Beamten wurden andernorts bestraft, allerdings nicht für ihre Verbrechen in Lüneburg. Für manche gab es U-Haft, andere wurden freigesprochen, darunter auch Friedrich-Joachim Freitag, von Herbst 1944 bis April 1945 Dienststellenleiter in Lüneburg.

So umfangreich und detailliert die Broschüre auch ist, eine ausführliche wissenschaftliche Untersuchung und Bewertung der Nazi-Vergangenheit Lüneburgs kann und soll sie nicht ersetzen. "Wir brauchen so schnell wie möglich eine lückenlose Aufklärung", fordern Asmussen und Brennecke.

"Die Staatspolizei Lüneburg/Strukturen und Täter" ist für drei Euro im Heinrich-Böll-Haus, Katzenstraße 2, erhältlich. Zum Preis von fünf Euro kann sie auch zugesandt werden, Bestellungen werden per E-Mail an vvn-bda-lg@web.de entgegengenommen.