Polizeibeamte fürchten um ihre Gesundheit wegen der Strahlenwerte. Die Gewerkschaft fordert die Aussetzung der Atommüll-Transporte.

Lüneburg. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordern aus Angst um die Gesundheit der Polizisten, den bevorstehenden Castor-Transport nach Gorleben auszusetzen. Der Atommüllzug mit elf Castoren soll in einer den nächsten Wochen an der Wiederaufarbeitungsanlage im französischen La Hague wieder einmal in Richtung Wendland starten.

"Im Moment darf er nicht rollen. Denn es ist nicht klar, ob die Strahlengrenzwerte am Zwischenlager überschritten sind", sagen Jens-Peter Schultz, Vorsitzender des Direktionsverbandes Lüneburg der Deutschen Polizeigewerkschaft, und Ralph Reinhardt, stellvertretender Vorsitzender der Bezirksgruppe Lüneburg bei der Gewerkschaft der Polizei.

Sie fordern von der Politik, die Situation umgehend zu klären, und ermahnen die für den Transport zuständigen Minister und Genehmigungsbehörden, ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten und der Bevölkerung nachzukommen. "Die Verantwortung der Politik für die Unversehrtheit der Gesundheit hört ja nicht bei den Polizeibeamten auf", betonen sie. Die Situation sei zu ernst, als dass die Gewerkschaften schweigen könnten. "Die Kollegen erwarten von uns, dass wir den Finger in die Wunde stecken und das Problem thematisieren."

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Bei den Polizisten herrsche zurzeit große Verunsicherung, berichten die Gewerkschafter. "Wir erwarten, dass die Kollegen vor einer möglichen Strahlenbelastung geschützt werden", so Schultz. Die Beamten seien um ihre Gesundheit besorgt, weil radioaktive Strahlung nicht zu sehen, zu riechen und zu schmecken ist, sagen Schultz und Reinhardt. Grund für die massiven Irritationen sind die unterschiedlichen Messwerte am Zwischenlager Gorleben, die in den vergangenen Tagen bekannt wurden und über die heftig gestritten wird.

Ende August hatte der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasser-, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) erhöhte Strahlenwerte festgestellt. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig hatte daraufhin ebenfalls gemessen und nach eigenen Angaben keine Überschreitung der Grenzwerte entdeckt. Auch die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) als Betreiberin des Zwischenlagers kam zum Ergebnis, das sämtliche Werte unter dem kritischen Grenzwert lagen.

Jetzt soll Einsicht in die Akten Klarheit bringen. Die Umweltorganisation Greenpeace hat am Freitag beim zuständigen niedersächsischen Umweltministerium den Antrag auf Akteneinsicht gestellt. "Der Verdacht besteht, dass die Strahlenwerte schön gerechnet wurden, um unbeirrt an dem diesjährigen Castor-Transport festzuhalten", sagt Greenpeace-Atomexperte Tobias Riedl. Bis nicht alle Fakten zur radioaktiven Strahlung am Zwischenlager öffentlich seien, dürfe kein Castor nach Gorleben rollen, forderte er. Zeitgleich nimmt der TÜV alle Messwerte noch einmal unter die Lupe. Das Ergebnis der Überprüfung soll in dieser Woche veröffentlicht werden. An diesem Messwert wollen sich die beiden Polizeigewerkschaften für ihre weiteren Forderungen orientieren. Das Ministerium will Ende des Monats über den Castor-Transport entscheiden.

Die Sorgen ihrer Kollegen seien berechtigt, sagen Schultz und Reinhardt. "Niemand ist schließlich dichter an den Castoren als die Polizisten." Überdies bemängelt Schultz vor dem Hintergrund des aktuellen Streits über die möglicherweise erhöhten Strahlenwerte am Zwischenlager, dass es bei der Diskussion über Gesundheitsgefahren bei Castor-Transporten seit deren Beginn 1996 ohnehin an Transparenz fehle. "Die bisherigen Grenzwerte am Zwischenlager waren für die Einlagerung von 420 Castor-Behältern gedacht. Jetzt stehen dort aber erst rund 100. Das macht uns stutzig." Außerdem nütze es niemandem etwas, wenn erhöhte Strahlenwerte im Nachhinein eines Castor-Transportes festgestellt werden. Zumal sich eine Strahlenbelastung vor allem bei jungen Polizisten nachhaltig und langfristig auswirken könnte. "Dass besonders sie Angst haben, ist doch klar. Viele von ihnen wollen später Kinder und wissen nicht, inwieweit die eigene Gesundheit und die der künftigen Kinder durch einen Castor-Einsatz beeinträchtigt werden", so Schultz.

Er und Reinhardt werfen der Politik vor, sie missbrauche die Polizei, um eigene Versäumnisse aufzufangen. "Die Politik war nicht in der Lage, das Problem Gorleben in den vergangenen 30 Jahren zu lösen", so Schultz. Daher sei es klar, dass ein breites gesellschaftliches Spektrum Widerstand übe, sagt er. "Es ist aber nicht unsere Aufgabe, politische Unzulänglichkeiten als Prügelknaben der Nation gerade zu rücken. Wir sind Freund und Helfer der Bürger."

Überhaupt sei die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft, sagt Reinhardt. "Auch viele Polizisten stehen der Atomkraft kritisch gegenüber." Noch verstärkt hätten sich die Bedenken gegenüber der Technologie, seitdem es in Fukushima im März zum Super-GAU gekommen war. "Die Fragen unserer Kollegen zu Strahlenschutz und Gesundheitsgefahren sind deutlich zahlreicher geworden. Die Kolleginnen und Kollegen fragen darüber hinaus auch viel kritischer. Sie denken noch mehr über die Gefahren der Atomkraft als bislang schon nach", so Reinhardt.

Dennoch sagen er und Schultz, sie vertrauten der Politik, dass sie die Gesundheit der Beamten bei Castor-Einsätzen nicht leichtfertig aufs Spiel setze. "Aber unser Vertrauen ist nicht unerschütterlich und die Politik muss es sich auch erarbeiten. Doch das passiert zurzeit nicht in dem Umfang, in dem wir es uns wünschen."