Online-Fantasy-Spiele können süchtig machen. Die Beschaffungskriminalität nimmt zu

Lüneburg. Acht oder zehn Stunden am Tag sitzt mancher Computerfan vor dem Bildschirm und spielt. "World of Warcraft", "Call of Duty" oder "Warcraft III" heißen ihre Leidenschaften. Ein bis zwei Millionen Menschen in Deutschland gelten als krankhaft abhängig - völlig ohne Stoff. Zudem führt die Abhängigkeit zu einer Beschaffungskriminalität, unter der auch der Einzelhandel zu leiden hat.

So werden in der Medienabteilung im Untergeschoss der Lüneburger Karstadt-Filiale regelmäßig Guthabenkarten, sogenannte Prepaid-Game-Cards, entwendet. Mit der Code-Nummer einer solchen Karte lässt sich der Zugang zu einem Online-Spiel frei schalten.

Karstadt-Mitarbeiter berichten: "Die Verpackungen werden professionell mit Hilfe eines schmalen Messers aufgeschlitzt, um dann mit zwei Fingern die Game-Card herauszufingern. Wer so was macht, muss computersüchtig sein." Während die Lüneburger Geschäftsführung eine Stellungnahme verweigert, spricht man in der Medienabteilung von einer Zunahme der Diebstähle. Mindestens einmal täglich werde jemand erwischt, der unbezahlte Waren im Wert bis 300 Euro bei sich trage.

Oft sind es Fans des bekannten Online-Spiels World of Warcraft (WoW), die in die Regale greifen und sich auf illegale Weise eine Game-Card sichern, um wieder in Fantasiewelt eintauchen zu können.

"Das Spiel kann süchtig machen", sagt Bernd Werner von der Lüneburger Fachstelle der Stiftung Medien- und Online-Sucht. Er erklärt den Weg hin zum Diebstahl der Guthabenkarte, die mehr als 20 Euro kosten: "Eltern stellen fest, dass ihr Kind allzu lange am Computer spielt. Sie sorgen sich und suchen vielleicht das Gespräch. Sollte es scheitern, ist der Streit schnell da. Es folgt ein Spielverbot und schließlich weigern sich Mutter oder Vater, die fällige Game-Card zu bezahlen", so Werner.

Um weiter spielen zu können, folgt häufig der Diebstahl. WoW zählt zu den Computer-Rollenspielen, für die vom Spieler ein monatliches Entgelt entrichtet werden muss. Spiele dieser Art üben auf manche Spieler einen unwiderstehlichen Reiz aus. Er besteht hauptsächlich darin, dass sie eine zweite Welt gefunden haben, in der es ständig Neues zu entdecken gibt und in der sie sich zu bedeutenden Persönlichkeiten hocharbeiten können.

Die Medienabhängigkeit allerdings kann schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. "In Folge dieser Abhängigkeit droht ein zunehmender Rückzug aus der realen Welt ins Virtuelle", sagt Bernd Werner. Viele Betroffene schotten sich von Freunden und Familie ab, die Schulleistungen lassen nach und es kommt zu einer erhöhten Leistungsangst. Der Leidensdruck steigt und die persönlichen Probleme nehmen zu. Werner mahnt: "Kinder und Jugendliche dürfen nicht allein gelassen werden. Weder vor dem Fernseher, noch vor dem Computer. Denn Medien sind Emotionsregulatoren." Der Berufschulpastor an der BBS I berichtet aus seinem Alltag in der Beratungsstelle. "Eine Mutter kommt und klagt, ihr Sohn sei ein Hungerlappen und besuche auch nicht mehr die Schule. Stattdessen hocke er vor dem PC und spiele. Beiläufig erwähnt sie den Tod des Vaters und die tröstenden Worte ihres Sohnes: Mutter ich komme schon klar."

Ob nun Vater oder Großvater gestorben sind oder Eltern sich trennen. Mit Hilfe der Medien regulieren nicht nur Erwachsenen sondern auch Kinder und Jugendliche ihre Gefühle - vor allem die schlechten.

Um über die Gefahren der Online-Spiele aufzuklären, gründeten Arnhild Zorr-Werner, Bernd Werner, Markus Babst und der mittlerweile verstorbene Wolfgang Schulz 2007 die Stiftung Medien- und Online-Sucht in Niedersachsen. Die Fachstelle in Lüneburg im Quellenweg wurde ein Jahr später eröffnet. Durch Beratung, Schulung und Vernetzung sollen die Gefahren des exzessiven Nutzens von Medien stärker in den Blickpunkt gerückt werden. Dabei zu helfen, ist erklärtes Ziel der Stiftung und seiner Mitarbeiter.

Drei Prozent der 15-jährigen Jungen sind süchtig, weitere 4,7 Prozent gefährdet. Dies geht aus einer repräsentativen Befragung von 15 000 Jugendlichen zu ihrem Computer-Verhalten hervor, die das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen gemacht hat. 16 Prozent der 15-jährigen Jungen spielen mehr als viereinhalb Stunden pro Tag. Bei 15-jährigen Spielern des Fantasy-Games World of Warcraft gelten 8,5 Prozent als abhängig. Einer Studie der Berliner Humboldt-Universität zufolge sind junge Menschen, die etwa 35 Stunden in der Woche vor dem Rechner verbringen als süchtig einzustufen und ab 28 Stunden pro Woche gelten sie als gefährdet. Besonders häufig seien Jungen oder junge Männer betroffen.

Nach Erkenntnissen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sind aber auch 0,3 Prozent der Mädchen unter Neuntklässlern abhängig von Computerspielen. Ängstlichkeit, Einsamkeit, ein geringes Selbstwertgefühl, Überforderung, Kommunikationsstörungen und Depressionen begünstigen die Sucht. Die Stiftung Medien- und Online-Sucht, ist unter der Telefonnummer 04131/24 96 08 zu erreichen. Weitere Informationen zur Stiftung und zum Präventionsangebot im Internet.

www.stiftung-medienundonlinesucht.de