Experten fordern Anerkennung als Krankheit. Betroffene weisen eine erhöhte Leistungsangst auf und haben oft schlechtere Noten.

Lüneburg. Der Lüneburger Fachverband Medienabhängigkeit warnt vor der Suchtgefahr durch Computerspiele. Mitarbeiter Florian Rehbein sagt: "In Folge der Abhängigkeit von Medienwelten droht ein zunehmender Rückzug aus der realen Welt ins Virtuelle."

Rehbein ist Diplompsychologe und Mitarbeiter im Projekt "Mediennutzung und Schulleistung" des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Vor allem computerspielabhängige Jungen weisen laut dem Experten eine erhöhte Leistungsangst und geringere Schulleistungen auf. Auch die körperliche Bewegung leidet, da kaum noch sportliche Übungen ausgeführt werden. Die gesellschaftliche Tragweite des Krankheitsphänomens ist nach Rehbeins Einschätzung viel größer als bisher angenommen. Daher ist das Ziel des Fachverbandes, dass die Sucht als eigenständige Erkrankung angesehen wird. Zumal immer mehr Jugendliche als abhängig gelten: Laut einer Veröffentlichung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen aus dem Jahr 2009 spielen zehn Prozent der Jugendlichen im Alter von 15 Jahren mehr als 4,5 Stunden täglich Computerspiele. Hochrechnungen der repräsentativen Studie ergeben, dass bundesweit rund 14 000 Jugendliche als abhängig gelten.

Die Betroffenen wenden enorm viel Zeit auf für ihre Spiele, vernachlässigen ihre Freunde und ihre Schulaufgaben. In Lüneburg beschäftigt sich neben dem Fachverband auch die Stiftung Medien- und Onlinesucht mit dem Phänomen. Arnhild Zorr-Werner engagiert sich in beiden Institutionen, ist Stifterin und Vorstandsmitglied des Fachverbandes. Sie sagt: "Der Beratungsbedarf ist enorm." Täglich nimmt die Erzieherin und Fachfrau für Kleinkindpädagogik duzende Anrufe besorgter Eltern der bundesweiten Hotline entgegen. Die Betroffenen vermittelt sie an ortsnahe Beratungsstellen weiter. Zorr-Werner: "Inzwischen sind wir ganz gut vernetzt." Ein nächster wichtiger Schritt wäre nun die Anerkennung der Mediensucht als Krankheit, denn "nur dann kann sich eine entsprechende Behandlungsexpertise bilden", erklärt Florian Rehbein. Hinzu kommt: Momentan sind Krankenkassen nicht verpflichtet, die Kosten für eine Therapie zu übernehmen.

Um die Vorraussetzung für eine präventive und medizinisch-therapeutische Versorgung zu schaffen, will der Fachverband Medienabhängigkeit jetzt ein Netzwerk von Forschern und Praktikern im deutschsprachigen Raum aufbauen, die sich mit der neuen Suchtform beschäftigen und Betroffene sowie deren Angehörige unterstützen. Grundsätzlich raten Rehbein und Zorr-Werner Eltern, ein Auge darauf zu haben, wie viel Zeit ihre Kinder online verbringen. Vor dem Grundschulalter sollte der Computer ohnehin ein Tabu sein, erklärt Zorr-Werner: "Kinder müssen zuerst ihre motorischen und sensorischen Fähigkeiten ausbilden, damit das Gehirn seine volle Leistungsfähigkeit erlangt. Die Fähigkeit, Informationen aus verschiedenen Sinnesbezirken durch die eigene innere Aktivität in einen Zusammenhang zu bringen, muss in einem langen Lernprozess erworben werden." Und auch bei älteren Kindern gilt es zu kontrollieren, mit welchen Computerspielen sie sich beschäftigen. Rehbein: "Denn Schaden kann den Jugendlichen nicht nur der hohe Zeitaufwand sondern auch die Inhalte." Gerade Online-Rollenspiele wie etwa "World of Warcraft" bergen ein hohes Suchtpotential, warnt der Experte.

Die Beratungshotline der Stiftung Medien- und Onlinesucht ist montags bis freitags von 19 bis 20 Uhr zu erreichen, Telefon 04131/854 47 83. Weitere Informationen zum Thema gibt es im Internet.

www.fv-medienabhaengigkeit.de

www.stiftung-medienundonlinesucht.de