Die Bürger fordern den Atomausstieg. Doch nur wenige CDU-Abgeordnete stimmen nach hitziger Kreistagsdebatte für die Stilllegung Krümmels.

Lüneburg. Rund 400 Teilnehmer waren es nach Schätzung des Veranstalters, die am Montagabend vor der IHK Lüneburg Am Sand den Atomausstieg von der Bundesregierung forderten. Eingeladen hatte das Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom (LAgA) - konkreter Anlass waren die dramatischen Ereignisse im AKW Fukushima in Japan. Herbe Kritik übten mehrere Redner auch an lokalen Politikern.

"Ich schäme mich für die Ansichten unseres Bundestagsabgeordneten Herrn Eckhard Pols, der uns einreden will, das Endlager Gorleben sei sicher", sagte LAgA-Sprecher Dirk Werner. Die Menschen in der Region würden das Endlager in Gorleben mehrheitlich ablehnen und auch nicht wollen, dass der Meiler in Krümmel wieder angefahren werde. "Vertreten Sie endlich die Interessen der Bewohner der Region oder treten Sie zurück", forderte Werner, der auch Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) kritisierte: "Wo sind sie jetzt, die Politiker, die hier vor Ort Verantwortung tragen", fragte er.

Hayo Diekmann, ehemals Leiter des Kreisgesundheitsamtes, wies darauf hin, dass schon seit Beginn der neunziger Jahre bekannt sei, wie statistisch wahrscheinlich ein GAU sei. "Alle 14 000 Betriebsjahre ist mit einem GAU der Ausmaße von Tschernobyl zu rechnen." Das klinge zwar harmlos, doch umgerechnet auf alle AKWs in Europa bedeute das alle 70 Jahre einen GAU. "Ich begreife nicht, dass Politik und Verwaltung die Risiken der Atomenergie ausgeblendet haben und weiter ausblenden", so Diekmann.

Nur einen Steinwurf entfernt diskutierten in der Ritterakademie derweil die Abgeordneten des Kreistags über einen Dringlichkeitsantrag zum Kernkraftwerk Krümmel, eingebracht von der Gruppe SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Schon mehrfach hatte der Antrag den Kreistag beschäftigt. Doch nie zuvor war er derart aktuell gewesen. Inhalt der Resolution ist im Wesentlichen die endgültige Stilllegung des AKWs Krümmel sowie die Rücknahme der Laufzeitverlängerung.

Vor dem Hintergrund der atomaren Katastrophe im japanischen Fukushima - die keinen Kommunalpolitiker unberührt ließ - entfachte sich eine hitzige Debatte zur Kernkraft. Obwohl Entscheidungen der Bundesregierung hinsichtlich einer vorübergehenden Aussetzung bereits bekannt geworden waren, diskutierten mehrere CDU-Abgeordnete, wie aus der Zeit gefallen.

"Was wir jetzt tun sollten, ist inne halten und Mitgefühl zeigen", forderte CDU-Fraktionsvorsitzender Alexander Blume. Er kritisierte die vorliegende Resolution als billigen Wahlkampf, der den Respekt vor den leidenden Menschen in Japan vermissen lasse. Zornig folgte die Replik von Bernhard Stilke (Grüne): "Dem Antrag Wahlkampftaktik vorzuwerfen ist eine Frechheit." Parteikollegin Miriam Staudte kommentierte: "Die CDU hat wohl die Zeichen der Zeit nicht erkannt."

Meinhard Perschel (CDU) kritisierte, dass die Gegenseite seine Partei bei dem Antrag nicht beteiligt habe. Diesen Vorwurf wies Franz-Josef Kamp entschieden zurück. Als SPD-Fraktionsvorsitzender habe er den Antrag frühzeitig an alle Kreistagsmitglieder versandt. Geschickt warb die Grüne Julia Verlinden um die Stimmen der Christdemokraten und Liberalen: "Ich bin sicher, dass mindestens die Hälfte von Ihnen unserem Antrag zustimmen möchten. Und ich verstehe nicht, warum sie sich so zieren. Schließlich haben sie doch den Umweltminister gehört."

Landrat Manfred Nahrstedt beschrieb schließlich eindrucksvoll, wie bei einer möglichen atomaren Katastrophe im Meiler Krümmel 177 000 Einwohner des Landkreises ihre Heimat verlassen müssten. "Die Realität hat uns eingeholt", so Nahrstedt. Nicht vorstellen möchte er sich, dass laut Laufzeitverlängerung Deutschlands ältester Siedewasserreaktor Krümmel noch bis 2033 am Netz bliebe.

Beinahe verzweifelt rief Franz-Josef Kamp sodann in Richtung Opposition: "Wo leben sie denn? Sprechen sie denn nicht mit den Menschen?" Da bröckelte die Front der Christdemokraten denn doch. Als erster erhob sich Gerhard Scharf und erklärte: "Nein, man kann nicht zur Tagesordnung übergehen. Krümmel darf nicht mehr ans Netz. Und weil Japan nicht spurlos am mir vorüber geht, werde ich der Resolution zustimmen."

Gleiches tat Parteifreundin Ingrid Dziuba-Busch mit der Begründung: "Seit Japan folge ich meinem Baugefühl und stimme deshalb für die Resolution." Gegenüber der Rundschau bestätigte sie, dass Abweichler in der CDU keine Repressalien zu erwarten hätten: "Die Union ist eine Gruppe Individualisten, es besteht kein Gruppenzwang." Sechs Mitglieder der CDU Kreistagsfraktion stimmten für die Resolution, die mit 17 Enthaltungen mehrheitlich vom Kreistag angenommen wurde.