Rudolf L.* ist sich sicher, nichts Falsches getan zu haben. Ganz harmlos sei alles gewesen, Würstchen gab es und Brettspiele.

Doch der sympathisch wirkende Rentner in der gemusterten Strickjacke wurde vom Amtsgericht Lüneburg wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen angeklagt. Er soll vor 15 Jahren seine Enkelin Marie S.*, als sie sieben Jahre alt war, mehrmals im Genitalbereich angefasst haben und sie genötigt haben, seinen Penis zu streicheln. Ein Vorfall soll sich im Sommer 1994 auf der Rückbank eines Autos ereignet haben. Zu dem zweiten Übergriff sei es kurz nach dem Tod der Großmutter im Winter 1995 im Bett von Rudolf L. gekommen, während der Bruder von Marie S. einen Boxkampf im Fernsehen verfolgte. "Die Vorwürfe sind erfunden", ruft der weißhaarige Angeklagte zornig und "ich habe die Scheide der Klägerin nie berührt".

Wie er sich die Vorwürfe gegen ihn erkläre, will der Richter wissen. Rudolf L. erzählt von seiner schweren Herzoperation vor zwei Jahren und davon, wie er gekränkt "den Geldhahn zugedreht" hat, weil sich Marie S. und ihr Bruder nicht bei ihm gemeldet haben während seiner Rehabilitation. Aus Rache habe sie ihn nun nach all den Jahren vor Gericht gezerrt, vermutet der in Bardowick lebende Mann.

Dass es erst jetzt zu einem Verfahren kommt, liegt vor allem daran, dass sich Marie S. erst im vergangenen Jahr gegenüber einer ihrer Tanten offenbart hat. Danach hat sie ihren Großvater angezeigt und eine Aussage bei der Polizei gemacht. Darin berichtet sie davon, dass sie früher häufiger "mit dem Opa kuscheln" musste. Dafür ging der Großvater oft mit ihr in die Garage, ins Auto.

Die Befragung von Marie S., die auch als Nebenklägerin im Verfahren auftritt, geschieht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auch der Angeklagte muss für die Zeugenaussage seiner Enkelin den Saal verlassen. Während die junge Frau hinter verschlossenen Türen befragt wird, würdigen sich Familie S. und Rudolf L. auf dem Gang keines Blickes.

"Realitätsfremd" nennt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer die Vermutung des Angeklagten, die Enkelin habe wegen den ausbleibenden 25 Euro Geburtstagsgeld die Vorwürfe gegen ihn erfunden. Sie fordert zwölf Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Der Richter folgt dem Antrag der Verteidigung und spricht Rudolf L. vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern frei. Ausführlich begründet der Vorsitzende seine Entscheidung damit, dass es neben den Aussagen der Zeugin keine Beweise gebe. Mit Verweis auf wichtige fehlende Details und unterschiedliche Angaben von Marie S. zu den Taten, spricht er ihren Aussagen eine hinreichende Konsistenz ab. "Damit will das Gericht nicht sagen, dass Ihnen nichts Schlimmes passiert ist", wendet er sich an die junge Frau, "aber glauben reicht nicht. Wir müssen dem Angeklagten eine konkrete Tat nachweisen und das können wir hier nicht zweifelsfrei."

* Namen geändert