Analyse von Leuphana-Studenten offenbart Nachbesserungsbedarf bei der Dokumentation in ganz Deutschland

Lüneburg. Wenn der Rettungsdienst ausrückt, muss es schnell gehen. Jede Sekunde zählt - nicht selten geht es um Menschenleben. Darum erwartet jeder von Notärzten und Rettungssanitätern zügige und professionelle Hilfe. Die Rettungsdienste in Deutschland sind sicher sehr gut aufgestellt. Zu glauben, dass wir über die bestmögliche Notfallversorgung verfügen, wäre allerdings falsch. Denn Rettungsdienste könnten offenbar noch deutlich effizienter und besser arbeiten. Das hat eine Gruppe von Studenten der Leuphana Universität jetzt herausgefunden.

Für ihre selbst gegründete studentische Unternehmensberatung "Canvas Consulting" haben sie im Auftrag einer Firma für digitale Rettungsdienst-Dokumentationssysteme in den vergangenen Wochen eine bundesweite Marktanalyse durchgeführt. Dazu haben die Studenten 37 Rettungsdienstleiter zu ihren Dokumentationsmethoden befragt. Hier besteht bei vielen Rettungsdiensten offenbar noch großer Verbesserungsbedarf.

Bei jedem Einsatz muss alles bis ins Detail protokolliert werden - jede Untersuchung, jede Infusion, jede Spritze. Wie wurde der Patient vorgefunden? Welche Maßnahmen wurden eingeleitet? Der Gesetzgeber dringt auf eine umfassende und nachprüfbare Dokumentation. Sie ist wichtig für die juristische Sicherheit der Rettungsdienste - aber auch, um generelle Schwachstellen, etwa bei Behandlungsabläufen, zu erkennen. Auf ihrer Basis lassen sich Schulungen verbessern und ein umfassendes Qualitätsmanagement führen.

Genau hier liegt das Problem. "Wir haben herausgefunden, dass es nachhaltiges Qualitätsmanagement in den meisten Regionen noch gar nicht gibt", sagt Alexander Bachmann, der die Marktanalyse mit durchgeführt hat. "Laut unserem Kunden ist die Dokumentation heute in 80 Prozent aller Fälle noch nicht einmal vollständig."

Ein Problem liegt sicher in der enormen Hektik des Arbeitsalltags: "Die Rettungssanitäter wollen ihre Patienten verarzten und schnellstmöglich ins Krankenhaus bringen", erklärt Bachmann die Ergebnisse der Marktanalyse. "Dokumentation hält sie oft nur von der Arbeit ab." Das aber bringe zahlreiche Probleme mit sich, auch für die Rettungsdienste selbst. Denn: "Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht", so Bachmann.

Und was offiziell nicht gemacht wurde, zahlt keine Krankenkasse. "Ein Rettungsdienstleiter hat uns erzählt, es gebe Maßnahmen, die bei fast jedem Einsatz gemacht, die aber nie dokumentiert werden - für die es aber richtig Geld gäbe", erklärt Bachmann. Durch eine automatische Kontrolle der Eingaben könne man sicherstellen, dass derartige Lücken nicht mehr entstehen.

Doch dazu ist es zwingend notwendig, dass die Daten digitalisiert werden. Denn dann kann eine Computersoftware die Eingaben auf Lücken und Fehler prüfen und die Daten vielschichtig auswerten. "Die Herausforderung ist, die Daten in den Computer zu bekommen, um mit der richtigen Software schnelle, brauchbare Ergebnisse zu erhalten", sagt Bachmann.

Technische Lösungen gibt es viele: Die kostengünstigste ist das nachträgliche Einscannen der Papierformulare - eine Software fragt Lücken und Unstimmigkeiten ab. Mit mehr Technik, aber immer noch kostengünstig arbeitet der "digitale Stift". Er kann sich mit Hilfe einer Minikamera und eines feinen Rasters auf dem Papierformular "orientieren" und speichert die Eintragungen automatisch in einer Software. Versagt die Technik einmal, gibt es immer noch die Papierversion. Die "Luxus-Lösung" sind derzeit Systeme, bei denen die Einsatzkräfte direkt mit portablen Computern (Tablets) arbeiten. Die Tablets können mit anderen Geräten (etwa GPS oder EKG) gekoppelt werden, übermitteln Daten direkt an das angesteuerte Krankenhaus. Die Einrichtung eines solchen Systems kostet aber mehrere Hunderttausend Euro - und es gibt im Einsatz häufig Probleme, etwa mit der Desinfizierung.

Die Umfrage bei den Rettungsdiensten allerdings hat ergeben, dass bisher nur rund 40 Prozent ihre Einsatzdaten überhaupt digitalisieren. Davon wiederum überträgt etwa die Hälfte die Daten nachträglich vom Papierprotokoll in den Computer, per Handeingabe oder per Scanner. Eine direkte digitale Datenerhebung nutzen nur fünf der 37 befragten Rettungsdienste.

"Bei der Implementierung neuer Technologien tun sich die Rettungsdienste teilweise sehr schwer", sagt Bachmann. Nicht selten liege das an mangelnder Akzeptanz seitens der Einsatzkräfte. Die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD), deren Aufgabe es ist, im Zuge eines besseren Qualitätsmanagements auf digitale Systeme umzurüsten, stünden daher häufig unter hohem sozialem Druck. Häufig werde lieber an althergebrachten Systemen festgehalten. Oft verhinderten aber auch die hohen Kosten eine Umstellung auf digitalisierte Dokumentation - gerade in Zeiten leerer Kassen bei Kommunen und Krankenkassen.

Dr. Thorsten Zeng, ÄLRD im Landkreis Lüneburg, sieht seine Rettungsdienstregion noch vergleichsweise gut aufgestellt. "Wir haben seit 1998 ein digitales System, bei dem wir die Papierprotokolle in den Computer einscannen und die Daten auswerten können", so Zeng. Ein System, das seiner Ansicht nach praktikabel ist, zuverlässig funktioniert und gute Ergebnisse liefert.

Leider sei dies nur bei Notarzteinsätzen der Fall, nicht bei den Rettungsdienstfahrten, die im Landkreis von den Hilfsdiensten ASB und DRK durchgeführt werden. Etwa 4000 Notarzteinsätzen stehen 14 000 Rettungsdiensteinsätze und 8000 Krankentransporte im Jahr gegenüber, deren Daten nicht digital erfasst werden.

"Ich weiß, was meine Notärzte machen. Aber was meine Rettungssanitäter machen, weiß ich nicht", fasst Zeng zusammen. "Eine umfassende Digitalisierung wäre ein erster Schritt zu mehr Eigenverantwortung bei den Rettungsdiensten", so Zeng. Er erachtet diesen Schritt als sehr wichtig. Nur so könne er feststellen, welcher Mitarbeiter etwa bestimmte Behandlungsmethoden nicht richtig anwenden und entsprechende Schulungen benötige.

"Wir beschäftigen uns mit dem Thema", sagt Zeng. Er will die Umstellung auf digitale Datenerfassung bei den nächsten Verhandlungen mit den Krankenkassen wieder auf den Tisch bringen. Aber auch er weiß: In Zeiten leerer Kassen werden ungern Investitionen gemacht. Teure, moderne Technologien einzufordern, "das ist in heutigen Verhandlungenfast nicht zu vertreten."

Thorsten Zeng kritisiert, dass die Verantwortung für die Anschaffung digitaler Dokumentationssysteme bei den einzelnen Rettungsdienst-Regionen liegt: "Mein Wunsch wäre es, dass das Land sagt, welche Lösung es haben will." Dann könnten die Systeme günstiger angeschafft werden, und es gäbe keine Probleme mit der Kompatibilität. Auch die Studenten der Leuphana Universität haben festgestellt: Politisch gebe es häufig großen Optimierungs- und Aufklärungsbedarf.

Die Einsatzdokumentation im Rettungsdienst befindet sich im Umbruch, die Digitalisierung hält Einzug. Aber der Wandel vollzieht sich schleppend. Bachmann: "Das traurige Ergebnis unserer Marktanalyse ist, dass das Qualitätsmanagement zu oft aus den Augen verloren wird."