Hobby-Historiker werfen der Stadt vor, in Lüneburg sei eine Aufklärung zur Nazi-Geschichte “politisch nicht gewollt“. Es besteht Gesprächsbedarf.

Lüneburg. Heute ist der Gedenktag für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. In Lüneburg laden die Geschichtswerkstatt und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) zu einem Stadtrundgang und einem Vortrag über die Lüneburger Gestapo ein. Außerdem wird am Sonntag im Scala-Programmkino der Dokumentarfilm "Endstation Seeshaupt" gezeigt.

Das sei viel zu wenig, meinen Peter Asmussen und Hans-Jürgen Brennecke vom VVN-BdA. "In Hamburg gibt es zahlreiche Aktionen, unter anderem eine Ausstellung im Rathaus", klagt Brennecke. Solcherlei Engagement vermissen Asmussen und Brennecke von Seiten der Stadt Lüneburg. Asmussen: "Wir glauben, eine Aufklärung der Geschehnisse von 1933 bis 1945 in Lüneburg ist politisch nicht gewollt." Zwar würden ihre Vorschläge und Anträge nicht offen abgelehnt, aber "auf die lange Bank geschoben, rausgezögert und schließlich lässt man es auslaufen. Wir dürfen da nicht naiv sein: Das ist Taktik. Wir werden regelrecht gelinkt."

+++ Veranstaltungen zum heutigen Holocaust-Gedenktag +++

Bei der Geschichtswerkstatt sieht man dies differenzierter. "Wir bekommen schon Unterstützung bei einzelnen Projekten, wenn wir darum bitten. Allerdings ist das meist sehr mühselig und langwierig", sagt Sibylle Bollgöhn. Obwohl das Verhältnis von Geschichtswerkstatt und Rathaus "grundsätzlich gut" sei, empfinde sie "eine Gleichgültigkeit" bei vielen Lüneburger Politikern gegenüber dem Thema Nationalsozialismus. "Wir haben ohnehin nur wenige Zeugnisse aus dieser Zeit", sagt Bollgöhn, "und das wenige, das wir haben, wird nicht archiviert, sondern verschwindet teilweise sogar."

Da wäre beispielsweise die Sache mit dem Heinemann-Saal. "1985 wurde der Lesesaal der Ratsbücherei zum Andenken an den in Lüneburg geborenen, jüdischen Philosophen Heinemann-Saal benannt", sagt Bollgöhn. Fritz Heinemanns Sohn Francis habe damals einen Karton mit Büchern, Zetteln und Dokumenten aus dem Nachlass des Philosophen überreicht - für ein Archiv, das im Heinemann-Saal aufgebaut werden sollte. Das gibt es bis heute nicht.

Im Gegenteil: "Ich habe das Gefühl, all diese wertvollen Dinge sind verschwunden, niemand weiß, wo sie sind", sagt Bollgöhn. Und Hans-Jürgen Brennecke fügt hinzu: "In der Ratsbücherei weiß niemand, dass der Lesesaal mal Fritz-Heinemann-Saal hieß. Oder wer das überhaupt war." Das habe er selbst bei einem Besuch vor einigen Tagen in der Ratsbücherei nachgefragt. Sibylle Bollgöhn: "Das ist ein typisches Beispiel dafür, welche Wertschätzung und Aufmerksamkeit in Lüneburg diesem Thema entgegengebracht wird."

Brennecke und Asmussen fallen noch eine Menge anderer Beispiele für das laut Asmussen "rechts-konservative Geschichtsbewusstsein der Stadtoberen" ein. Zum Beispiel der "Hitler-Gaul" vor dem Fürstentummuseum - ein Metallpferd ohne großen künstlerischen Wert, das Adolf Hitler dem Sohn eines Lüneburger NSDAP-Gauleiters geschenkt hatte. Darauf müsse man mit einer Tafel hinweisen, und auch auf die Tatsache, dass "das Ding in den 60er-Jahren hier aufgestellt wurde, obwohl man genau wusste, dass es ein Hitler-Geschenk ist", meint Asmussen. Oder es am besten gleich wegschaffen.

Sauer stößt den Herren vom VVN-BdA auch die Tafel am Kalandhaus auf. "Da wird kaum auf die Tatsache eingegangen, dass das hier mal eine KZ-Außenstelle war", sagt Brennecke. Auf ihren Beschwerdebrief an die Stadt hätten sie nie eine Antwort erhalten.

Kommen Brennecke und Asmussen erst richtig in Schwung, fallen ihnen noch viele weitere Punkte ein, die ihrer Meinung nach die "teils gleichgültige, teils ablehnende Haltung der Stadt"(Asmussen) untermauern. Um nur einige zu nennen: Warum gibt es in Lüneburg noch immer eine Landrat-Albrecht-Straße, wo der doch erwiesenermaßen mit den Nazis zusammengearbeitet habe und für die Haft, Folter oder gar den Tod vieler Menschen verantwortlich sei? Warum gibt es bei der Stadt keinen konkreten Ansprechpartner für das Thema Nationalsozialismus? Warum werden in anderen Städten Geschichtswerkstätten monatlich finanziell unterstützt, in Lüneburg aber nicht? Warum gibt es keine Broschüren oder Bücher der Stadt zum Thema Lüneburg in der Nazizeit? Keine Ausstellungen? Keine Veranstaltungen?

Für Peter Asmussen ist klar: "Die Stadt tut rein gar nichts zur Aufklärung. Und um das zu kaschieren, schmückt man sich mit unseren Federn." So würden Broschüren und Forschungsergebnisse der Geschichtswerkstatt und des VVN-BdA als städtische ausgegeben. Zum Beispiel der Flyer für die Gedenktage. "Die Stadt hat den zwar gedruckt. Aber sie hat keine einzige Veranstaltung organisiert. Auch alle Texte sind von uns. Die Stadt hat nichts damit zu tun und drückt trotzdem ihren Stempel drauf", klagt Brennecke.

Suzanne Moenck, Pressesprecherin der Stadt, zeigt sich von den Vorwürfen überrascht. "Ich will nicht abstreiten, dass man immer noch mehr tun kann. Aber es wird ganz gewiss nicht systematisch die Aufklärung behindert." Gerade Oberbürgermeister Ulrich Mädge sei das Thema sehr wichtig, und es gebe zahlreiche Aktionen, die von der Stadt unterstützt würden - mal finanziell, mal durch Tipps, mal durch ein Grußwort auf einer Broschüre. Konkrete Zahlen - mit welcher Summe wurden im vergangenen Jahr Aktionen der Geschichtswerkstatt oder des VVN-BdA unterstützt? - konnte sie aber bis Redaktionsschluss nicht nennen.

"Es gibt sicherlich noch viel zu tun", sagt Moenck. Doch die Stadt sei bemüht, so werde es beispielsweise im Neuen Museum eine eigene Abteilung für die Geschichte Lüneburgs während der Naziherrschaft geben. "Auch wenn das natürlich längst überfällig ist."

Eine böse Absicht gebe es gewiss nicht. Aber möglicherweise einige Missverständnisse, sagt Moenck. "Offenbar gibt es Bedarf an Gesprächen. Wir sind dazu gern bereit."