Schwarzenbek. Fünf Erwachsene wohnen in der ambulant betreuten Hausgemeinschaft im Quartier Dreiangel – und suchen weitere Mitbewohner.

Im Dreiangel in Schwarzenbek. Ein noch junges Generationenquartier mit knapp 300 Wohneinheiten am Stadtrand gelegen. Moderne Mehrfamilienhäuser, Reihenhäuser, Doppelhäuser für Singles, Senioren, Familien – und Hausgemeinschaften, wie in Hausnummer 26. Hier wohnen Nora D., Thea Steinfeldt, Melina Meschede, Moritz Külper und Felix Becker.

Fünf junge Erwachsene, die wie in einer Wohngemeinschaft zusammen leben. Gemeinsam kochen und essen, Freizeit miteinander verbringen, Ausflüge planen, sich über ihre Jobs und Hobbys austauschen. Aber die fünf jungen Leute wohnen nicht in einer gewöhnlichen Wohngemeinschaft, sondern in einer von Pflege SH ambulant betreuten Hausgemeinschaft für junge Menschen mit einer geistigen und/oder körperlichen Behinderung, die im Oktober 2021 im neuen Quartier ihre Räume bezogen hat.

Wo junge Menschen mit Behinderung selbstbestimmt leben

15 Uhr. Kaffeezeit in einem der beiden großen, lichtdurchfluteten Aufenthaltsräume im Erdgeschoss der Hausnummer 26. Alle versammeln sich um die große, gedeckte Tafel. Teamleiterin Antje Symancyk fragt in die Runde, wie die Arbeit in den Werkstätten für die Bewohner war. Alle reden aufgeregt durcheinander. Da wurde mit Holz gearbeitet, dort gebastelt. Nur Nora sagt, der Tag sei langweilig gewesen. „Nichts zu tun heute“, sagt die 25-Jährige ein wenig enttäuscht. Die vier anderen fühlen mit ihr mit. Und schnell wird klar: Hier herrscht eine gute Gemeinschaft.

Was auch daher rührt, dass sich Nora (25), Thea (20), Melina (20), Felix (20) und Moritz (20) schon aus der Hachede-Schule in Geesthacht kennen. Nora und Thea waren die ersten, die im Oktober 2021 in die frisch fertiggestellte Wohnung eingezogen sind. Wobei es viel mehr als „nur“ eine Wohnung ist. Jeder Bewohner hat ein eigenes, barrierefreies Appartement mit Bad in der gut 400 Quadratmeter großen Erdgeschossfläche des Mehrfamilienhauses. Die Zimmer sind großzügig und mit großen Fensterfronten versehen. Die einen mit Terrasse, die anderen mit einem Wintergarten und einige greifen auf die große Gemeinschaftsterrasse zu. Dazu kommen zwei Gemeinschaftsräume zum Kochen, Essen und Spielen.

Individuell ist vieles, unpersönlich nichts

„Die Zimmer sind leer beim Einzug, sodass jeder Bewohner sich nach seinem ganz persönlichen Geschmack einrichten kann“, sagt Antje Symancyk. Überhaupt: Individuell ist vieles, unpersönlich nichts. „Gerade weil die Einrichtung recht klein und so persönlich ist, haben wir uns dafür entschieden“, sagt Noras Mutter Sabine. Nora hat wie auch die anderen Bewohnerinnen und Bewohner bis in den Einzug in die Hausgemeinschaft bei den Eltern gewohnt.

Felix Becker,  Melina Meschede und Moritz Külper (v.l.) leben gemeinsam in der Hausgemeinschaft Schwarzenbek im Dreiangel.
Felix Becker, Melina Meschede und Moritz Külper (v.l.) leben gemeinsam in der Hausgemeinschaft Schwarzenbek im Dreiangel. © BGZ | Hausgemeinschaft Schwarzenbek

„Als die Schule dann beendet war, stellte sich die Frage, wie es nun weitergeht“, sagt Sabine. Sie hatte sich mehrere Einrichtungen angeschaut. „Wohngruppen gibt es einige“, sagt sie. Aber nur wenige hätten ihr gefallen. Als sie dann von dem Projekt im Dreiangel gehört hatte und sich gemeinsam mit Nora die Räumlichkeiten angeschaut hatte, war sie sofort angetan. „Es ist alles neu und modern.“ So eine Hausgemeinschaft wie im Dreiangel 26 sehe man sehr selten.

Die Atmosphäre ist warm und voller Vertrauen und Zutrauen

Aber es ging ja nicht nur um die Räume, es ging ja in erster Linie um die Atmosphäre, wie die jungen Menschen hier betreut und unterstützt werden. Auch das machte einen guten Eindruck. Und heute weiß sie: Nora fühlt sich wohl dort und wird gut betreut.

Auch für den 20-Jährigen Felix ist das jetzt sein Zuhause, mehr als das ehemalige mit seiner Familie in Wentorf. „Hier ist er unter Seinesgleichen“, sagt seine Mutter Kerstin. Es wird auf seine Schwierigkeiten mehr eingegangen, die Betreuer sind geduldiger. „Zuhause reden wir schneller, alles ist unruhiger!“ Felix sei glücklich in der Hausgemeinschaft.

Der Umzug der Kinder von der elterlichen Wohnung in die Hausgemeinschaft war für alle ein großer Schritt – wie in jeder Familie, wenn die jungen Erwachsenen flügge werden und eigene Wege gehen. Aber hier angesichts der Behinderungen verbunden mit viel mehr Sorgen, mehr Ängsten. Ein Schritt, der mit Trauer über den Abschied verbunden war, aber auch mit Erleichterung seitens der Eltern, Freude und Spannung auf das, was nun kommt.

„Die Kinder entwickeln sich toll“

Mittlerweile ist spürbar: „Die Kinder entwickeln sich hier toll“, sind sich die beiden Mütter einig. „Zuhause fallen Nora und ich immer gleich in die Mutter-Tochter-Rolle“, sagt Sabine. Im Elternhaus bleibe sie immer Kind. Hier? Ist Nora eine junge erwachsene Frau mit eigenen Interessen, die unabhängig von elterlichen Einflüssen leben und sich entwickeln kann. Die so wichtige Selbstständigkeit üben kann. Und genau das gilt auch für die anderen Bewohnerinnen und Bewohner.

Melina Meschede in ihrem ganz persönlich eingerichteten Zimmer.
Melina Meschede in ihrem ganz persönlich eingerichteten Zimmer. © BGZ | Frauke Maaß

Einfach sei es alles dennoch nicht gewesen. „Natürlich war es nicht leicht, Nora gehen zu lassen“, sagt ihre Mutter. Aber es war notwendig. „Wenn man zu lange mit dem Auszug wartet, wird es immer schwieriger“, weiß sie. Kerstin, die Mutter von Felix, nickt. Auch für sie war die Trennung von ihrem Sohn schwierig. Aber mit Blick auf seine Zukunft war das genau der richtige Weg. „Das Mehr an Selbstständigkeit, was zu Hause so nicht gegeben ist, hat uns die Entscheidung leicht gemacht“, sagt sie.

Ziel ist, so selbstständig und selbstbestimmt wie möglich zu leben

Und genau das ist eines der Ziele der Hausgemeinschaft. „Wir wollen die Bewohner zu einem möglichst selbstständigen und selbstbestimmten Leben anleiten“, sagt Antje Symancyk. „Und es ist eine Freude zu sehen, wie viel sich schon verändert hat bei ihnen.“ Die Eltern lassen los – die Betreuer können bei Bedarf auffangen. Eine Sicherheit, die sich gut anfühlt – für alle Beteiligten.

Die Fünf sind gut drauf. Humor ist hier an der Tagesordnung. Sie lachen, sie necken sich, sie kennen sich. Sie verbringen viel und auch gern Zeit miteinander. Da wird gespielt, Karaoke gesungen, gemeinsam gekocht und gebastelt. Und nicht nur das: Sie fahren gemeinsam mit den Betreuern in den Heidepark, zu Veranstaltungen auf Gut Basthorst, gehen auf den Spielplatz. „Sie haben sich gegenseitig, erleben alles als Normalität. Unterstützen und ergänzen sich“, beobachtet Antje Symancyk. Klar werde auch mal gestritten. Wie in einer „normalen Familie“ eben.

Vormittags wird gearbeitet, nachmittags gechillt

Auch ihr Alltag ähnelt denen junger Menschen ohne Beeinträchtigung. Nach dem gemeinsamen Frühstück geht es für alle zur Arbeit in die Werkstätten nach Geesthacht oder zum Louisenhof. Nachmittags wird gechillt, oder gespielt oder finden unterstützte Aktivitäten wie z.B. musikalische Motorik-Koordinations-Übungen statt. Dienstags gehen die sogenannten „Einkaufsprofis“ Thea und Moritz in den Lupus-Park zum Einkaufen, um den Umgang mit Geld zu trainieren. Und – ein Höhepunkt jeder Woche: Freitags steht für alle Handball in der Inklusionsgruppe des SV Schwarzenbek auf dem Programm. „Dieses Jahr spielen wir unser erstes Turnier“, sagt Thea mit viel Stolz und Vorfreude in der Stimme.

Nachmittags steht gemeinsames Spielen auf dem Programm – für den, der will. Nora D. (v.l.), Thea Steinfeldt, Melina Meschede und Felix Becker.
Nachmittags steht gemeinsames Spielen auf dem Programm – für den, der will. Nora D. (v.l.), Thea Steinfeldt, Melina Meschede und Felix Becker. © BGZ | Frauke Maaß

„Es handelt sich bei dem ambulant betreutem Unterstützungsangebot um ein Zusammenwirken aus geplanten gemeinschaftlichen und personenbezogenenn Assistenzleistungen sowie individuellen Pflegeleistungen, die in eine Maßnahmenplanung einfließen, unterstützungsfreie Zeiten während der Arbeitszeiten und unplanbare Leistungen, die sich aus den Herausforderungen des Alltages ergeben“, sagt die Teamleiterin. Dass die 55-Jährige ihren Job mag, der viel mehr ist als nur ein Job, ist ihr anzumerken. Und vor allem spürbar für die Bewohner. Die Betreuer sind da, wenn sie gebraucht werden, ob nachts und am Wochenende rund um die Uhr. Sie bilden einen Rahmen und Unterstützung. Sie geben Halt. Genau das, was notwendig ist, um trotz aller Beeinträchtigungen selbstständig und selbstbestimmt zu leben.

Info: Tag der offenen Tür

Die Hausgemeinschaft im Dreiangel 26 hat acht Appartements, von denen erst fünf bezogen sind. Für die anderen drei Appartements werden noch Mitbewohner gesucht. Vermietet werden die Appatements von dem Wohnungsbauunternehmen Semmelhaack, betreut wird die Gruppe sie von Pädagogen, Pflegefachkräften sowie Betreuungs- und Pflegeassistenten.

Wer sich die Räumlichkeiten einmal ganz unverbindlich anschauen möchte: Die Hausgemeinschaft Im Dreiangel 26 lädt am Sonnabend, 23. September, ab 14 Uhr zu einem Tag der offenen Tür. „Wir freuen uns auf viele interessierte Besucher“, sagt Antje Symancyk. Mehr Informationen zu der Hausgemeinschaft gibt es bei der Teamleiterin unter 04151/ 83 29 35 2 oder per Mail an a.symancyk@pflege-sh.com.