Lauenburg/Artlenburg. Als erster Tourismusanbieter im Herzogtum Lauenburg ist das Schiff jetzt auf dem Portal „Reisen für alle“ gelistet. Was das bedeutet.

In Deutschland leben etwa zehn Millionen Menschen mit einer Beeinträchtigung. Für sie sind detaillierte Informationen eine wesentliche Grundlage für ihre Reiseentscheidung. Als erstes touristisches Angebot im Kreis Herzogtum Lauenburg wurde jetzt das Fahrgastschiff „Lüneburger Heide“ für das Portal „Reisen für Alle“ zertifiziert.

„Wir haben sehr oft Menschen mit Einschränkungen an Bord, haben uns schon seit Jahren darauf eingestellt“, sagt Birgit Wilcke, die mit Ehemann Jürgen die Fahrten auf der „Lüneburger Heide“ anbietet. „Rollatoren sind unser tägliches Geschäft und auch Rollstühle sind kein Problem“, sagt Wilcke.

„Reisen für alle“: Mit der „Lüneburger Heide“ barrierefrei auf Ausflugsfahrt

Zwar gilt es beim Einstieg ins Schiff drei Stufen zu überwinden, doch dies ist dank mobiler Rampen kein Problem. Was bleibt ist der Absatz zwischen Ponton und dem Schiff selbst. Doch der kann nicht egalisiert werden, bedauert Jürgen Wilcke: „Schiff und Ponton schwimmen und je nachdem wie viele Menschen dort stehen, liegen beide höher oder tiefer.“

Doch der Zugang ist nicht das einzige Kriterium: Für Menschen mit Gehbehinderungen ist im Portal aufgelistet, wie weit der Weg vom Parkplatz zum Schiff ist, ob es Behindertenparkplätze gibt und wichtig: Wie breit die Durchgänge und groß die Toiletten sind. „Rollstuhlfahrer müssen sich ja im Toilettenraum drehen können, brauchen oft noch eine weitere Hilfsperson. Deshalb ist die Raumgröße ein wichtiges Kriterium“, weiß Birgit Wilcke, die zunehmend Fahrgäste an Bord hat, die im eigenen Land Urlaub machen.

Uta Steffen (HLMS, l.) gratuliert Birgit und Jürgen Wilcke, die als erster Anbieter im Kreis nach Kriterien der Barrierefreiheit zertifiziert wurden.
Uta Steffen (HLMS, l.) gratuliert Birgit und Jürgen Wilcke, die als erster Anbieter im Kreis nach Kriterien der Barrierefreiheit zertifiziert wurden. © Marcus Jürgensen | MarcusJürgensen

Kriterien wurden mit Behindertenverbänden erarbeitet

Das Portal richtet sich jedoch nicht nur an Rollstuhlfahrer. Auch Menschen mit Sehbehinderungen finden dort Angaben zum Schiff: So sind etwa Begleithunde erlaubt, Treppen haben beidseitige Handläufe und die Speisekarte ist in schnörkelloser, kontrastreicher Schrift gestaltet. „Und nicht laminiert“, betont Birgit Wilcke, denn das kann zu Reflexionen führen, die das Lesen für Sehbehinderte zusätzlich erschweren.

Speisekarten und Handläufe hat Uta Steffen überprüft, Tischhöhen, Gangbreiten und Toilettenräume nachgemessen: Die Mitarbeiterin der Tourismusagentur des Kreises hat sich zur zertifizierten Erheberin ausbilden lassen. Damit ist die Herzogtum Lauenburg Marketing und Service GmbH (HLMS) der einzige Lizenznehmer des Portals in Schleswig-Holstein, der touristische Anbieter selber zertifizieren kann. „Es gibt fünf bis sechs Anbieter im Land, die bereits im Portal gelistet sind. Die wurden aber durch Mitarbeiter des Portals direkt überprüft“, sagt HLMS-Sprecherin Carina Jahnke.

Angebot bisher einzigartig in Schleswig-Holstein

Obwohl im niedersächsischen Artlenburg beheimatet, war die „Lüneburger Heide“ der erste Anbieter im Herzogtum, der sich der Zertifizierung gestellt hat. Auch das Ratzeburger Hotel Der Seehof sowie das Fahrgastschiff „Heinrich der Löwe“ bemühen sich gerade um das Siegel. Die Urkunde bedeutet jedoch nicht, dass die „Lüneburger Heide“ komplett barrierefrei ist.

So ist das Oberdeck nur über eine Treppe zu erreichen. Birgit Wilcke: „Wir haben schon überlegt, einen Treppenlift für Rollstuhlfahrer nachzurüsten. Doch dafür wären zu große Umbauten notwendig.“ Dank der Beschreibung im Portal wissen Rollstuhlfahrer dies aber nun. „Es ersetzt vielleicht ein wenig unsere Beratung, denn der Fragenkatalog des Portals ist ja in Abstimmung mit Behindertenverbänden erstellt worden“, sagt Wilcke.

Für Menschen mit Rollstuhl oder Rollator bietet Jürgen Wilcke den Zugang zum Schiff mittels mobiler Rampen an.
Für Menschen mit Rollstuhl oder Rollator bietet Jürgen Wilcke den Zugang zum Schiff mittels mobiler Rampen an. © Marcus Jürgensen | Marcus Jürgensen

Zertifiziert wurde jedoch nur das Schiff, nicht die Anlegestellen. Dies sei nun die Aufgabe der jeweiligen Städte, sagt Birgit Wilcke. Hauptanlegeplatz des Schiffes ist Lauenburg: Am Ruferplatz gibt es einen ausgewiesenen Behindertenstellplatz, zudem ist der Steg zum Ponton in der Höhe verstellbar. In Geesthacht ist der Ponton fest montiert und per schrägen Rampen barrierefrei erreichbar. Weitere Anlegestellen des Fahrgastschiffes sind Mölln, Hoopte, Boizenburg, Bleckede und Hitzacker sowie Scharnebeck und die Hamburger Landungsbrücken.

Urlaubsangebote für Behinderte sind nicht die Regel

Das Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ wurde 2011 mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums entwickelt und bundesweit eingeführt. Betreiber des Systems ist das Deutsche Seminar für Tourismus Berlin e. V. (DSFT), das seit mehr als 50 Jahren Seminare für Fach- und Führungskräfte der Tourismusbranche anbietet. Anlass für die Gründung des Portals www.reisen-fuer-alle.de war die 2008 in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention, die Menschen mit Einschränkungen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen soll.

Für Jahncke bilden die Menschen mit Beeinträchtigungen aber auch ein touristisches Potenzial, um das sich bisher niemand so recht gekümmert habe. Künftig soll es auch auf der Internetseite der HLMS eine eigene Rubrik mit den zertifizierten Betrieben im Kreis geben. „Wir haben festgestellt, dass diese Kundengruppe so unglaublich dankbar ist, dass einem das Herz aufgeht“, sagt Birgit Wilcke. Dies sei ein Indiz dafür, dass Urlaubsangebote für Menschen mit Einschränkungen eben noch nicht die Regel seien.

Schifffahrt ist bei Wilckes eine Familientradition

Die 55,90 Meter lange und 8,20 Meter breite „Lüneburger Heide“ hatte Jürgen Wilcke 1988 bei der Lux-Werft in Niederkassel am Rhein einst so bauen, dass bereits alles auf einer Ebene angeordnet ist. Lediglich das Oberdeck ist nur über Stufen erreichbar. Bereits Wilckes Eltern und Großeltern waren Schiffer – allerdings waren sie mit Frachtschiffen auf der Elbe unterwegs.

1976 stiegen die Eltern dann auf ein Fahrgastschiff um und fuhren Gäste zum zwei Jahre zuvor eröffneten Schiffshebewerk in Scharnebeck. Als sie 1988 in Rente gingen, übernahm Sohn Jürgen die Fahrten – mit seinem eigenen Schiff. Wer mitfahren möchte: Am Mittwoch, 10. Mai, startet die „Lüneburger Heide“ um 14.15 Uhr in Lauenburg (Ruferplatz) zur dreieinhalbstündigen Tour nach Scharnebeck. Weitere Touren unter www.personenschifffahrt-wilcke.de.