Lauenburg. Einmal im Jahr hisst Wirt Sönke Ellerbrock Flaggen aus aller Herren Länder. Was es mit dieser Lauenburger Tradition auf sich hat.

Ob Wirt Rudolf Ellerbrock damals geahnt hat, dass seine verrückte Idee zu einem Ritual werden würde? „Willst du den Fahnenmast haben?“, hatte ihn ein Kumpel gefragt. Der hatte sich wohl ein bisschen übernommen, das zwölf Meter lange Monstrum durfte er nach dem Protest seiner Frau auf keinen Fall im heimischen Garten aufstellen. Doch Rudolf Ellerbrock war begeistert. Vor dem Alten Schifferhaus würde der mächtige Mast richtig was hermachen: Schiffer und Gäste der Stadt mit Flaggen aus aller Herren Länder zu begrüßen, das wäre es doch.

Inzwischen sind 54 Jahre vergangen. Sönke Ellerbrock hat die Tradition übernommen, ganz im Sinne seiner inzwischen verstorbenen Eltern. In jedem Frühjahr hisst er zu Saisonbeginn die Flaggen an dem hohen Mast auf der Elbseite. Inzwischen sind weitere dazu gekommen, auch die Fenster des Schifferhauses sind beflaggt. Jeder in Lauenburg weiß das: Wenn vor dem Schifferhaus der große Fahnenmast aufgerichtet wird, beginnt die Saison der Gastronomen und Beherbergungsbetriebe in der Stadt. Nie hat Sönke Ellerbrock mit dieser Tradition gebrochen, nicht mal in den Corona-Jahren.

Die Flagge der Stadt Lauenburg weht ganz oben am Mast

Seit Mittwoch,19. April, ist der hohe Mast vor dem Alten Schifferhaus wieder weithin sichtbar. Wo welche Flagge weht, das überlässt Wirt Sönke Ellerbrock keineswegs dem Zufall. „Ganz oben auf dem großen Mast weht immer die wichtigste“, erklärt er die Familientradition. Das ist natürlich die der Stadt Lauenburg. Bürgermeister Thorben Brackmann hatte sie schon vor Tagen vorbeigebracht. Schließlich sollte keineswegs wieder so ein Fauxpas passieren wie vor zwei Jahren. Da war die Übergabe der nagelneuen Flagge in der Lauenburger Verwaltung irgendwie untergegangen.

Eingesprungen war der ehemalige Lauenburger Bürgermeister Harald Heuer, der zwar am anderen Elbufer wohnt, aber immer noch einen besonderen Draht zu den Wirten in der Schifferstadt hat. Und so wehte in jenem Jahr peinlicherweise die Flagge der Gemeinde Echem ganz oben am Mast.

Gruß aus Lauenburg an die Gäste aus aller Welt

Bevor ein großes Schiff in den Hamburger Hafen einläuft, wird es im Willkomm Höft am Elbufer bei Wedel mit einer Lautsprecheransage, der Landesflagge und der Nationalhymne begrüßt. Ganz soviel Tamtam macht Sönke Ellerbrock zwar nicht, aber er weiß, dass viele seiner Gäste ganz gerührt sind, wenn sie die Flagge ihrer Heimat an den Masten entdecken.

26 hängen in diesem Jahr rund um das Schifferhaus. Am großen Mast auf der Elbseite wehen unter der Lauenburg-Fahne die der Traditionsredereien der Umgebung. Auch das ist aller Brauch im Schifferhaus. Stammgäste aus ganz Europa wissen inzwischen, womit sie dem Wirt eine Freude machen können. Und so hat er mittlerweile eine stattliche Sammlung von Flaggen der meisten Bundesländer beisammen. Dazu gesellen sich die aus vielen Ländern Europas und anderen Ecken der Welt.

Weithin grüßen die Flaggen am Mast vor dem Alten Schifferhaus die Binnenschiffer und die Gäste der Stadt. An der Spitze weht die Lauenburg-Flagge. Darunter versammeln sich die der Traditionsredereien.
Weithin grüßen die Flaggen am Mast vor dem Alten Schifferhaus die Binnenschiffer und die Gäste der Stadt. An der Spitze weht die Lauenburg-Flagge. Darunter versammeln sich die der Traditionsredereien. © Elke Richel | Elke Richel

„Fahnenmast auf!“ – Ritual mit Gänsehautmomenten

Das Ritual der Flaggenparade hält Sönke Ellerbrock heute noch genauso ab, wie es sein Vater einst tat. Ein paar Freude das Hauses waren am Mittwoch zu der traditionsreichen Zeremonie eingeladen. Das Wetter meinte es gut, nur der Wind wirbelte die Flaggen ordentlich durcheinander, bevor der Mast überhaupt stand. Die kräftigen Helfer hatten alle Hände voll zu tun, damit sich die Seile nicht verhedderten.

Sönke Ellerbrock gab das Kommando: „Fahnenmast auf!“ Das ist immer der Moment, wo dem Wirt, den sonst so schnell nichts umhaut, die Tränen in die Augen schießen. „Meine Eltern haben hier ganz klein angefangen. Wenig später waren sie in Lauenburg eine Institution. Ich habe ihnen viel zu verdanken“, sagt er.

Deutschland-Flagge wird immer unter der Lauenburger befestigt

Wer weiß, wie alles gekommen wäre, hätten Rudolf und Hannelore Ellerbrock aus Georgswerder damals nicht diese Annonce gelesen: „Gaststätte in Lauenburg an der Elbe zu verpachten.“ Das war im Jahre 1967. Ein Jahr später hatten die beiden nicht nur ihr Taxiunternehmen verkauft, sondern sich samt Hausrat und dem achtjährigen Sönke nach Lauenburg aufgemacht.

Der letzte Teil des Rituals war auch am Mittwoch das Hissen der Deutschland-Flagge, die immer unter der aus Lauenburg befestigt wird. Sönke Ellerbrock kämpfte ein bisschen mit den kräftigen Windböen, aber schließlich bewegte sich die schwarz-rot-goldene Fahne mit dem Bundesadler Richtung Mastspitze – begleitet von den Klängen der Nationalhymne.

Zum ersten Mal ist Bürgermeister Thorben Brackmann (l.) bei der Flaggenzeremonie dabei. Sönke Ellerbrock erklärt ihm die Tradition
Zum ersten Mal ist Bürgermeister Thorben Brackmann (l.) bei der Flaggenzeremonie dabei. Sönke Ellerbrock erklärt ihm die Tradition © Elke Richel | Elke Richel

Hoffnung auf eine gute Saison – mit einem Wermutstropfen

Wenn das Wetter bei der Flaggenparade ein Omen wäre, dürfte den Wirten der Schifferstadt eine gute Saison nichts entgegenstehen. Sönke Ellerbrock ist da auch optimistisch. Die Hotelzimmer im Schifferhaus sind schon gut gebucht, und für seine regelmäßigen Veranstaltungen braucht er fast keine Werbung zu machen. Wenn jetzt noch das Wetter mitspielt, dürften auch die Plätze auf der Terrasse mit dem traumhaften Blick auf die Elbe im Sommer kaum leer bleiben.

Sönke Ellerbrock macht sich trotzdem Sorgen. „Uns fehlen auch in diesem Jahr Servicekräfte. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, werden wir wohl wieder tageweise schließen müssen. Trotz der großen Nachfrage“, bedauert er. Dazu kämen die gestiegenen Kosten, die den meisten Gastronomen zu schaffen machen. Aber auch da hält er es mit seinem Vater. „Stolpern, aufstehen, weitermachen“, war sein Lebensmotto. Aufgeben? Keine Option für einen Ellerbrock.