Weinkritiker: Mario Scheuermann ist bei Erzeugern aus der ganzen Welt geliebt und gefürchtet

Ihm flattern Einladungen von den berühmtesten Weingütern der Welt ins Haus - Fachjournalist Mario Scheuermann ist um seinen Job zu beneiden. Gerade kam der Lauenburger Weinkritiker aus Bordeaux zurück, um dort den Jahrgang 2013 zu verkosten. Warum reißen sich die Erzeuger eigentlich darum, ihre Tropfen über alle Maßen zu loben oder in Grund und Boden schreiben zu lassen?

"Die Verkostung und Bewertung von Wein ist harte Arbeit", stellt Scheuermann erst einmal klar. An ungläubige Blicke, wenn er so etwas sagt, scheint er gewöhnt zu sein. Doch wenn man dann weiß, dass sich an dem Urteil renommierter Weinkritiker Gastronomen und Händler aus der ganzen Welt orientieren, wird klar, was er damit meint: Die professionelle Bewertung von Wein erfordert ein Höchstmaß an Konzentration und Verantwortung.

Der Weg zum "Weinpapst" ist Scheuermann, der dazu mehrere Fachbücher verfasst hat, praktisch in die Wiege gelegt worden. Als Spross einer Pfälzer Winzerfamilie konnte er schon im Alter von 14 Jahren die Weine seiner Heimat unterscheiden und beurteilen. "Nur damit kein Missverständnis aufkommt, zur Verkostung reichen ein paar Tropfen im Mund", sagt der 66-Jährige und beteuert, in seinem Leben nur einmal betrunken gewesen zu sein - eine Jugendsünde.

Heute ist es sogar die Ausnahme, wenn er während der Verkostung überhaupt einen Schluck trinkt, wenn dann Wasser, um die Geschmacksnerven zu neutralisieren. Im ersten Moment mag es abwegig erscheinen, die teuren Tropfen im Mund zergehen zu lassen und dann anschließend auszuspucken. "Die Verkostung in einem Château beginnt meist um 8 Uhr und endet gegen 18.30 Uhr. Dann fällt man todmüde ins Bett und am nächsten Tag geht's Hunderte Kilometer weiter ins nächste Château. Das lässt sich mit Alkohol im Blut nicht durchhalten", weiß er. Wenn er sich bei der Verkostung von Glas zu Glas vorarbeitet, kommt er durch die hohe Konzentration in eine Art Trance-Zustand, den er nicht unterbrechen will. Was er schmeckt, hält er in einer Verkostungsnotiz fest: "Dunkles dichtes Rubinviolett. Schon in der Nase eine sehr charakteristische tiefe Struktur von dunkler Beerenfrucht, Tannine, Mineralität, leicht balsamisch getönt mit Tabak und Zigarrenkiste. Am Gaumen dickflüssig, fleischig, konzentriert, pelzige Tannine, etwas Kokosflocken ..."

Kann er sich an den ältesten Wein erinnern, den er je verkostet hat? Mario Scheuermann schüttelt die Antwort sofort aus dem Ärmel: Ein Imperial Tokaji aus dem Jahre 1649. Er weiß sogar noch, was er zu diesem Tropfen notiert hat: "Braun, etwas stumpfe Farbe. Nur ein ganz zarter Rot-Orange-Schimmer. Etwas stechend und holzig, absolut trinkbar, erstaunliche Fülle, leicht dickflüssig. Ganz feines Depot." Heute würde sich leider niemand mehr Weine in den Keller legen, damit diese von den Nachfahren getrunken werden. "Manche Tropfen entwickeln sich aber erst im Alter. Es gibt Weine, die kann ich einem Fünfzigjährigen nicht guten Gewissens empfehlen, weil ich nicht weiß, ob er hundert Jahre alt wird."

Ist das nicht doch ein bisschen zu viel Kult um Wein? Noch ehe die Frage gestellt ist, überrascht er schon wieder: Selbst die edelsten Tropfen könnten übrigens gut auf einen Korken verzichten, ein simpler Schraubverschluss erfülle denselben Zweck.