Hamburg. Die gute Nachricht zuerst: Klimaforscher erwarten in diesem Jahr keinen neuen Temperaturrekord für die Nordsee. Während das Meer im Jahresdurchschnitt von 2014 mit 11,4 Grad Celsius noch niemals zuvor so warm war, rechnen die Experten des Hamburger Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) 2015 mit einer moderaten Entwicklung.
Schon jetzt sei die Nordsee wetterbedingt gut drei Grad kühler als im Rekordjahr 2014, sagte der BSH-Ozeanograf Holger Klein dem Abendblatt. „In den vergangenen Tagen betrug das Wochenmittel 14,6 Grad. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren aber bereits 17,9 Grad im Oberflächenwasser gemessen worden.“ Referenzzeitraum sind die Tage vom 29. Juli bis zum 4. August.
Seit den 90er-Jahren gibt es einen Trend zu wärmeren Nordsee-Temperaturen
Der Hamburger BSH-Experte ist am vergangenen Sonnabend mit dem Forschungsschiff „Celtic Explorer“ und einem achtköpfigem Team zur 18. Gesamtaufnahme der Nordsee aufgebrochen. Ziel der 3600 Seemeilen langen Fahrt ist die Messung aktueller meereschemischer und ozeanografischer Daten wie die Wassertemperatur. Die Forschungsreise startete im Hafen Stade-Bützfleth, führt Richtung Norwegen und endet am 14. September in Kiel. Bereits am Sonnabend sollten die ersten Proben vor Stade in der Elbe genommen werden. Die Wissenschaftler arbeiten während der Gesamtaufnahme in drei Schichten rund um die Uhr. Mit diesen Untersuchungen wird langfristig die Entwicklung der Nordsee dokumentiert.
Seit 1998 überprüft das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) regelmäßig den Meereszustand anhand zahlreicher Proben. Die Daten dienen der detaillierten Bestimmung der räumlichen Verteilung von Temperatur, Salzgehalt und Dichte des Seewassers.
Wie eine BSH-Sprecherin sagte, werden die Messungen nicht nur in den deutschen Hoheitsgewässern vorgenommen. Um eine Gesamtaufnahme zu erstellen, müssten mehrere Einflussfaktoren und Regionen untersucht werden.
Auch wenn Fahrtleiter Holger Klein bei den Wassertemperaturen diesmal eine „moderate Entwicklung“ erwartet, ist spätestens seit den 1990er-Jahren ein eindeutiger Trend zu wärmeren Nordsee-Temperaturen festzustellen. „In Verbindung mit anderen Messreihen in der Deutschen Bucht lässt sich der Trend zu immer höheren Wassertemperaturen schon seit mehr als 100 Jahren ausmachen“, sagt BSH-Präsidentin Monika Breuch-Moritz. „Diese langfristigen Trends – nicht einzelne Jahre – sind deutliche Signale eines Klimawandels, einer Erwärmung.“
In den Niederlanden rüstet ein Fischer sein Fanggeschirr auf Kalmare um
So haben sich die Wintertemperaturen in der nördlichen Nordsee in den vergangenen 20 Jahren um mehr als ein Grad erhöht, die Werte in der Deutschen Bucht und an der holländischen Küste um bis zu zwei bis drei Grad. Langzeituntersuchungen der Helgoland Reede zeigen einen deutlichen Temperaturanstieg von insgesamt 1,5 Grad Celsius seit 1962. Die Deutsche Bucht wies 2014 sogar eine durchschnittliche Temperatur von 12,1 Grad auf und überstieg das langjährige Mittel um 2,1 Grad.
In den bisherigen Rekordjahren 2003 und 2006 lag die Temperatur des Oberflächenwassers um 2,5 Grad höher als im langjährigen Mittel. „Ein solcher Anstieg dürfte in diesem Jahr allerdings nicht erreicht werden“, sagte Holger Klein.
Die langfristige Erwärmung der Nordsee hat spürbare Folgen für die Fischereiwirtschaft. Während der Kabeljau in nördlichere Regionen schwimmt, wandern neue Warmwasserarten ein. Nach Angaben des Bundesumweltamtes kommen südlich von Helgoland bereits regelmäßig laichreife Sardellen vor.
Fischereibiologen vermuten, dass zukünftig neben Sardine und Meeräsche auch der Wolfsbarsch häufiger in der Nordsee zu finden sein wird. In den Niederlanden rüstete der erste Fischer sein Fanggeschirr auf Kalmare um und fischte mit Lampen und hakenbewährten Leinen den zu den Tintenfischen gehörenden Gemeinen Kalmar (Loligo vulgaris), der in zunehmendem Maße aus Mittelmeer und Atlantik in die Nordsee wandert.
Mehr noch: Seit 1958 beobachten Fachleute immer mehr Rippenquallen in der zentralen Nordsee. Sie können bis zu 1,5 Meter groß werden.
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